Evolution: Biolehrkräfte erkennen falsche Vorstellungen oft nicht

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BOCHUM. Nur rund die Hälfte der Lehrerinnen und Lehrer erkennt falsche Vorstellungen von der Evolution bei Schülern richtig und kann gezielt gegensteuern, ergab eine Umfrage unter 182 angehenden und praktizierenden Lehrkräften. Die gute Nachricht: Erfahrung hilft bei der Erkennung.

Von Zielgerichtetheit bis Vermenschlichung
Zufällige Veränderungen, die einen Überlebensvorteil bedeuten – das Prinzip der Evolution steht nicht in Einklang mit unserer Intuition und unseren Erfahrungen. „Geparden sind immer schneller geworden, weil sie gemerkt haben, dass es notwendig ist“ – bei solchen und ähnlichen Aussagen von Schülerinnen und Schülern etwa sollten Lehrerinnen und Lehrer hellhörig werden, wenn es um die Evolution geht.

Eine Familie, die bekannte Grafik von der Entstehung des aufrechten Ganges nachstellend
Evolution ist kein bewusst zielgerichteter Prozess. Foto: jplenio / Pixabay (p.l.)

Aber nicht immer wird wie im plakativen Beispiel so schnell deutlich, dass viele Schülerinnen und Schüler sich falsche Vorstellungen von der Evolution machen. Oft verkennen sie dabei das Prinzip von zufälligen Variationen, die einen Überlebensvorteil darstellen, und unterstellen stattdessen eine Zielrichtung evolutionärer Prozesse, unveränderliche Wesenszüge einer Art, die Vererbung nützlicher Eigenschaften oder vermenschlichen die Organismen, indem sie ein bewusstes Agieren annehmen. „Im Alltag sind solche Konzepte mitunter hilfreich, aber wissenschaftlich sind sie unzutreffend“, stellt die Bochumer Biologin Nina Minkley fest. „Lehrkräfte müssen sie im Biologieunterricht erkennen und gezielt gegensteuern, denn sie stehen dem fachlich korrekten Verständnis des Unterrichtsinhalts sonst im Weg.“

Um herauszufinden, wie gut Biologielehrerinnen und -lehrer darin sind, solche falschen Auffassungen zu identifizieren und zu adressieren, führte Biologiestudent Tim Hartelt unter Leitung von Minkley im Frühjahr 2020 eine Onlineumfrage durch. 182 Lehramtsstudenten, angehende Lehrkräfte im Referendariat und Lehrerinnen und Lehrer im Beruf nahmen daran teil. Sie wurden mit Aussagen von Schülerinnen und Schülern zur Evolution konfrontiert und sollten angeben, ob sie diesen Aussagen zustimmen oder nicht. Falls nicht, sollten sie auch angeben, welches wissenschaftlich falsche Konzept der Aussage zugrunde lag und wie sie damit umgehen würden.

Lehrerfahrung hilft
„In der Studie haben wir nachweisen können, dass die Fähigkeit, falsche Vorstellungen zu diagnostizieren und angemessen damit umzugehen, je nach Ausbildungsstand unterschiedlich gut ausgeprägt ist“, berichtet Nina Minkley. Teilnehmerinnen und Teilnehmer ohne Lehrerfahrung in dem Thema erkannten rund die Hälfte der falschen Konzepte korrekt. Erfahrene Lehrkräfte erkannten rund 60 Prozent, was dafür spreche, dass erwartungsgemäß Erfahrung dabei hilft, diese komplexe Aufgabe zu meistern. „Überrascht hat uns, dass viele der Teilnehmenden die falschen Vorstellungen gar nicht erkennen“, so Nina Minkley. „Zudem würden weniger als die Hälfte aus lerntheoretischer Sicht sinnvoll auf die falschen Vorstellungen reagieren, was zur Verfestigung der falschen Vorstellungen oder gar zu neuen Fehlvorstellungen führen kann.“

Die Forscherinnen und Forscher plädieren aufgrund der Ergebnisse dafür, Lehrkräften durch ein spezielles Training zu helfen, angemessen auf inkorrekte Vorstellungen bei Schülerinnen und Schülern einzugehen. (zab, pm)

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kanndochnichtwahrsein
2 Jahre zuvor

Man erkläre das mal der KMK!

Viren mutieren. Immer. Ob sie wollen oder sollen oder nicht oder die KM es verbieten oder negieren…
Überspringen, vermehren, mutieren ist das Naturgesetz, dem die Viren unterliegen – das Ergebnis ist ein Zufallsergebnis.

Nicht, dass die Schüler mit den falschen Vorstellungen gerade am eigenen Beispiel lernen, was sie und die KM da nicht umfassend verstanden haben…

Auch wenn das jetzt auch wieder eine biologisch „falsche“ Aussage ist:
Wir nehmen gerade an einem Großversuch zur „Zucht“ (falscher Ausdruck, Viren unterliegen keiner Zuchtauswahl, sondern dem Zufallsprinzip der Mutationen) von Viren-Mutanten, Varianten, Re- und Neukombinationen.
Für das, was hier gerade geschieht, gibt es m.E. kein anderes, passenderes Wort als „Zucht“ (im Sinne einer vom Menschen geförderten Vermehrung unter vom Menschen geschaffenen Bedingungen).
Vielleicht käme „Laufenlassen der Evolution der Viren ohne die Übertragungs- und damit die Mutationsrate einschränkende Maßnahmen“ dem Ganzen wissenschaftlich näher, denn „ielgerichtet selektierend“, was „Zucht“ eigentlich meint, und „verbessernd im Sinne des Nutzens für den Menschen“, zu dem „Zucht“ als Teil der Kulturgeschichte seit ihrer „Erfindung“ eigentlich diente (bessere Nutzpflanzen, bessere Nutziere hervorzubringen und damit die Lebensbedingungen des Menschen zu verbessern) ist das ja nicht wirklich und wir werden sehr überrascht sein, welche weiteren Omikrons oder whatever dabei noch raus kommen…

Dies aber werden die KM wiederum nicht verstehen, wenn sie keinen guten Biologielehrer hatten.

W.
2 Jahre zuvor

@kanndochnichtwahrsein
Im Bezug auf das Virus:
„Zucht“ kommt dem schon sehr nahe und ist ein einfach vorstellbarer bildlicher Vergleich.
Man stelle sich das Land außerdem vor als ein großes Labor und in diesem Laborversuch gibt es
– durchgeknallte Labor- und Versuchsleiter ohne Fachkenntnisse und sogar ohne großes Interesse am Fach
– eine Windmaschine für den Rückenwind beim Virus

Man kommt mit dem Kopfschütteln nicht mehr hinterher.

Und zurück zum Ausgangstext:
Man muss mal ein bisschen rechnen ( ein überschaubarer Zahlenraum genüngt, keine Angst ) und dann findet man heraus, dass die Referendare, Bio-Studenten ( und wohl auch schon einige Jung-Lehrer ) selber zu den SuS-Jahrgängen gehörten, bei denen durch Erlasse, Lehrpläne & Co. schon neu-modischer Methoden-Schnickschnack dem altmodischen Grundverständnis und Basiswissen ( in allen !!! Fächern, nicht nur Biologie ) vorgezogen worden ist.

Was man selber nicht hat ( aus welchen Gründen auch immer ) kann man eben nicht weitergeben!

Jetzt ist einfach „Erntezeit“.
Und das lässt für die Zukunft hoffen. Allerdings wenig Gutes.

potschemutschka
2 Jahre zuvor

Und in Zukunft werden noch weniger Menschen diese Zusammenhänge verstehen, denn gute Lehrer (nicht nur Bio), werden immer mehr zur Mangelware.

Erasco
2 Jahre zuvor

Und im Saarland ist das Thema Viren und gentechnische Arbeitsmethoden wie PCR im Zuge der Pandemie gestrichen worden (nur noch fakultativ, falls man das schafft). Naturwissenschaftlich begabt ist wohl keiner der Kultusminister.

Natascha
2 Jahre zuvor

Allein der mehrmals im Artikel verwendete Ausdruck „falsche Vorstellungen“ ist für mich ein Zeugnis von mangelnder Kenntnis der phylosophischen Erkentnistheorie und biologischen Theorie der Kognition, die solche Ausdrücke nicht zulassen. Evolutionstheorie ist erstmal selbst eine Theorie mit vielen älteren und neuen Entwicklungen, allerdings kein Faktum der sogenannten objektiven Realität. Kein Mensch kann ausgehend aus dem aktuellen wissenschaftlichen Stand der Erkenntnistheorie und biologischen Theorie der Kognition behaupten, er könne die Evolution richtig wahrnehmen und deuten, während es andere falsch machen. Dies war und ist nach wie vor eine Forschungsfrage, die sich dem wissenschaftlichen Diskurs und weiteren Erforschung noch nicht entziehen konnte, da wir uns hier nicht auf dem Gebiet exakter Wissenschaften bewegen, die den alleinigen Anspruch auf 100%-tige Beweisgrundlage in ihren Teilgebieten, wie bspw. in der Mathematik, haben. Schade, dass den Wissenschaftlern der wichtigste Grundstein in ihrer Ausbildung wohl schlecht beigebracht wird: Philosophie. Das würde den wissenschaftlichen Diskurs sicher auf eine neue, viel effizientere Ebene bringen und destruktive Diskussionen auf der Ebene der absoluten Wahrheit über richtig und falsch ausschließen.

John
2 Jahre zuvor
Antwortet  Natascha

Und die Relativitätstheorie hat auch das Wörtchen „Theorie“ am Ende stehen, trotzdem ist sie (genau wie die Evolutionstheorie, welche man gemeinhin auch schlicht Evolutionslehre nennt) so weitläufig und tiefgehende geprüfte, überdacht, und bestätigt worden, dass das Wort „Theorie“ lediglich unsere Fähigkeiten sie vollumfassend zu verifizieren (was technisch für uns noch nicht möglich ist) geschuldet ist.

Mit Philosophie hat es rein garnichts zu tun, so gerne das Wort „Theorie“ auch gern synonym mit „These“, „Vermutung“, oder in einigen anti-intellektuellen Kreisen „Behauptung“ in Verbindung gebracht wird.

Es ist nicht die Evolutionsthese, und nicht die Relativitätsvermutung. Es sind tausendfach verifizierte und von Fachleuten spezifizierte Grundlagen unserer modernen Wissenschaft.

Natürlich entwickelt sich die Wissenschaft stets weiter, und kann falsch liegen, gerade bei neuem Wissen. In diesem Fall aber, durch das Alter und die Wichtigkeit der Theorie, ist sie so umfassend geprüft worden, dass Philosophie hier keinen Platz hat und haben kann.

Aber gerne kann man im Artikel statt „falschen Vorstellungen“ auch einfach das Wort „Unwissenheit“ benutzen. Das fasst es doch gut zusammen, ist nur etwas weniger höflich als der Author vermutet im Sinn hatte.

Pälzer
2 Jahre zuvor

In RLP ist der seit etlichen Jahren gültige Lehrplan vermutlich Mitverursacher des Problems. Das Thema „Evolution“ kommt lange vor dem Thema Genetik. Also hat man die fachlichen Grundlagen gar nicht, um die Evolutionstheorie angemessen zu unterrichten.
Leider ist das auch in anderen Bereichen der Naturwissenschaften so.
Vermutlich ist das Problem auf die illusionäre Idee der „Basiskonzepte“ in den Bildungsstandards zurückzuführen, welche die fachliche Darstellung der naturwiss. Inhalte zertrümmerten.