Psychologie: Für (Mathematik-)Lehrkräfte war der „Corona-Schock“ schlimmer als der „Praxis-Schock“ im Berufseinstieg

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FREIBURG. Wie haben Lehrkräfte die Corona-Krise erlebt – und überstanden? Eine psychologische Langzeitstudie, die bereits vor 16 Jahren unter angehenden Mathematik-Lehrkräften begonnen, später mit denselben Personen fortgesetzt und während der Pandemie aktualisiert werden konnte, erlaubt einen tiefen Einblick. Danach war die Erschöpfung bei den meisten Teilnehmenden enorm – größer als in der gemeinhin als stressig geltenden Berufseinstiegsphase.

Die Angaben der teilnehmenden Mathematik-Lehrkräfte sind sicher übertragbar auf alle Lehrkräfte (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Im Rahmen einer Langzeitstudie haben Forschende die Bedeutung der Corona-Pandemie für das berufliche Wohlbefinden von Mathematiklehrkräften untersuchen können: Auf einer Skala von 1 bis 4 stieg die mittlere emotionale Erschöpfung der Lehrerinnen und Lehrer von 1,89 im Jahr 2019 auf 2,41 im Jahr 2021. Gleichzeitig nahm der Enthusiasmus für das Unterrichten im Mittel ab, und zwar von 3,52 in 2019 auf 3,21 in 2021. Diese Tendenzen konnten unter anderem durch gute technische Ausstattung an der Schule abgefedert werden, zudem spielte die individuelle Persönlichkeit eine Rolle bei der Betroffenheit.

Durchgeführt wurde die Studie von Prof. Thamar Voss, Bildungsforscherin und Professorin für Empirische Schul- und Unterrichtsentwicklungsforschung am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Freiburg, zusammen mit Prof. Uta Klusmann vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik in Kiel, Nikolaus Bönke von der Universität Freiburg, Prof. Dirk Richter von der Universität Potsdam und Prof. Mareike Kunter von der Universität Frankfurt. Erschienen ist die Studie in der Zeitschrift für Psychologie.

Die Autorinnen und Autoren analysierten Daten aus sechs Befragungen, die im Zeitraum von 2007 bis 2022 stattfanden. Befragt wurden Mathematiklehrkräfte unterschiedlicher Schulformen, die ersten zwei Befragungen fanden bereits 2007 und 2008 während ihres Referendariats statt, zwei weitere 2010 und 2019 und die zwei letzten während der Corona-Pandemie im Sommer 2021 und im Frühjahr 2022.

Die Forschenden konnten zeigen, dass die Pandemie mit großen Einbußen im beruflichen Wohlbefinden der Lehrkräfte einherging

In den Befragungen wurden den Lehrerinnen und Lehrern Statements vorgelegt, zu denen sie sich auf einer Skala von 1 bis 4 positionierten. Erfragt wurde der Enthusiasmus für das Unterrichten (zum Beispiel: „Ich unterrichte mit Begeisterung“; „Es macht mir immer wieder Spaß, den Schüler*innen etwas beizubringen“) und die emotionale Erschöpfung (zum Beispiel: „Ich fühle mich bei der Arbeit oft erschöpft“; „Ich fühle mich von meiner Arbeit insgesamt überlastet“).

In der ersten Befragung 2007 beantworteten die Mathematiklehrkräfte außerdem Fragen zu den Persönlichkeitsmerkmalen Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. 2021, während der Pandemie, gaben sie zusätzlich Auskunft über die technische Ausstattung ihrer jeweiligen Schulen, die Unterstützung durch Rektorinnen und Rektoren, Zusammenarbeit im Kollegium, Unterstützung durch Eltern sowie aktuelle Schwierigkeiten im Umgang mit Schülerinnen und Schülern.

Nicht alle der anfangs beteiligten Lehrerkräfte beantworteten sämtliche Fragebögen über die gesamte Dauer der Erhebung hinweg. Während die Stichprobe 2007 aus 856 Referendarinnen und Referendaren bestand, nahmen 2022 noch 214 Lehrkräfte an der Befragung teil – die meisten sprangen bereits nach Ende ihres Referendariats 2010 ab. Indes blieb die Zusammensetzung der Gruppe in etwa gleich, was beispielsweise soziodemographische Variablen betrifft. Die Forschenden nutzten entsprechend die Daten von 2007 als Ausgangswerte und konnten mithilfe moderner statistischer Schätzverfahren fehlende Werte ersetzen.

Die Forschenden konnten zeigen, dass die Pandemie mit großen Einbußen im beruflichen Wohlbefinden der Lehrkräfte einherging. Während der Pandemie waren die Lehrkräfte 2021 im Vergleich zu den Vorjahren laut ihren eigenen Angaben im Mittel emotional erschöpfter und weniger enthusiastisch. Durch den langen Beobachtungszeitraum wird deutlich, dass der von den Befragten wahrgenommene Stress während der Corona-Jahre das normale Niveau aus den Vorjahren überstieg. Die Lehrerinnen und Lehrer berichteten auch von größerer Erschöpfung als während der ebenfalls herausfordernden ersten Berufsjahre. „Der viel zitierte ,Praxisschock‘ in der Berufseinstiegsphase zeichnet sich in unseren Daten zwar auch ab, im Vergleich zu dem ‚Corona-Schock‘ ist der Effekt aber deutlich kleiner. Das war für uns überraschend“, so Voss.

Unterschiede je nach Arbeitsumfeld und Persönlichkeit der Befragten

Obwohl die Mittelwerte der gemessenen Emotionen einem klaren Trend folgen, variieren die Verläufe individuell zwischen Lehrkräften deutlich. Es zeigt sich, dass die Auswirkungen der Pandemie sowohl vom konkreten Arbeitsumfeld als auch von Persönlichkeitsmerkmalen abhängen. Lehrkräfte, deren Schulen über eine gute technische Ausstattung verfügten, gaben an, in der Pandemie weniger stark emotional erschöpft zu sein. Gleichzeitig nahm der Enthusiasmus für das Unterrichten ab und die Erschöpfung zu, wenn viele Schwierigkeiten im Umgang mit den Schülerinnen und Schüler bestanden, so dass beispielsweise häufige Ermahnungen während des (digitalen) Unterrichts nötig waren.

Bei Lehrkräften, die aufgrund ihrer Persönlichkeit besonders offen gegenüber Neuem sind, zeigte sich eine geringere Zunahme der emotionalen Erschöpfung in der Pandemie. Stark extrovertierte Lehrerinnen und Lehrer waren dagegen vermehrt von einer negativen Veränderung des Wohlbefindens betroffen.

„Wie die Daten aus unserer Studie zeigen, war 2022 nach den pandemiebedingten Schulschließungen nur ein leichter Erholungseffekt bezüglich des beruflichen Wohlbefindens der Lehrkräfte zu beobachten. Daher ist Unterstützung von Seiten der Politik oder von Schulleitungen auch jetzt noch notwendig“, betont Voss. Die Forscherinnen und Forscher wollen die Studie fortführen, um der Frage nach der Erholung weiter nachzugehen. News4teachers

Originalpublikation: Voss, T., U. Klusmann, N. Bönke, D. Richter, and M. Kunter: Teachers’ Emotional Exhaustion and Teaching Enthusiasm Before Versus During the COVID-19 Pandemic. In: Zeitschrift für Psychologie 2023 231:2, 103-114. DOI: 10.1027/2151-2604/a000520

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Bauklötzchen
9 Monate zuvor

Das gilt ja wohl für alle von uns! Ich habe seit Corona Panikattacken wenn ich in die Nähe meiner Schule komme, bin deshalb auch langzeitkrank. Besonders belastend ist dieser Zustand, weil sich die Schule im Ortszentrum befindet wo alle Cafés und Läden sind.

Lydia 1982
9 Monate zuvor
Antwortet  Bauklötzchen

Leider bin ich nicht darauf gekommen, meine psychischen Probleme publik zu machen um so eine Krankschreibung zu erhalten. Ich werde jetzt genau darauf achten was mich belastet und dann auch diesen Weg gehen. Wenn ich daran denke, dass ich noch 20 Jahre muss, dann wird mir ganz schlecht…

Ureinwohner Nordost
9 Monate zuvor

Die Vermutung, dass andere MINT-Lehrer betroffen sein könnten, trifft bei mir zu.

Zwei Naturwissenschaften gelernt, z.Z. noch in der Lehre an der Front.
Jedoch, mich hält nichts mehr im Schulbetrieb.

Rentenalter erreicht, raus aus dem Scheis*.

Das nachrückende Schülerklientel ist großteils nicht mehr unterrichtbar.

Mögen sich „moderne“ Lehrergenerationen darum kümmern.
In acht Monaten mache ich Schluss.

Glänzende Kinderaugen sind kein Austauschäquivalent im Laden.
Tut mir leid für die nächsten deutschen Generationen.

Gabriele
9 Monate zuvor

Lieber Ureinwohner Nordost,

mit der Bitte um Erläuterungen bzw. Aufklärung:

Was meinen Sie mit „z.Z. noch in der Lehre an der Front“? Naturwissenschaften „gelernt“? Studiert? Gelehrt?

Auch als NaturwissenschaftlerIn/MINT-Lehrkraft gibt man eine Visitenkarte unseres LehrerInnenstandes ab: also bitte, wenn es denn schon diese derbe Diktion sein muss: „Scheiß„.

Die (!) Klientel: Sind die SchülerInnen denn unsere AuftraggeberInnen?

Ureinwohner Nordost
9 Monate zuvor
Antwortet  Gabriele

Zur Erläuterung, liebe Gabriele:

1. zwei Naturwissenschaften studiert, Diplom-Lehrer für beide Fächer.

2. Lehre an der Universität in einem der Naturwissenschaften.

3. Forschung an der Universität und in der Privatwirtschaft.

4. Lehrer für meine beiden studierten Naturwissenschaften an einer Schule.

Sie sehen, alles normal.
Nach den letzten Jahren sage ich mir jedoch: Schluss mit dem Scheis*.

Ich habe keine Auftraggeber, sondern einen „Arbeitgeber“, bei dem ich einen sozialversicherten Job verrichte. Mehr nicht.

Lanayah
9 Monate zuvor

Das werden Äpfel mit Birnen verglichen. Der Praxisschock bezog sich eher auf die Klientel. Der Schock bei Corona war ein anderer, nämlich dass die Gesundheit und auch das Leben älterer und vorerkrankter Kolleg*innen irgendwie scheißegal war, und auch später ganz normales Arbeitsrecht für uns nicht galt. Diese Behauptungen, diese seltsame Parallelwelt in der wir uns damals mit 30 Schülern auf engem Raum befanden,sei das Sicherste überhaupt, während man nicht mal einen Perso beantragen konnte ohne langfristigen Termin.
Das Resultat war in beiden Fällen aber das Gleiche. Beim Praxisschock wurde mir klar, dass ich als Lehrerin nicht die Welt retten kann, sondern auch das eigene Überleben sichern muss. Bei Corona wurde mir klar, dass dem Großteil der Menschen das Überleben der Lehrer*innen egal ist, wenn denn die Kinder betreut sind. Diese Erkenntnis hat mich zwar nicht traumatisiert, mir aber noch mal einen letzten Realitätsschub versetzt und den letzten noch vorhandenen Idealismus gekillt. Für mich geht es tatsächlich hauptsächlich ums Überleben bis zur Pensionierung, bei gleichzeitiger Erfüllung meiner Dienstpflichten, aber mehr eben auch nicht.
Nicht Corona als Krankheit hat das bewirkt, sondern die Art und Weise,wie diesbezüglich mit uns umgegangen wurde.

Bauklötzchen
9 Monate zuvor
Antwortet  Lanayah

Genauso sehe ich das auch. Dieser Umgang mit uns Pädagogen brachte mich soweit, dass mich die Panikattacken überfielen. Mittlerweile kämpfe ich darum wegziehen zu können, weil mich dieses Schulgebäude zu sehr in meinem Leben einschränkt. Aber da kommt der Dienstherr seiner Pflicht nicht nach, mir einen neuen Lebensmittelpunkt ohne diese Einschränkungen zu stellen. Aber auch das wird sich noch ergeben, ich bin ja schon froh nicht mehr das Schulgebäude betreten zu müssen.

Lanayah
9 Monate zuvor
Antwortet  Bauklötzchen

Ich wünsche Ihnen alles Gute!

Teacherwithouthope
9 Monate zuvor
Antwortet  Lanayah

Dem kann ich 100%ig zustimmen! Und es wird weiter gelogen oder/und geschwiegen: https://sciencedirect.com/science/article/pii/S1755436523000373…
Schulen waren und sind Orte, an denen weder die SuS noch die Lehrer gesund bleiben können. Und selbst das Überleben ist eine sehr anstrengende Angelegenheit.

Ale
9 Monate zuvor
Antwortet  Lanayah

Na ja, bei mir war die Belastung hoch – weil man hat eben viel mehr Zeit investieren müssen: ein Tafelbild vs. 28 Schülerlösungen. Mit dem Onlineunterricht wurde das massiv besser, aber ich bin mir bewusst, dass nur wenige Schulen nach 2 Wochen entsprechend umgestellt haben. Wir sind und waren technisch sehr gut ausgestattet. Aber was massiv belastet – und zwar immernoch -sind die Krankheitsvertretungen, die ständigen Wiederholungen weil Schüler fehlen (auch die vielen verschiedenen Nachschreibearbeiten) und als Papa die Doppelbelastung, weil meine Kinder eben auch unter dem Ausfall leiden. Dazu die unnötigen neuen Verwaltungs- und Zielfindungsaufgaben.
Allen Kolleginnen und Kollegen viel Kraft und einen schönen Urlaub. Seit Corona müssen wir für uns 2 mal in Urlaub gehen und Kraft tanken. Sonst wäre ich schon längst im BurnOut.

My way
9 Monate zuvor
Antwortet  Lanayah

Mir ging es ganz genauso!
Nach anfänglicher Fassungslosigkeit, wie von den KuMis jeglicher Couleur alle wissenschaftlichen Ergebnisse ignoriert oder nur die, die in die Ideologie passten, als Handlungsbasis für Arbeitsbedingungen genommen wurden, für die andere bestraft worden wären (war da so was wie Fürsorgepflicht?), setzte bei mir eine große Ernüchterung und Entfremdung mit meinem Beruf ein, der bis dahin so was wie „Berufung“ war. Diese Entfremdung, gepaart mit realitätsfernen Bildungsplänen, einer Misstrauenskultur von oben etc., aber auch zunehmenden gesundheitlichen Problemen lassen mich meine Schullaufbahn ein paar Jahre früher als geplant beenden (ich kann das, ich bin GsD nicht verbeamtet).

Sternschnuppe
9 Monate zuvor
Antwortet  Lanayah

Kann ich nur unterschreiben. Das hat man und sieht man immer noch in manchen Kommentaren, wie gering die Wertschätzung ist. „Das gehört zum Risiko des Lehrerberufs dazu……….“ Auf der anderen Seite sollen Lehrerinnen und Lehrer alle möglichen Defizite ausgleichen. Ich denke, dass der Umgang während der Pandemie den Beruf noch unaktraktiver gemacht hat und dafür werden die Verantwortlichen in Zukunft die Rechnung bekommen. Leiden wird darunter das Bildungssystem, das immer schlechter wird und die Schüler, die nicht mehr mit dem Engagement von Lehrkräften rechnen darf. Es ist wirklich traurig.

Der Zauberlehrling
9 Monate zuvor

Den Praxisschock hat Felix Klein schon vor über 100 Jahren beschrieben:

 Der junge Student sieht sich am Beginn seines Studiums vor Probleme gestellt, die ihn in keinem Punkte mehr an die Dinge erinnern, mit denen er sich auf der Schule beschäftigt hat, und natürlich vergisst er daher all diese Dinge rasch und gründlich. Tritt er aber nach Absolvierung des Studiums ins Lehramt über, so soll er plötzlich eben diese herkömmliche Elementarmathematik schulmäßig unterrichten; da er diese Aufgabe kaum selbständig mit der Hochschulmathematik in Zusammenhang bringen kann, so wird er in den meisten Fällen recht bald die althergebrachte Unterrichtstradition aufnehmen.

Das schlimme daran ist, dass sich nichts geändert hat. Schade eigentlich. Ich habe schon Praktikanten von dannen ziehe sehen mit den Worten „das tue ich mir nicht an“.

Der Corona-Schock ist ein anderer – der trifft die Bestandslehrer gerade mit voller Wucht. Kapitelweise Lücke im Stoff der Unterstufe, trotz oder wegen des Distanz-/Fernunterrichts. Der Erstklässler braucht 12 Jahre bis zum Abitur. Und wenn der letzte Erstklässler aus dem letzten echten Coronajahr durch ist, sind viele von uns fertig oder fertig im Ruhestand.

Corona wird uns noch lange begleiten – in Form von Lücken oder von hinterhergeschmissenen Punkten im Abitur. Die Prüflinge der anderen Schularten haben keinen Nachteilsausgleich bekommen. Unfair wie immer – Hauptsache Abitur, sonst gibt es ja keinen echten Abschluss in der Republik.

0 Punkte zu schreiben ist nicht ursächlich auf zu wenig Zeit zurückzuführen, eher auf fehlende Kompetenz oder gar auf mangelndes Wissen.

Felix Klein wäre entsetzt über die Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse unserer derzeitigen Abiturienten. Fern von der allgemeinen Hochschulreife.

Freiya
9 Monate zuvor

Für mich war ein gravierender Einschnitt in meinem Selbstverständis als Lehrkraft erreicht, als die Kultusministerin meines Bundeslandes verkündete, dass jegliche Homeschoolingleistung meiner Schüler*innen nicht in eine irgendwie geartete Wertung einfließen dürfe. Meine Schüler*innen empfanden ähnlich. Nahmen vor der Verkündung dieser „Expertin“ noch 90% der Schüler*innen am Onlineunterricht teil sank danach der Prozentsatz auf 20%. Bravo