Dabei zeigt sich, dass allen Beteuerungen zum Trotz die Erfahrungen aus den ersten drei Infektionswellen und knapp 18 Monaten Pandemie längst nicht zu identischen Schlussfolgerungen führen: Kaum hatte sich die bayerische Staatsregierung dieser Tage – und damit ohnehin nur rund zehn Wochen vor dem neuen Schul- und Kindergartenjahr – dazu durchgerungen, bis zu 50 Prozent der Anschaffungskosten von Luftfilteranlagen zu übernehmen, stellen die für die Schulausstattung eigentlich verantwortlichen Kommunen die Strategie vielfach infrage.
Allen voran Bayerns Gemeindetagspräsident Uwe Brandl (CSU), der in einem Interview nicht nur die Kosten für die Städte und Gemeinden kritisierte, sondern auch den Sinn in Frage stellte: «Und das, was uns am meisten stört, ist die Tatsache, dass wir bis heute keinen gesicherten Beweis darüber haben, ob diese Raumluftfilter tatsächlich einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Virenlast leisten.»
Am Donnerstag legte der Lindauer Landrat Elmar Stegmann (CSU) nach: «Wenn die Luftreinigungsgeräte einen hohen Schutz für die Schüler und Lehrer bieten, so darf über eine Anschaffung nicht diskutiert werden. Für meine schwäbischen Landratskolleginnen und -kollegen und mich sind aber noch viele Fragen offen und bei einem so hohen Einsatz von Steuergeldern müssen diese vorab geklärt sein.» Für seinen Landkreis rechne er mit Kosten von rund 800 000 Euro. «Ich befürchte, dass der flächendeckende Einsatz solcher Geräte nur Kosmetik ist, die fast nichts bringt.»
«Luftfilter sind eine sinnvolle Ergänzung zum Lüften, um die Aerosollast und damit das Infektionsrisiko im Klassenraum zu senken»
Das bayerische Gesundheitsministerium weist die Kritik als nicht berechtigt zurück. «Luftfilter sind ein wesentlicher Baustein, um die Schulen fit zu machen das kommende Schuljahr. Sie sind dabei eine sinnvolle Ergänzung zum regelmäßigen Lüften, um die Aerosollast und damit das Infektionsrisiko im Klassenraum zu senken», sagt ein Sprecher auf Anfrage.
Weiter: «Unser Ziel ist es, angesichts der ansteckenden Delta-Variante Vorkehrungen zu treffen, um eine vierte Welle möglichst flach zu halten.» Da es für Kinder und Jugendliche bisher keine allgemeine Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission gebe und noch nicht flächendeckend in den Schulen geimpft werden könne, müsse der Schutz verstärkt werden. «Dazu sind Luftfilter ein sinnvolles, hilfreiches und ergänzendes Element. Ziel ist es, Präsenzunterricht zu ermöglichen und die Kinder so gut es geht zu schützen.»
Ähnlich hatten sich am Dienstag nach der Kabinettssitzung auch Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) und Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) geäußert. Die Luftfilter seien eine «ganz wichtige Säule», um die Klassenzimmer fit zu machen für den Herbst, gerade auch dann, wenn wegen Herbststürmen und nasskaltem Wetter kein Dauerlüften mehr möglich sei.
Zur Erinnerung: Rund 190 Millionen Euro stellt die Staatsregierung für die Ausstattung von rund 60.000 Klassenzimmern und 50.000 Räumen in Kindergärten mit mobilen Filteranlagen zur Verfügung. Dass es mobile Geräte sein sollen, ist weniger deren besonderer Eignung als vielmehr der Zeitnot geschuldet. Ein Einbau fest installierter Anlagen ist bis zum Herbst nicht zu realisieren. Von daher muss sich wohl auch die Staatsregierung den Vorwurf gefallen lassen, hier in den vergangenen Monaten andere Lösungen vorangetrieben zu haben. Selbst die Anschaffung von mobilen Filtern dürfte bis Herbst wegen vorgeschriebener Ausschreibungsverfahren kaum überall gelingen.
Kommunen beklagen sich, überrumpelt worden zu sein: «Mit uns hat keiner gesprochen»
Tatsache ist aber auch, dass es viele Kommunen selbst waren, die sich lange gegen die Luftfilter sperrten und wie am Beispiel von München erst jetzt in Sichtweite des Herbstes umdenken. Brandl, der auch Bürgermeister der niederbayerischen Stadt Abensberg ist, bezeichnete die Debatte inzwischen gar als so emotional aufgeladen, dass «man mit rationalen Erwägungen nicht mehr anfangen» braucht. Und beklagt: Die Kommunen seien zudem von der Entscheidung überrumpelt worden: «Mit uns hat keiner gesprochen.»
Aber muss eine Kommune überhaupt angesprochen werden, alles technisch Machbare zu ermöglichen, um den Infektionsschutz an den Schulen zu gewährleisten? Für viele Eltern und auch Lehrer ist diese Aufgabe eine Selbstverständlichkeit und unter der Hand sorgt diese Haltung auch in der Staatsregierung für Kopfschütteln.
Auch wenn Bayerns Kommunen in der Pandemie Steuereinnahmen massiv weggebrochen sind, dürften die anteiligen Investitionen in die Filter sie nicht in den Ruin treiben, wie es die Opposition im Landtag gerne behauptet. Wie jüngst eine Studie der Bertelsmann Stiftung darlegte, haben die Kommunen dank der gigantischen Hilfsgelder von Bund und Ländern im ersten Krisenjahr sogar mehr Geld eingenommen. Und erst am Mittwoch sicherte der Freistaat ihnen im Rahmen des Finanzausgleichs für 2022 weitere 10,44 Milliarden Euro zu.
«Da sich eine vierte Pandemiewelle im Herbst nach Ansicht vieler Experten klar ankündigt und bis zum Start des neuen Schuljahres nur noch 10 Wochen verbleiben, muss unter allen Umständen das Risiko erneuter Schulschließungen mit diesen wissenschaftlich erprobten Geräten reduziert werden», sagte der Vorsitzende des Verbands der Lehrer an beruflichen Schulen (VLB), Pankraz Männlein. Da es um die Gesundheit und um das Leben von Menschen gehe, müssten die Finanzierungsfragen schnellstmöglich geklärt werden. Von Marco Hadem, dpa
Der Luftfilter-Skandal: Wie Kommunen versuchen, sich um die Anschaffung zu drücken
Ja klar, noch nie davon gehört, total überrumpelt!
Dies ist kaum zu glauben!
Die haben zu 100% die umstrittene Entwicklung zur Anschaffung von
” Luftfiltergeräten ” über die letzten Monaten sehr genau verfolgt!
Oder leben die hinterm Mond?
Ich arbeitete im Labor, u.A. mit Geräten, die kleinste Konzentrationen messen. Eine Absaugung wäre fatal, weil alles mögliche dann in den Raum gelangt und die Messungen stört. Deshalb wird ein Überdruck, 0,5 bar, erzeugt, also gefilterte Luft zugegeben. Schlitze z.B. in der Tür oder über dem Fenster, damit der Druck entweichen kann. Damit findet natürlich auch ein Austausch der Luft statt. Also nicht durch Absaugung eine Mehrbelastung der Kinder herbeiführen. Und vor allem müssen solche Anlagen von Fachleuten gereinigt werden. Filterstäube sind gesundheitsschädlich oder sogar giftig.
Bei (selbstgebastelten) reinen Absauganlagen sehe ich u.U. das Problem, dass Luft vom Flur, Nachbarraum etc. angesaugt werden kann, die virenbelastet sein könnte.
Mobile Luftfiltergeräte aber wälzen die Raumluft um durch einen Filter hindurch. Sie saugen keine Luft durch Unterdruck in den Raum. Der Filterwechsel ist in der Betriebsanleitung für Nichtfachleute beschrieben, erfordert gewisse Vorsichtsmaßnahmen (z.B. wegen Virenlast), aber eine besondere Schulung oder Ausbildung sind m.W. nicht nötig gemäß den Herstellerangaben.
Festinstallierte Anlagen brauchen wohl Spezialisten zur Wartung.
Schön, aber gefährlicher als in der Pause auf dem Hof ist die Frischluft durchs Fenster auch nicht, oder? Wir Schulbewohner sind ja keine Kleinstkonzentrationsmessgeräte…
Pause auf dem Schulhof bedeutet 20 Minuten warm angezogen sich bewegen. Sie dürfen gern im nächsten Winter mal so einen Schultag mit 15-10-15 und Durchzug begleiten. Spätesten nach dem 2. Durchgang sind es maximal 15 bis 17 Grad im Raum. Versuchen Sie mal, dabei, still auf Ihrem Stuhl sitzend, noch konzentriert zu lernen oder mit Handschuhen zu schreiben. Dies widerspricht jeglichen Arbeitsschutzregeln, wird aber wieder mal einfach ignoriert – kostet nämlich „nur“ die Gesundheit der Beteiligten (ich hatte mehrere Kinder mit Blasenentzündungen), aber das Land kein Geld.
@Anne,danke!Ich bin immer wieder geschockt,wie viele ihren Kindern dies ohne zu murren zumuten.
“Für meine schwäbischen Landratskolleginnen und -kollegen und mich sind aber noch viele Fragen offen und bei einem so hohen Einsatz von Steuergeldern müssen diese vorab geklärt sein.”
Welcher hohe Einsatz?
Es geht um knapp eine Milliarde… darüber wird schon seit vielen Monaten gestritten. Auf der anderen Seite überbieten sich die Politiker damit, zu betonen, wie wichtig die Kinder sind. Offenbar sind sie nichtmal dieses Geld wert, während man auf der anderen Seite irgendwelchen Unternehmen (beispielsweise einer Fluggesellschaft) Milliarden hinterherwirft, ohne lange darüber nachzudenken.
Was die Wirksamkeit angeht: Bereits der gesunde Menschenverstand sagt, dass ALLES, was die Konzentration virenbelasteter Aerosole senkt, hilfreich ist. Ebenso logisch ist, dass so eine Maschine x Kubikmeter pro Stunde reinigen kann, weil sie diese Menge durchsaugen kann. Welchen Durchsatz ein offenes Fenster schafft, hängt von vielen Faktoren ab und kann nicht garantiert werden. Bei “passender” Wetterlage ist es nahe Null, bei Orkan vermutlich mehr, als der Luftfilter schafft.
@Thomas Potschka.
In den Klassenzimmern geht es nicht darum, irgendwelche Messungen durchzuführen, sondern darum, dass die Kinder und Lehrkräfte virenfreie Luft zum Atmen haben.
Die Kinder werden auch nicht lackiert so dass man Überdruck bräuchte.
Die Kinder sind vielmehr die Gelackmeierten, wenn sie keine saubere Luft bekommen.
Jede Luftfilterung und jeder Luftaustausch ist daher hilfreich.
Selbst das Lüften hat bisher geholfen. Zumindest ein bisschen.
Durch Überdruck wird die Luft komprimiert. Dadurch erhöht sich die Virenhaltigkeit. Bei Unterdruck das Gegenteil.
“Durch Überdruck wird die Luft komprimiert. Dadurch erhöht sich die Virenhaltigkeit. Bei Unterdruck das Gegenteil.”
Keine Sorge… so einen Überdruck bekommt man weder in Schulräumen noch in Wohngebäuden erzeugt. Dazu sind die Hütten viel zu undicht.
Beim “Blower Door Test” bei Neubauten wird gezielt Unterdruck erzeugt, um Undichtheiten zu finden. Dazu nimmt man 50 Pa Unterdruck. Der Ventilator saugt dabei gewaltig Luft aus den Bau (um die 600 m^3/h bei einem Neubau von 200 qm) und man spürt an jeder Undichtheit einen sehr deutlichen Luftzug von drinnen nach draußen.
Auf der anderen Seite liegt der normale Luftdruck (1 Bar) um 101000 Pa. Diese 50 Pa, ob nun Über- oder Unterdruck, ändern also wirklich nichts signifikantes.
Wenn man einen nennenswerten Über/Unterdruck erzeugen wollen würde, dann bräuchte man bei den üblichen Raumgrößen RICHTIG Leistung und würde einen gigantischen Luftstrom erzeugen müssen.
Für den gewünschten Zweck reicht aber schon deutlich weniger. Selbst bei den genannten 50 Pa zieht es ordentlich aus den Ritzen.
Was für die Anwendung – egal welches Ansatzes – in Klassenräumen hingegen wirklich wichtig ist: Definierte Luftwege. Wenn ich an einer Stelle einblase und direkt daneben das Fenster offen habe, dann wird sich eine kleine Frischluftzone herausbilden, während der Rest in keiner Weise davon profitiert. Darum ordnet man in professionell geplanten Lüftungssystemen die Zu- und Abluft auch entsprechend an und solche Anlagen können u.U. ihrer Funktion nicht mehr sauber nachkommen, wenn man irgendwelche Fenster öffnet, die dann die Luftwege durcheinander bringen.
Der Grundansatz der Selbstbastellösung ist von daher gar nicht so unsinnig, es wurde aber nach der Hälfte aufgehört. Die Abluftwege sind definiert, aber nicht die Zuluft. Die Zuluft strömt willkürlich und vermutlich auch quer durch die Sitzbereiche anderer SuS, was dann natürlich erst recht virenhaltige Luft verteilt. Dazu kommt, dass die Luftströme wesentlich zu niedrig sind. Wenn man sowas wirksam bauen will, muss man Zu- und Abluft führen und dafür sorgen, dass niemals ein Zuluftstrom einer Person durch einen Bereich führt, den eine andere Person mit Viren belasten kann.
Ach ja der Söder. Hat er wiedermal ein Thema entdeckt (ein Jahr zu spät). Wie sagte ein Schulleiter in Bayern: Die sollen uns LehrerInnen schicken – lüften können wir selber.
LehrerInnen fehlen an allen Ecken und Enden.
Bildung ist halt doch nichts wert.