Pilotprojekt: Wie können Lehrer rechtsextemen Provokationen im Klassenraum begegnen?

3

HOFHEIM AM TAUNUS. In der Schule geht es nicht nur um Deutsch, Mathe und Biologie. Junge Menschen sollen auch zu demokratischem Denken erzogen werden. Wie schwer das sein kann, zeigt aktuell der Brandbrief von Lehrkräften aus Brandenburg, die darin von zahlreichen Übergriffen rechtsextremer Schüler und Eltern berichten (News4teachers berichtete). Doch wie begegnen Lehrerinnen und Lehrer solchen Provokationen im Klassenraum am besten?

Die Zustimmung wächst: Rechtsextremer auf einer Demonstration in Düsseldorf 2014. Foto: Die Grünen / flickr (CC BY-SA 2.0)
Rechtsradikale machen immer öfter Schulen zur Zielscheibe (Teilnehmer einer Demonstration in Düsseldorf 2014). Foto: Die Grünen / flickr (CC BY-SA 2.0)

Hetze gegen Minderheiten, Stammtischparolen oder antidemokratische Sprüche: Lehrerinnen und Lehrer werden in ihrem Berufsalltag mit Äußerungen aus der Schülerschaft konfrontiert, die teils menschenfeindlich oder sogar extremistisch sind. Wie sollte man darauf reagieren? Zu dieser Frage läuft in Hessen im aktuellen Schuljahr das Pilotprojekt «Starke Lehrer – starke Schüler», das Lehrkräfte mit einem dreijährigen Fortbildungsprogramm im Umgang etwa mit rechtsextremen Positionen im Klassenzimmer stärken soll.

Demokratiekosmos Schule

Das Projekt „Demokratiekosmos Schule“ (DEKOS) soll Lehrkräfte im wirksamen Umgang mit antidemokratischen Situationen unterstützen – es zeigt dabei auch auf, wie rechtsextremen Provokationen in der pädagogischen Praxis begegnet werden kann.

Mit unterschiedlichen Formaten erhalten Lehrkräfte anwendungsorientiertes Know-how. DEKOS zeigt Wege auf, wie sie sich diesen Herausforderungen stellen und angemessen handeln können.

DEKOS, ein gemeinsames Projekt der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Bertelsmann Stiftung, wendet sich an Schulleitungen, Lehrer/innen und Schulsozialarbeiter/innen. Adressiert werden die siebte bis zur 13. Jahrgangsstufe. Da Diskriminierungen in allen Schulsituationen auftreten, betrifft das Thema alle Unterrichtsfächer. DEKOS ist auch geeignet, in Aus- und Fortbildungsbereichen eingesetzt zu werden.

Hier geht es zu den kostenlosen Materialien.

Erste Rückmeldungen zeigten, dass die Beratungsarbeit von den Lehrerinnen und Lehrern durchweg positiv bewertet werde, sagte die Leiterin des Projektes, Prof. Susann Gessner von der Philipps-Universität Marburg, bei einem Besuch der beruflichen Brühlwiesenschule in Hofheim am Taunus.

Zu dem Programm «Starke Lehrer – starke Schüler» zählen unter anderem Fortbildungen über die Gefahren von Extremismus oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit sowie ein Argumentationstraining gegen Stammtischparolen. Neben dem Land und der Universität beteiligen sich die Robert Bosch Stiftung sowie die Bundeszentrale für politische Bildung an der Initiative.

Sie habe zum Beispiel erlebt, wie in einer Klasse unwidersprochen gegen sozial Schwache gehetzt wurde, die angeblich nicht arbeiten gehen wollen würden, erzählte die Lehrerin Valerie Sargk von der Brühlwiesenschule. Sie habe daraufhin versucht, den Schülerinnen und Schülern unter anderem zu vermitteln, dass man nicht alle Menschen über einen Kamm scheren könne.

Doch wie erreicht man die jungen Menschen am besten? «Ganz viel läuft über Beziehungsarbeit», sagte die Lehrerin, die bei dem Projekt mitmacht. Und man müsse den Jugendlichen zuhören. Bei der Fortbildung «Starke Lehrer – starke Schüler» würden mögliche Situationen im Klassenzimmer beispielsweise in Rollenspielen geübt.

«Rassismus- und antisemitismuskritische Bildung sollte in unseren Augen als Querschnittsaufgabe in den Schulen fest verankert sein»

Bei dem Pilotprojekt an sechs hessischen Schulen gehe es Demokratieerziehung, Wertebildung und Extremismusprävention, sagte Kultusminister Alexander Lorz (CDU). Die beruflichen Schulen seien die letzte Möglichkeit, prägend auf junge Menschen einzuwirken. Hessen ist nach Sachsen, Niedersachsen und Brandenburg das vierte Bundesland, das ein Pilotprojekt für «Starke Lehrer – starke Schüler» gestartet hat.

In Sachsen sei das Angebot inzwischen ausgebaut und in die Regelstrukturen integriert worden, sagte die Leiterin des Fachbereichs Extremismus der Bundeszentrale für politische Bildung, Maja Bächler. Langfristig könnten die beteiligten Lehrkräfte als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren in ihren Schulen wirken.

Auch die Bildungsstätte Anne Frank legt nach eigenen Angaben einen Schwerpunkt ihrer historisch-politischen Bildungsarbeit auf die Arbeit mit Schulen, sowohl mit Jugendlichen als auch mit Lehrkräften und pädagogischen Fachkräften. «Denn um dem Ziel einer gerechteren Gesellschaft näher zu kommen, ist es elementar, schon im Jugendalter ein Bewusstsein für diskriminierende Strukturen und Handlungsoptionen dagegen zu entwickeln», sagte die pädagogische Leiterin Nicole Broder in Frankfurt. «Rassismus- und antisemitismuskritische Bildung sollte in unseren Augen als Querschnittsaufgabe in den Schulen fest verankert sein.»

Nach den Worten von Broder bietet etwa das Projekt «Antisemi-was? Antisemitismusprävention an Schulen» Beratung für Lehrkräfte, um antisemitische Einstellungen bei Jugendlichen zu erkennen und damit umzugehen – präventiv oder in Reaktion auf konkrete Vorfälle. Zudem gebe es das mehrfach preisgekrönte digitale Lernspiel «Hidden Codes», das speziell für den Einsatz im Unterricht entwickelt worden sei. Anhand simulierter Chatverläufe geht es darum, Anzeichen für Radikalisierungsprozesse zu entdecken. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zu einem News4teachers-Interview mit Nicole Broder.

Stiftung warnt: Rechtsextreme Übergriffe an Schulen werden zu oft verharmlost

 

Anzeige


Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

3 Kommentare
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Gelbe Tulpe
11 Monate zuvor

Wenn man den Rechtsextremismus schwächen und die Demokratie stärken will, muss man für höhere Gehälter und sichere Arbeitsplätze sorgen. Das schließlich war schon das Erfolgsrezept der westdeutschen Demokratie ab 1949.

Leider verlagt heute unsere Politik mit großer Freude Arbeitsplätze aus Deutschland weg oft in Diktaturen, nur damit die Unternehmen möglichst ihre Gewinne maximieren können.

Von dieser verherrenden Politik muss man weg. Schutzzölle gegenüber Niedriglohnländern wären da ein Mittel dazu.

Anne S.
11 Monate zuvor

Verschwiegen wird mal wieder, dass solche Parolen durchaus auch in (hessischen) Lehrerzimmern unter großem Gelächter zu vernehmen sind.
Nett waren auch die Kommentare zu Inklusionskindern: „Wir wollen den Lateinunterricht frei davon haben. Das soll hier so bleiben.“
Diese werden in den Diskriminierungsdebatten gerne mal vergessen. Und wer sich gegen solche stumpfen Parolen sträubt, hat plötzlich selbst ganz viele „Baustellen“, von denen man vorher noch nichts wusste.

Deutschland – Land der Doppelmoral und Hypokrisie.

Aber ist ja alles demokratisch, bitte nicht so viel jammern. Lächerlich.