Studie: Bruttovermögen und Schulden entscheiden über Bildungschancen

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MANNHEIM. Vermögensunterschiede beeinflussen Bildungschancen. In der bisherigen Forschung dazu steckt jedoch allzu oft ein systematischer Fehler, konstatiert eine aktuelle Studie.

Kinder aus reichen Haushalten haben bessere Bildungschancen als Kinder mit armen Eltern. Soweit die Binsenwahrheit. Intuitiv scheint es dabei naheliegend, von „echtem“ Reichtum auszugehen und dementsprechend ist in der Forschung bislang Vermögen weitgehend als Nettovermögen angesetzt. Für die Sozialwissenschaftler Jascha Dräger, Klaus Pforr und Nora Müller greift dieser Ansatz allerdings zu kurz, denn Vermögen bestehe aus mehreren Komponenten mit unterschiedlichen Eigenschaften.

Ein Junge im Grundschul- oder Kindergartenalter schaut skeptisch auf einen Rechenschieber.
Vermögen ist nicht gleich Vermögen. Der Zusammenhang von Vermögen und Bildungschancen ist schon von daher nicht eindimensional. (Foto: Shutterstock)

In einer aktuellen Studie schlagen die Sozialwissenschaftler vor, statt des Nettovermögens den Nettobetrag in Bruttovermögen und Schulden aufzuspalten und ihre gemeinsame Wirkung zu betrachten, um so einer falschen Darstellung von Vermögenseffekten entgegenzuwirken. Vermögen spiele eine wichtige Rolle bei der Analyse sozialer Ungleichheit. Dennoch hänge der Einfluss des Faktors Vermögen bei den Ergebnissen stark davon ab, wie man den Zusammenhang modelliert.

„In einer Simulationsstudie konnten wir zeigen, dass dieser Ansatz systematische Vermögensunterschiede genauer beschreibt und gleichzeitig vermeidet, Muster in den Daten zu finden, die nicht da sind“, erklärt Nora Müller den Ansatz ihrer Forschungsarbeit.

Anschließend wendeten die Wissenschaftler den Ansatz an, um Vermögensunterschiede beim Bildungsniveau in den Vereinigten Staaten neu zu analysieren. Dabei kamen sie zu dem Schluss, dass die Betrachtung des Nettovermögens zu einer falschen Vorhersage führte, welche Kinder sehr gute und welche Kinder sehr schlechte Bildungsaussichten haben.

Drägers, Pforrs und Müllers Analysen zeigten hingegen: Nicht Kinder mit hohem Nettovermögen, sondern Kinder mit hohem Bruttovermögen, unabhängig von der Höhe der Verschuldung, haben die besten Bildungsaussichten. Sie haben eine höhere Chance, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen als Kinder mit geringem Bruttovermögen und geringer Verschuldung.

Andererseits hatten nicht Kinder mit niedrigem Nettovermögen, sondern Kinder mit geringem Bruttovermögen und geringer Verschuldung die schlechtesten Bildungsaussichten. Sie hatten ein höheres Risiko, keinen Schulabschluss zu erreichen als Kinder mit hohem Bruttovermögen und hoher Verschuldung.

Die Ergebnisse der Studie seien wichtig für die Analyse sozialer Ungleichheit und für die Entwicklung von Maßnahmen zur Förderung von Bildungschancen für alle Kinder und Jugendlichen. Nicht nur habe die Anwendung des Ansatzes auf Wohlstandsunterschiede beim Bildungsniveau gezeigt, dass es zumindest teilweise nötig sei, das Verständnis darüber, wie Wohlstand die Bildungschancen von Kindern beeinflusst, zu überdenken. Die Aufteilung des Nettovermögens in Bruttovermögen und Schulden könne auch das theoretische Verständnis der Mechanismen vertiefen, die dem untersuchten Zusammenhang zugrunde liegen. (zab, pm)

Wie sich Chancengerechtigkeit in der Bildung verbessern lässt – und woran es beim Startchancen-Programm des Bundes (noch) hakt

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29 Kommentare
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Bernd
6 Monate zuvor

Finde ich plausibel, wenngleich in den usa die studienschulden eine wichtige zusätzliche Rolle spielen. In Deutschland spielt der Hauskauf eine wichtige Rolle. Der erhöht das Bruttovermögen enorm, das nettovermögen wird auf einen Notgroschen reduziert.

Alx
6 Monate zuvor

Wenn die Bildungsabschlüsse in den USA im Kontext von finanziellen Mitteln untersucht werden, lässt sich das überhaupt nicht sinnvoll auf das deutsche System übertragen.

Die USA haben Jahresbeiträge im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich, die von den Familien privat zu entrichten sind.
Deutschland hat BAföG und Teilhabepakete.

polly
6 Monate zuvor

Aber all das sind nur Korrelationen und keine schlüssigen Erklärungen. Es müsste erklärt werden, dass und warum ein plötzlicher Vermögenszuwachs (z.B. durch einen Lottogewinn) die Bildung nun drastisch erhöht. Es könnte ja auch Leute geben, die gar kein Vermögen aufbauen wollen, sondern alles Geld ausgeben. Man denke an Boris Becker, der erst gut verdient hat und am Ende durch eigene Schuld überschuldet war.

PaPo
6 Monate zuvor
Antwortet  polly

Mehr Vermögen korreliert i.d.R. wohl auch mit anderen Faktoren, die den Bildungserfolg positiv beeinflussen, z.B. den Möglichkeiten diverse (private) Nachhilfen resp. Förderprogramme zu finanzieren, den eigenen Kindern (auch spontan) Bücher(!)zu kaufen, Kindern eigene Rückzugsräume (ein eigenes Zimmer) und Freiheiten (z.B. nicht die jüngeren Geschwister wie ein Elternteil ganztägig erziehen müssen, weil die ‚alleinerziehende‘ Mutter – besonders armutsgefährdet – arbeiten muss) zu bieten, ineinem förderlichem Milieu stuiert zu sein, kognitiv-intellektuell (und sozial) förderliche Hobbies, Freizeitaktivitäten und Co. zu ermöglichen, und auch spezifische Erwartungshaltungen und Erziehungsstile der Eltern (Stichwort: Zirkelthese der Sozialisation) etc.

Stattdessen immer nur nach dem Vermögen zu gucken, das ist natürlich sozialwissenschatlich absolu tunterkomplex.

PaPo
6 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Diesbzgl., i.V.m. der genetischen Bedingtheit von Intelligenz und dem Umstand, dass hierzulande eine allg. (kostenlose) Schulpflicht herrscht, Qualifikation, Selektion und Allokation über Leistungen in der Schule, welche hinreichend mit den dort allg. verfügbaren Mitteln und Materialien erfolgen kann (d.h. Leistungserfolg liegt nicht hinter einer Schranke, wie dem Erwerb teurer Spezialliteratur mit zusätzlichen Inhalten, ohne die Leistungsziele nicht erbringbar wären o.ä.), verpuffen auch diese unsäglichen Gerechtigkeitsdiskurse.

Der Vorwurf der Ungerechtigkeit bedarf eines Adressaten, der eine (vermeintl.) Ungerechtigkeit herstellt u./o. fördert. Der Staat und die Schulen speziell fallen hier aber raus, es bleibt eine ungleiche Verteilung von Ressourcen als Ursache, individuelle Lebenentscheidungen der Erziehungsberechtigten und kognitiv-intellektuelle Kapazitätslimits, die bereits derart mittels allerlei Konzessionen nivelliert werden sollten, dass sie z.T. die Leistungsgerechtigkeit negativ beeinflussen.

Dil Uhlenspiegel
6 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

„nur nach dem Vermögen zu gucken“ – Wir bräuchten genau dazu eine Studie, in der z.B. ich eine Mio. zur freien Verfügung bekomme und nach 10 Jahren schauen wir, ob ich höhere Bildungschancen hatte.

[Spoiler: Nö, aber dafür sind andere dann die Dummen.]

PaPo
6 Monate zuvor
Antwortet  Dil Uhlenspiegel

Da mache ich mit!

Bernd
6 Monate zuvor
Antwortet  polly

Boris Becker, diverse Fußballer, Chico (oder wie der Lottomillionär aus dem Ruhrgebiet heißt) können auch nicht wirklich mit Geld umgehen, gleichzeitig wirken sie nicht unbedingt kognitiv hochbegabt. Die Profisportler müssen das auch nicht, weil sie in ihrer Nische hochbegabt sind.

447
6 Monate zuvor
Antwortet  polly

Achtung, schwerer Tabubruch incoming:

1. Wer intelligent und leistungsfähig ist, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr (auch offizielles, messbares) Vermögen.
2. Intelligenz ist mindestens zu großen Teilen erblich, soziale „Vererbung“ (Habitus, Selbstbild, Frustrationstoleranz, Belohnungen aufschieben können usw. usw.) kommt dazu.

Daraus folgt:
Intelligente Menschen bzw. deren Kinder sind überdurchschnittlich häufig gut in der Schule (denn die belohnt bürgerlichen Habitus/Fleiß und Intelligenz).

Also werden „Untersuchungen“ das immer rausfinden.

Und nein, das heisst nicht, dass diese Menschen dadurch irgendwie moralisch bessere Menschen wären.

Aber facts gonna fact – egal wie sehr man versucht das umzudeuten.

In einer Gesellschaft wo es UMGEKEHRT wäre (also je ärmer, je ferner dem bürgerlichen Leistungsideal = um so bessere Aufstiegschancen) möchten die meisten Menschen wahrscheinlich eher … sagen wir mal, ungerne, leben.

PaPo
6 Monate zuvor
Antwortet  447

Stimmt, die genetische Komponente von Intelligenz sollte man nicht vergessen.

Lisa
6 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Intelligenz braucht das entsprechende Umfeld, um gefördert zu werden. Das besteht hierzulande im Unterschied zu armen Ländern mit öffentlichen Bibliotheken, Schulen, Mediatheken etc aber durchaus.

SoBitter
6 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Dagegen stehen der geringe äußere Druck und die soziale Hängematte bei gleichzeitig im Vergleich zum Bürgergeld kaum höhere Mindestlohn.

Dil Uhlenspiegel
6 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Und Bibliotheken, Schulen, Mediatheken usw. nutzt dann wieder wer mit besonderer Hingabe? … also doch ein Kreis.

Uwe
6 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Intelligenz kann überhaupt nicht definiert werden , also ist der Satz „Intelligenz wird vererbt“ genauso sinnvoll wie ulla ulla ulla. Halt ein Sinnlossatz. Man sollte sich auf solche Diskussionen gar nicht einlassen sondern lieber überlegen wer eine Nutzen davon hat so etwas zu behaupten. Naja und dann fängt es an unangenehm nach Sozialdarwinismus und der biologistischen „Rechtfertigung“ von sozialen Ungerechtigkeiten zu müffeln.

Alx
6 Monate zuvor
Antwortet  Uwe

Doch, Intelligenz kann freilich definiert und ermittelt werden.
Intelligenz ist sogar der zuverlässigste Prädiktor für beruflichen Erfolg.

Alx
6 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Es gibt einen wissenschaftlichen Diskurs über den Intelligenzbegriff.
Daraus lässt sich nicht die Nichtexistenz von Intelligenz ableiten.
An Definitionen mangelt es ja offensichtlich nicht, wie Sie es soeben belegt haben.

PaPo
6 Monate zuvor
Antwortet  Uwe

Natürlich kann Intelligenz definiert und entsprechend operationalisiert werden, wie jede andere beobachtbare Eigenschaft auch; fiy PubMed und Co. Das Intelligenz ein multidimensionales Phänomen ist, widerspricht dem nicht. Auch nicht die Existenz inadäquater Definitionen, wie etwa dass Edward G. Boring (der Vater des Intelligenztests) salopp bemerkte, Intelligenz sei, was der Intelligenztest messe. Es kann nur um Grade der Intersubjektivierbarkeit, der Validität gehen. Und natülich besteht ein kausaler Zusammenhang zwischen (spezifischen Formen der) Intelligenz und den Fähigkeiten zum Lösen bestimmter Probleme. Gesetz dem Fall, das schulischer Erfolg auch von schulischen Maßnahmen zur Kontrolle entsprechender Probemlösefähigkeiten abhängt, ist Intelligenz bzw. sind bestimmte Formen derselben auch(!) ein Faktor für den Bildungserfolg.

Es geht mithin nichtum „Rechtfertigung“, sondern Erklärungen, welche Faktoren soziale Ungleichheit wie bedingen. Aber „Sozialdarwinsmus“… klar.

polly
6 Monate zuvor
Antwortet  PaPo

Es gibt jedenfalls einen längeren Wikipedia-Artikel zu „Intelligenz“. Darin heißt es, der „g-Faktor der Intelligenz“ sei „eines der reliabelsten und validesten Konstrukte der Psychologie“. Immerhin.
Ich fürchte, die vielzitierte „Gerechtigkeit“ kann man auch nicht perfekt präzise definieren, sondern es scheint mehrere Arten davon zu geben. Es bleibt bei solchen Dingen immer eine gewisse Unschärfe.

Uwe
6 Monate zuvor
Antwortet  447

Achtung, schwerer Tabubruch incoming:“

Kein Tabubruch sondern halt Schwachsinn

447
6 Monate zuvor
Antwortet  Uwe

Ok. *kopftätschel*

vhh
6 Monate zuvor

Kausalität und Korrelation, wann wird das einmal einbezogen und nicht sofort eine weltbewegende Entdeckung postuliert?
Auch noch USA… : Hohes Bruttovermögen z.B schuldenfinanziertes Haus, American Dream, entsprechende Umgebung – Überraschung, die Schulen sind gut ausgestattet, sogar wenn das Nettovermögen negativ ist. Gegenbeispiel: prekärer Job, deshalb Wohnung im innerstädtischen Brennpunkt – Schulen dort unterfinanziert (alles andere wäre ja ‚Socialism‘), da kann das Nettovermögen mit 100 Dollar sogar höher sein.
Gehen die meisten Studien nicht sowieso vom ‚verfügbaren Haushaltseinkommen‘ statt von irgendeinem Vermögen aus?

Anka
6 Monate zuvor

Ich nehme an dass Personen Dank ihrer Ausstattung an Intellekt und Kompetenzen, ihrer genossenen Sozialisation, ihrer Motivation und Leistungsfähigkeit etc..dann durch ihre eigene Biografie und Leistungen vermögender geworden sind als Personen ohne diese “ Vorteile“ ( ok, Fußballer, Nur- Erben und fragwürdige überbezahlte Promis mal ausgenommen). Ich nehme an dass deren Kinder tendenziell auch eine bessere Bildungsbiografie erfahren. Denn in deren Familien werden ja nicht nur die Vorteile von Vermögen bzw. ökonomischer Kompetenz und Wohlstand bildungswirksam!! Intellekt und Tugenden der Eltern sind an die Kinder weitergegeben, familiäre Förderung, Anregung und Erziehung von Anfang an erteilt worden, bzw. sowohl wegen der finziellen Möglichkeiten als eben auch der Kompetenzen der Eltern Benachteiligungen der Kinder ausgeglichen worden, z.B. weil die Eltern die Bedarfe der Kinder erkennen können,aktiv etwas unternehmen, auch ihre eigenen Kompetenzen ausbauen etc. Damit plus Vermögen haben diese Kinder doch gute Chancen ihre Bildungskarriren zu machen. Wurde erforscht ob es mehr als das Vermögen die Kompetenzen der Eltern( nicht deren höchster Abschluss ist dafür entscheidend!!) sind,die die Bildungschancen bestimmen?

Frank
6 Monate zuvor

an all die Kommentierenden, die wieder alles besser wissen. LESEN bildet. Schaut euch das verlinkte paper erst mal an, bevor ihr alles besser wisst. Hauptsache, klug daherreden von Korrelation und Kausalität, aber weder Forschungsfrage noch Daten noch Analysemethode durchdrungen haben. Ob ihr es glaubt oder nicht, werte Lehrkräfte, es soll auch noch andere Menschen geben, die ihr Handwerk verstehen, nicht nur ihr.

PaPo
6 Monate zuvor
Antwortet  Frank

Habe ich, deshalb ja meine Kommentare.

potschemutschka
6 Monate zuvor
Antwortet  Frank

@Frank
Sie haben sicher recht. Leider ist die verlinkte Studie auf Englisch. Dafür reichen meine En-Kenntnisse leider nicht aus. Es wäre sehr nett, wenn Sie an ein paar Beispielen (bitte populär-wissenschaftlich im Stil von Prof. Harald Lech z. B.), die Zusammenhänge zwischen Brutto, Netto, Schulden usw., in Bezug auf Bildungschancen erklären könnten. Ich glaube, für entsprechende und verständliche Beispiele wäre nicht nur ich Ihnen sehr dankbar, denn der Artikel oben ist nicht sehr aussagekräftig (meine Meinung).

Bernd
6 Monate zuvor
Antwortet  Frank

Gerade bei sozialwissenschaftlichen Studien aus der Vergangenheit sind entweder Selbstverständlichkeiten untersucht und bestätigt worden oder es gab nicht nur einen Hauch von im Vorfeld als zu bestätigendes und einen politischen Einschlag habendes Ergebnis. Daher ist Skepsis immer angebracht.

GriasDi
6 Monate zuvor

Vielleicht entscheidet aber auch die Einstellung der Eltern zur Bildung und zur Schule. Die anderen Effekte (Bruttovermögen, Schulerfolg) wären dann Folgen dieser Einstellung.