Stiftung warnt: Rechtsextreme Übergriffe an Schulen werden zu oft verharmlost

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POTSDAM. Wie groß ist das Problem des Rechtsextremismus an Schulen? Die Amadeu Antonio Stiftung erhofft sich, dass der in dieser Woche öffentlich gewordene Brandbrief von Lehrkräften aus Südbrandenburg aufrüttelt: Rechtsextreme Vorfälle dürften nicht als Bagatelle abgetan werden. Und offenbar ist Beratungsbedarf bei Schulen vorhanden. Die Stiftung berichtet von einem plötzlichen Anstieg der Nachfragen.

Wie groß ist das Problem mit Rechtsextremen an Schulen? Foto: Shutterstock / rkl_foto

Auf dem Schulhof tummeln sich Kinder an Spielgeräten, viele Schüler warten nach dem Ende des Unterrichts vor dem Schulgebäude auf ihren Bus, andere steigen auf ihre Fahrräder. Die Sonne lädt zum Ausflug nach Burg in den Spreewald. Nichts deutet darauf hin, dass Lehrer der Grund- und Oberschule des Ortes Hilfe brauchen, weil sie sich mit rechten Vorfällen konfrontiert sehen.

In einem offenen Brief haben Lehrkräfte rechte Vorfälle an ihrer Schule im Spree-Neiße-Kreis beklagt (News4teachers berichtete). Es geht um mit Hakenkreuzen beschmiertes Schulmobiliar, um rechtsextreme Musik die im Unterricht gehört wird und um demokratiefeindliche Parolen, die in Schulfluren gerufen werden. Und es geht um Wegsehen. «Wir erleben eine Mauer des Schweigens und der fehlenden Unterstützung seitens Schulleitungen, Schulämtern und Politik bei der Bekämpfung demokratiefeindlicher Strukturen, sowohl in der Schüler- und Elternschaft als auch bei den Kollegen», heißt es in dem anonymen Schreiben.

«Die wenigen ausländischen und toleranten Schüler an unserer Schule erleben Ausgrenzung, Mobbing und Gewaltandrohungen. Es herrscht das Gefühl der Machtlosigkeit und der erzwungenen Schweigsamkeit»

Burg, etwa anderthalb Stunden von Berlin entfernt, macht sich derzeit startklar für die Saison. Jedes Jahr kommen Tausende Besucher in die Touristenhochburg im Spreewald, unternehmen in den berühmten Kanälen Bootstouren. Hotels, Pensionen und Therme laden zum Verweilen ein, Kunstveranstaltungen und die Spreewälder Sagennächte und auch die Pflege der sorbischen Bräuche sind fest verankert.

Hinter den Wänden des Schulgebäudes fürchten Lehrkräfte und Schüler, die offen gegen rechtsorientierte Schüler- und Elternhäuser agieren, um ihre Sicherheit, wie sie in dem offenen Brief schreiben.

Im Jahr 2020 hatte das Brandenburger Innenministerium mitgeteilt, es befürchte im Spreewald das Entstehen eines Treffpunkts für Anhänger der rechtsextremen Szene. Demnach sollen in Burg Unternehmer, die Bezüge zur rechtsextremen Mischszene im Raum Cottbus haben, eine Immobilie für Treffen erworben haben, etwa für Konzerte. Das Gebäude sei von Anhängern der Szene aufgesucht worden, hieß es.

Die Sicherheitsbehörden hatten damals Informationsgespräche mit Vertretern vor Ort geführt. Der Amtsdirektor von Burg, Tobias Hentschel, hatte sich besorgt gezeigt. Burg sei ein weltoffener, toleranter und gastfreundlicher Ort. «Nationalsozialistische Ideologien haben bei uns keinen Platz.»

Die Lehrkräfte der Schule zeichnen ein anderes Bild. «Die wenigen ausländischen und toleranten Schüler an unserer Schule erleben Ausgrenzung, Mobbing und Gewaltandrohungen. Es herrscht das Gefühl der Machtlosigkeit und der erzwungenen Schweigsamkeit.» Hat der bekannte Spreewaldort ein Rechtsextremismus-Problem?

Die Polizei ermittelt nach eigenen Angaben seit Dienstag zu den Vorfällen und hat an der Schule auch schon erste Vernehmungen durchgeführt, wie Sprecher Maik Kettlitz darstellt. Zudem sei über das Internet eine Anzeige zu den Vorfällen eingegangen.

Rechte Vorfälle werden an Schulen aus Sicht der Amadeu Antonio Stiftung noch zu oft herunter gespielt. Schulleitungen wiegelten ab und bagatellisierten Vorkommnisse als Dumme-Junge-Streiche, sagt der Sprecher der Stiftung, Lorenz Blumenthaler. Lehrkräfte, die etwa Hakenkreuz-Schmierereien und andere Fälle meldeten, fühlten sich oft allein gelassen.

«An vielen Schulen überall in Deutschland kommt es zu rechten Vorfällen. Es dringt aber selten nach außen»

Schulleitungen wüssten häufig nicht, wie sie mit Rechtsextremismus im Schulalltag umgehen sollten, sagt Blumenthaler. Zudem sorgten sie sich um den Ruf der Schule. «An vielen Schulen überall in Deutschland kommt es zu rechten Vorfällen. Es dringt aber selten nach außen.»

Der Brief von Lehrkräften aus dem Spree-Neiße-Kreis kann aus Sicht Blumenthalers eine Chance sein, dass eine offene Debatte angestoßen wird. Die Amadeu Antonio Stiftung, die sich unter anderem gegen Rassismus und Rechtsextremismus engagiert, spüre seitdem bereits mehr Beratungsbedarf von Schulen – die Zahl der Anfragen steigt.

Der Hilferuf der Lehrkräfte hat auch die Politik aufgeschreckt. Im Bildungsausschuss sind die Vorfälle auf Antrag der Linksfraktion Thema. Und der Fachverband Jugendarbeit/Jugendsozialarbeit in Brandenburg hat von Lehrkräften signalisiert bekommen, dass es einen hohen Austauschbedarf zu Phänomenen der Jugendgewalt und des Rechtsextremismus gibt. «Wir müssen davon ausgehen, dass vergleichbare Vorfälle auch in anderen Regionen und in anderen pädagogischen Settings üblich sind», sagt der Geschäftsführer des Verbandes, Sebastian Müller.

Außerdem berichteten Fachkräfte der Schulsozialarbeit zunehmend, dass die Not- und Krisenberatung von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern seit der Corona-Pandemie stark zugenommen hat. Um den hohen Beratungsbedarf zu decken, könnten etwa Präventionskurse im pädagogischen Alltag oft nicht im notwendigen Umfang durchgeführt werden. «Wir leiten daraus ab, dass persönliche und familiäre Krisen unter jungen Menschen spürbar zugenommen haben.» News4teachers / mit Material der dpa

Lehrer engagieren sich in einem Modellversuch gegen Rechtsextremismus – und stoßen auf Widerstand unter ihren Kollegen

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4 Kommentare
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Rüdiger Vehrenkamp
11 Monate zuvor

Was ich mich frage: Wie kommt denn rechtsextreme Musik in den Unterricht? Lässt die eine Lehrkraft während des Kunstunterrichts im Hintergrund laufen oder wird sie kritisch im Unterricht behandelt? Bringen Schüler diese Musik mit oder sind es Lehrkräfte, die ihre Klasse somit indoktrinieren? An Björn Höcke sieht man ja, dass Rechtsextremismus selbst (ehemalige) Lehrerinnen und Lehrer vereinnahmen kann.

Carsten60
11 Monate zuvor

Der AfD-Bundestagsabgeordnete Götz Frömming war vorher Studiendirektor an einem Gymnasium in einem echten Brennpunktviertel von Berlin, einem der ärmsten Stadtteile mit hohem Migrantenanteil (auch Muslimanteil). Hat man je Klagen über ihn als Lehrer gehört?

nachdenklich
11 Monate zuvor

Mir wird im schulischen Bereich generell zu viel bagatellisiert. Die Gründe dafür mögen vielschichtig sein. Umso wichtiger ist dieser Bandbrief! Ich wünsche mir mehr Beispiele solcher Zivilcourage!