STUTTGART. Frauen können nicht einparken, Männer sind mit Multitasking überfordert – das sind Vorstellungen typisch weiblicher und typisch männlicher Eigenschaften. Solche Klischees lassen wenig Raum für Differenzierungen. Andererseits können Pauschalurteile helfen, die immer komplexere Welt zu verstehen. Doch wann wandelt sich das Urteil in ein Vorurteil, wann wird die Kategorisierung zur Beleidigung. Wer definiert den Kipppunkt?
Wahrscheinlich legt jede und jeder – geprägt von eigenen Erfahrungen, gesellschaftlichem Umfeld und möglicherweise empirischen Daten – individuell fest, wann eine Verallgemeinerung noch akzeptabel erscheint und wann sie zum verbalen Übergriff wird. Bei solch kniffeligen Fragen raten Fachleute den offenen Austausch über Sprache und ihre Bedeutung. Zunächst der Versuch einer Begriffsklärung:
Klischee in der Drucktechnik
Der Begriff cliché stammt aus der französischen Druckersprache. «Es ist ein Wort, das lautmalerisch den Vorgang beschreibt, wenn ein Blatt Papier auf eine mit Farbe benetzte Druckplatte – das Klischee – gelegt wird», erläutert Henning Lobin, Direktor des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim. «Anders als zu Gutenbergs Zeiten werden Texte ab dem 18. Jahrhundert nicht mit einzelnen Buchstaben gedruckt, sondern mit Verfahren, bei denen eine Druckplatte für eine ganze Seite zum Einsatz kommt – ein Klischee.»
Dies ermöglichte die massenweise Reproduktion von Druckwerken. Die vielfache Nutzung des Klischees bildet quasi die Brücke zu der übertragenen Bedeutung des Worts im Sinne von etwas Erwartbarem, Wiederkehrenden und Allgemeinen.
Eine linguistische Besonderheit
Das dem Französischen entlehnte Wort Klischee füllt nach Ansicht Lobins eine Lücke im deutschen Wortschatz; deshalb falle auch eine Übersetzung so schwer. «Stereotyp, Vorurteil oder schablonenhaftes Denken – all das passt nicht so richtig gut», meint der Linguistik-Professor.
Klischees seien auch nicht per se etwas Schlechtes: «Das Klischee des typischen Franzosen etwa beinhaltet für mich Lebensart, Sinn für Mode und Schönheit sowie ein gewisses Maß an Laissez-faire.» Eigenschaften, die viele Deutsche mit den Nachbarn verbinden – ohne irgendwelche negative Hintergedanken.
Latenter Rassismus
Andererseits gibt es Vorurteile, die Menschen von klein auf eingetrichtert bekommen. Nina Guérin, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle in Baden-Württemberg, nennt eines: Manche Frauen drückten instinktiv ihre Handtasche näher an sich, wenn ein junger Schwarzer Mann an ihnen vorbeigeht. Ein reflexartiges rassistisches Klischee, nach dem junge Schwarze Männer verstärkt klauen. «Es handelt sich um eine unbewusste Rollenerwartung, also ein Stereotyp», sagt Guérin. Ähnlich sei die Vorstellung, Menschen mit körperlichen Behinderungen seien weniger schlau als solche ohne oder arabisch-stämmige Schulkinder seien weniger leistungsfähig. Guérin: «Schubladendenken ist Nährboden für Diskriminierung.»
Sind Schubladen tabu?
Schubladen sind nicht prinzipiell abzulehnen, meint hingegen Lobin. Es komme ganz darauf an, was darin ist. Klischees seien wichtig, um die komplexe Welt um uns herum ordnen, sich in ihr zu orientieren und entsprechend verhalten zu können, ohne ständig von neuen Sachverhalten verwirrt zu werden. Kritisch sei nur, wenn die Schubladen so vollpackt seien, dass für Spezifisches, das ein Mensch oder eine Situation mit sich bringt, kein Platz mehr ist: «Klischees verhindern, dass wir Besonderheiten wahrnehmen.»
Farbe statt Schwarz-Weiß
Kommunikationswissenschaftler Bernhard Pörksen fordert dazu auf, «die Welt in ihrem großen, grummelnden Durcheinander, in ihrer Farbigkeit und ihrer Fülle und in ihren diffus schillernden Kontrasten kommen zu lassen, bevor man gleich wieder selbst fabrizierte Schwarz-Weiß-Zeichnungen liefert». Der Professor der Uni Tübingen rät in seinem Essay «Der feine Unterschied» über den vergiftenden «Pauschalismus» in der öffentlichen Debatte: «Du sollst nicht vorschnell generalisieren! Erstmal abwarten. Luft holen.»
Wer Macht hat, macht Klischees
Klischees entstehen oft im Zusammenhang mit Macht-Ungleichgewicht in Gesellschaften, wie Politologin Guérin beobachtet hat: zum Beispiel zwischen Männern und Frauen, Menschen ohne körperliche Handicaps und solchen mit, Weißen und Schwarzen.
Klischees können im Laufe der Jahre aber auch ihren bisherigen negativen Beigeschmack verlieren. Die Expertin erläutert: «Das beleidigende Wort “fat” haben US-Aktivistinnen für sich vereinnahmt und zur Grundlage eines positiven Selbstbildes gemacht.» Auch das vormals als Beleidigung genutzte Attribut «schwul» habe eine solche Wandlung durchlaufen. Grundsätzlich sei ein sensibler und respektvoller Umgang mit Bezeichnungen von Menschen wichtig.
Grenzen ausloten
Nach Lobins Überzeugung lassen sich Klischees auch aufbrechen. Im Gespräch sollte man nicht nur einfach Meinungen austauschen, sondern die Begriffe, in die diese gekleidet sind, hinterfragen. Was bedeutet es, wenn du X sagst? Was meinst du damit, wenn du sagst, typisch Mann? Lobin ist überzeugt, «dass wir häufiger über Sprache miteinander sprechen sollten, um uns genauer zu verstehen».
Pörksen, Co-Autor des Buchs «Die Kunst des Miteinander-Redens», argumentiert ähnlich. Er sieht den Weg aus durch Pauschalurteile aufgeheizten Debatten im unaufgeregten Gespräch darüber, wie man miteinander umgehen möchte. News4teachers / mit Material der dpa
Umfrage: Mehrheit der Schüler ist in der Schule mit Rassismus konfrontiert
Der Mensch hat einen sehr feines Gespür für potenzielle Gefahr, die oder auch nicht von Situationen, Orten, anderen Menschen ausgeht.
Ansonsten würde es reichen, wenn nicht jede Äußerung auf die Goldwaage gelegt wird und vielleicht nicht alles bei unbekannten Personen sofort frei raus geäußert wird.
Der Mensch kann aber auch daran denken, dass er nicht mehr in der Steinzeit lebt und den Instinkt mit Kultur ausgleichen kann 😛
Es wird halt hier viel Doppelmoral ausgelebt. Einerseits fordert die Linke immer alle Vorurteile abzubauen und dass es keine Muster und Klischees geben würde, aber selbst wohnt man dann doch nicht im Brennpunkt und vermietet im Zweifel doch lieber an deutsche Mieter wenn man auf Nummer sicher gehen muss.
Mein Highlight war damals meine sehr linke Unifreundin, die eine Wohnung in Berlin gesucht hatte: “Suche Wohnung! Kein Neukölln, kein Kreuzberg….”
Dieses Gespür ist auch sinnvoll. Man musste schließlich immer in Sekundenschnelle entscheiden, ob der Andere vertrauenswürdig ist, und das ist der der eigenen Gruppe. Alles andere ist eine zivilisatorische Errungenschaft, die durch Nachdenken geschieht und daher länger dauert. Ich würde den Leuten ihr Bauchgefühl nicht ausreden, das rettet Leben und Besitz. Aber die Schule ist etwas anderes, da greift wiederum das bewusste Denken. Also zumindest vorsichtig zu sein, wenn mir nachts sechs POC Jugendliche entgegen kommen, ist angemessen. Aber den gleichen Jugendlichen in der Schule anders zu beurteilen geht gar nicht.
Sie wegen der Hautfarbe anders zu behandeln ist falsch, der Vorwurf der Schlechterbehandlung aufgrund der Hautfarbe bei schlechter Noten auch.
Ich persönlich habe schon einige Schwarze unterrichtet. Ihre Leistungsfähigkeit und ihr Leistungswille streute ähnlich wie bei Weißen von super bis falsche Schulform.
Ein sehr spannendes Feld, um sich selbst kennen zu lernen und Demut zu üben. Es geht ja bei Klischees nicht nur um das Empfinden, sondern auch um den Umgang mit den eigenen Gefühlen. Ich finde eben dafür ist die Schule ein Ort des Lernens!
Gibt es auch Mal Beispiele für Klischees, die weder aus dem letzten Jahrhundert stammen( Frauen – einparken) aber auch statistisch vollkommen falsch sind( junge Migranten – höhere Kriminalitätsrate ist ja nicht ganz falsch) ?
Ich habe überhaupt keine Vorurteile, ich habe Erfahrungswerte …