Kitaverband sieht Fürsorgepflicht in den Einrichtungen durch Personalmangel gefährdet

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DÜSSELDORF. Allein in Nordrhein-Westfalen fehlen laut einem Gutachten aktuell rund 24.000 Erzieherinnen und Erzieher. Fachkräfte geraten immer wieder in Grenzsituationen. Experten schlagen Alarm.

Die Bedingungen in den Kitas sind häufig alles andere als optimal (Symbolbild). Foto: Shutterstock

Dauerhafter Personalmangel führt nach Angaben des Verbands für Kitafachkräfte Nordrhein-Westfalen dazu, dass die Aufsichtspflicht nicht mehr gewährleistet werden kann. «Die Fachkräfte sind seelisch und körperlich an ihrer Belastungsgrenze», sagte Verbandschefin Maren Kremer in Düsseldorf.

In NRW fehlen laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Bertelsmann-Stiftung im gerade begonnenen Jahr mehr als 100 000 Kita-Plätze und rund 24 000 Erzieherinnen und Erzieher. «Das ist in doppelter Hinsicht untragbar: Die Eltern werden bei der Betreuung ihrer Kinder nicht unterstützt, während Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in ihrer frühen Bildung vorenthalten wird», sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung.

«Eine Kollegin ist allein in einer Gruppe mit 15-20 Kindern, in der Gruppe nebenan genauso. Dann muss ein Kind gewickelt werden…»

Laut Bertelsmann-Studie werden in NRW bislang 72 Prozent der Kita-Kinder in Gruppen betreut, deren Personalschlüssel nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen entspricht. In den Gruppen der unter Dreijährigen sei aktuell eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für fast vier ganztagsbetreute Kinder verantwortlich. Die Bertelsmann-Stiftung empfehle aber eine eins-zu-drei Betreuung. Für die Altersgruppe ab drei sollte der Personalschlüssel aus Sicht der Stiftung nicht schlechter als 1 zu 7,5 sein.

«Die Zahlen sind erschreckend, überraschen uns jedoch nicht», bewertete Kremer die Bertelsmann-Studie. Bereits in vergangenen Erhebungen seien Probleme festgestellt worden, «doch Lösungen wurden nicht angesteuert». Oft sei einfach nicht genug Personal da, um die Fürsorgepflicht zu gewährleisten. «Eine Kollegin ist allein in einer Gruppe mit 15-20 Kindern, in der Gruppe nebenan genauso. Dann muss ein Kind gewickelt werden…», nannte Kremer als Beispiel.

Auch der Sprecher des Deutschen Kitaverbandes (DKV) NRW, Marcus Bracht, warnte vor langfristigen Folgen durch den «dauerhaften Personalmangel». Dieser führe dazu, dass Fachkräfte den Betreuungsansprüchen nicht mehr gerecht werden können und die Branche verlassen.

In der Landeshauptstadt Düsseldorf sind laut Angaben der Stadt «trotz aller Anstrengungen noch mehr als 100 Stellen nicht besetzt». Da Personal fehle, sei es oft schwer, neue Gruppen zu öffnen. «Insgesamt könnten in Düsseldorf 900 Kinderbetreuungsplätze mehr angeboten werden, wenn auskömmliches Personal da wäre», so ein Sprecher.

Auch in Köln ist der Personalmangel nach Aussagen einer Sprecherin spürbar. Insgesamt 1503 Betreuungsplätze würden fehlen. Kita-Schließungen, Gruppenschließungen und reduzierte Betreuungszeiten seien Konsequenzen des Personalmangels.

In Dortmund sei es ebenfalls «zu Betreuungseinschränkungen, beispielsweise durch eine Verkürzung der Betreuungszeit» gekommen, wie eine Sprecherin der Stadt mitteilte. Die Versorgungsquote der bis zu Dreijährigen liegt in der größten Stadt im Ruhrgebiet laut einer vergangenen Erhebung der Stadt bei rund 38 Prozent. Der Landeselternbeirat der Kindertageseinrichtungen (LEB) in NRW wird laut Angaben einer Sprecherin fast täglich wegen Betreuungsengpässen und Einrichtungsschließungen kontaktiert.

Von der Politik fordern die Verbände nun mehr Entlastungen. «Neue und innovative Konzepte in der Stellenbesetzung mit mehr Verantwortung bei Trägern und Kitas sind dringend notwendig», sagte Bracht. Für die Überbrückungszeit seien beispielsweise Quereinsteiger eine Lösung. «Natürlich müssen Nicht-Fachkräfte ausgebildet und begleitet werden und sie können nicht fachlich mit Fachkräften gleichgesetzt werden – aber sie stehen kurzfristiger zur Verfügung, um das System Kita vor dem Kollaps zu bewahren.» Auch der LEB sieht in dem Quereinstieg eine deutliche Erleichterung für das System.

In einem Ende Dezember veröffentlichten Brief des Familienministeriums hatte Ministerin Josefine Paul (Grüne) Stellung zur prekären Situation bezogen. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, seien bereits erste Schritte einer Fachkräfte-Offensive getan worden, etwa mit einer neuen Koordinierungsstelle zum Fachkräfteausbau in Kitas. Konkreter wurde die Ministerin nicht – es sei ein großes Bündel an Maßnahmen nötig, um langfristig Fachkräfte zu gewinnen. Für den DKV bieten die Aussagen der Ministerin aber «kaum Zuversicht für die Zukunft». News4teachers / mit Material der dpa

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8 Kommentare
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PaPo
1 Jahr zuvor

„In den Gruppen der unter Dreijährigen sei aktuell eine vollzeitbeschäftigte Fachkraft für fast vier ganztagsbetreute Kinder verantwortlich.“
Ja, statistisch. Mir sind Fälle von 11 Kindern pro Fachkraft bekannt. Und das sind keine Ausnahmefälle. Ein Spaß, wenn dann – in einer Gruppe mit zwei Fachkräften – die eine für längere Zeit Windeln wechseln und die andere Fachkraft die jeweils übrigen 21 Kinder im Blick haben muss. Das garniert mit immer mehr Kindern, denen selbst die basalsten Fähigkeiten (Stichwort: Kindergartenreife) fehlen u./o. die „sozial-emotional“ massiv auffällig (aber nicht diagnostiziert, nicht als entsprechendes Inklusionskind geführt) sind, andere Kinder u./o. sich selbst gefährden, eigtl. Eins-zu-eins-Betreuung bräuchten, ja das ist ein Spaß!

Aber kein Problem. Zu wenige Fachkräfte hindern ja nicht daran, Kinder trotzdem in überfüllte Gruppen/Kitas zu klagen. Macht die Betreuung bestimmt weniger zur Verwahrung und ist der Förderung unfassbar förderlich… nicht. Dass da noch nicht viel mehr an Kitas passiert ist, ist eigtl. ein Wunder (und die Fachkräfte verdienen auch dafür unsere Hochachtung).

Wir versündigen uns hier an den Kindern und stellen mithin auch unsere fdGO und unseren Wohlstand zur Disposition. Denn Kitas können der frühkindlichen Förderung gar nicht mehr in dieser Masse nachkommen. Man kann froh sein, wenn die Kinder trotz(!) dieser widrigen Umstände dann später wenigstens mit den basalen Fähigkeiten auf die Grundschule kommen, die früher Zugangsvoraussetzung für die Kita waren… und da setzt sich die Tragödie dann fort. Was Hänschen nicht lernt ..

Aber es geht nur noch bergab, wenn nicht endlich bei denjenigen, die es vermasselt haben, den politischen Entscheidungsträgern, die Einsicht einsetzt, dass sich der Karren nicht mit Reförmchen, Verordnungen und Co. aus dem Mist lenken lässt, sondern nur durch massives Hineinpumpen von Geld und der Akquise von Fachkräften, die natürlich nur dann kommen, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen (was nur der Fall ist, wenn massiv Geld hineingepumpt und Personal angeworben wird, was nur…). Und das passiert nicht von jetzt auf gleich: Selbst mit einem 180° Umschwung schon heute, ist wohl auch die aktuelle und folgende Generation ‚verloren‘ – Fachkräfte wachsen nicht auf Bäumen, weder in der Kita noch in der Schule. Abwärts immer…

Ron
1 Jahr zuvor

Bildungsministerin von Brandenburg und Kanzlergattin Britta Ernst hat für Schulen schon die Lösung, die sich bestimmt auch für Kitas modifizieren lässt: „Statt Master oder vormals Staatsexamen soll nun lediglich ein Bachelor als akademische Qualifikation für alle Lehrkräfte an allen Schularten reichen.“ (aus der Welt)

Uwe
1 Jahr zuvor

Wir hatten eine Tagesmutter von 18 Monaten bis zum 3. Lebensjahr. Halte ich für so kleine Kinder für das beste, die hatte 3 Kinder in Betreuung und das familiäre Umfeld ist für so kleine Kinder sicher besser als ein Kindergarten. Obwohl ich mit dem Kindergarten in dem mein Sohn ist sehr zufrieden bin finde ich die Gruppe Grün (also die ganz Kleinen) eher suboptimal.

Riesenzwerg
1 Jahr zuvor

„Die Eltern werden bei der Betreuung ihrer Kinder nicht unterstützt, während Kindern ihr Recht auf professionelle Begleitung in ihrer frühen Bildung vorenthalten wird», sagte Kathrin Bock-Famulla, Expertin für frühkindliche Bildung der Bertelsmann Stiftung.“

Ich frage mich, ob die Kids gefragt wurden, ob sie dieses Recht haben willen.

Viele wären bestimmt lieber bei ihren Eltern und wünschten sich, dass das ihr Recht wäre.

Es wird zwar aus Sicht der Kinder argumentiert – doch kennt jemand die wirkliche Sicht der Kinder?

Sieht doch wieder sehr nach Wirtschaftssicht aus.

BlankaUnsinn
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Absolut „Riesenzwerg“, da stimme ich Ihnen voll und ganz zu!
Aber die Kinder werden NICHT gefragt was sie wollen … NEIN!
Schlimmer noch: es wird auch nicht hingeschaut was Kinder brauchen … und das ist der eigentliche Skandal!!!

Wenn man sich den Fachkenntnissen der Pädagogik widmet, dann ist es sicherlich NICHT so, dass es für Kinder im „Wickelalter“ gut ist, mit weitern 15 bis 20 Kindern eingepfercht in Kitagruppen von nur einem Erzieher:in betreut, den ganzen Tag in der Verwahrlosung zu verweilen. Und dies so lange, bis Eltern die müde und erschöpft von ihrer Arbeit kommen um ihr Kind abzuholen.

Diese Gesellschaft ist erkrankt … eindeutig. Da läuft schon lange vieles schief.

Die Kinder werden abgegeben in solche Einrichtungen, in denen sich zu wenige um zu viele kümmern müssen. Obwohl in dieser Gesellschaft oft Mütter schon mit nur einem Kind überfordert sind. Was soll da die Erzieherin sagen, die 15 – 20 kleine Kinder betreuen muss?

Kinder werden auf unwürdigste Weise wie Vieh aus der Massentierhaltung gehalten. Nur mit dem Unterschied, dass sich für die Rinder wenigstens der Tierschutzbund öffentlich einsetzt.

Für die Kinder setzt sich niemand ein. Nicht einmal die Eltern. Ich sehe jedenfalls KEINEN öffentlichen Aufstand seitens der Eltern, dieser unsäglichen Situation gegenüber.

Aber macht euch alle bewusst: mit diesen Kleinen bilden wir die Gesellschaft von morgen.

Was passiert wohl aus Menschen, die in ihrer frühen Kinderzeit, in der sie am meisten Aufmerksamkeit, Geborgenheit, Zuwendung und Schutz gebraucht hätten, sich selbst überlassen wurden und in einer menschenunwürdigen Umgebung aufwachsen mussten????

DIESE Frage sollte sich die Gesellschaft einmal stellen … angefangen bei den Eltern!!!

TaMu
1 Jahr zuvor
Antwortet  BlankaUnsinn

Das sind vermutlich die Menschen, die später sagen: Ich liebe meine Mutter und meinen Vater über Alles, ABER ich musste sie jetzt ins Altersheim geben. Wie sollte ich sonst arbeiten und außerdem würde ich durchdrehen, wenn ich mich ständig mit ihren Bedürfnissen befassen müsste. Es reicht, wenn ich sie am Wochenende und gelegentlich am Feierabend besuche. Das Heim ist zwar nicht optimal, sie haben wegen der Menge an Anfragen aus Zweibettzimmern jetzt Vierbettzimmer gemacht und es ist auch immer nur eine Pflegeperson für 25 Menschen da, da bleiben sie halt manchmal in ihren vollen Windeln liegen. Hab ne Creme dorthin abgegeben, damit sie damit behandelt werden, wund sind sie jetzt leider immer. Aber ehrlich, was hätte ich machen sollen?

Vitalina
1 Jahr zuvor
Antwortet  Riesenzwerg

Ja, ganz genau, ich behalte mein Sohn bis drei Jahre zuhause.

Geier
1 Jahr zuvor

Ich bin in einer Kindergarten beschäftigt als Alltagshelfer.. leider meine Vertrag ist nur bis Ende Juli ,weil der Bund hat nur bis Ende Juli es genehmigt.. was weiter kommt keine Ahnung ..vielleicht bin ich dann arbeitslos ..und wenn man überall liest..das Personalmangel im Kindergarten entsteht kann man das nicht verstehen- der Kindergarten kann mich nicht beschäftigen ..weil die das Geld nicht haben ..ich mache alles mögliche in den Kindergarten also ich bin schon große Entlastung für die Erzieher..und ich freue mich dort zu arbeiten..
Warum spricht keine darüber dass in jede Kindergarten fast eine Alltagshelfer beschäftigt ist welche nach den befristen Zeit vielleicht eine Arbeit verliert …ich habe noch nicht in eine Artikel über Alltagshelfer gelesen..
Um mit die Kinder zu spielen ,malen ,puzzeln ,Händewaschen, helfen anziehen ,wenn die nach draußen gehen braucht mal keine Erzieher zu sein.. man muss einfach das Herz für den Kinder haben und dass die Kinder dann eine auch mögen ,und akzeptieren -ich bin selber Mutter von zwei größere Kinder..