„Verwahrung“ statt pädagogischer Arbeit: Kita-Fachkräfte schlagen Alarm

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Berliner Kita-Erzieherinnen aus Eigenbetrieben des Landes schlagen wegen des Personalmangels Alarm. Laut Gewerkschaft Verdi haben rund 2600 Erzieher seit Anfang Oktober eine kollektive Gefährdungsanzeige unterschrieben, die an diesem Donnerstag an Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) übergeben werden soll. Sie erwarte noch weitere 400 Unterschriften, sagte Gewerkschaftssekretärin Tina Böhmer am Dienstag in Berlin.

„Permanent über seine Belastungsgrenzen hinaus.“ (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Die kollektive Anzeige solle zeigen, dass das Problem nicht nur einzelne Erzieher betreffe, sondern systemisch sei. «Wir sehen im politischen Handeln keine substanzielle Trendwende und müssen deshalb zu drastischeren Maßnahmen greifen», sagte Böhmer. Familienstaatssekretär Falko Liecke (CDU) bezeichnete die Aktion als «reine Symbolpolitik», die wenig mit den Realitäten zu tun habe.

Erzieherinnen berichten, dass es oft nur noch um die Verwahrung der Kinder gehe. «Es sind keine pädagogischen Angebote mehr möglich. Man geht permanent über seine psychischen und physischen Belastungsgrenzen hinaus», sagte etwa Ulrike Schulz, die in einer Kita des Landes Berlin arbeitet.

Tage, an denen mehr als die Hälfte des Personals bei voller Kinderzahl fehle, seien nicht selten. «Man hofft dann, dass man den Tag übersteht, dass es vorbeigeht und fängt an, die Stunden zu zählen», so Schulz. Oft gehe es nur noch darum, die Grundbedürfnisse der Kinder abzudecken. «Ein Buch vorlesen – das fällt dann weg», so Schulz. Statt pädagogischer Angebote sei oft nur das freie Spiel möglich.

Die Situation führe dazu, dass der Beruf nicht mehr attraktiv sei und viele junge Erzieherinnen schon nach kurzer Zeit umsattelten. Aber auch langgediente Kolleginnen würden noch umschulen, sagte Böhmer. Gleichzeitig seien viele offene Stellen unbesetzt, weil kein geeignetes Personal gefunden werde.

«Wenn herbeigeredet wird, dass das System stets vor dem Untergang steht, ist das wenig Motivation für junge Menschen, den Erzieherberuf zu wählen und wird der Situation nicht gerecht», sagte Staatssekretär Liecke. Eigenbetriebe und freie Träger hätten die Aufgabe, für gute und attraktive Rahmenbedingungen zu sorgen.

Laut Bildungsverwaltung sind im Land Berlin 36.700 pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen tätig, darunter rund 7400 in Eigenbetrieben und rund 29.300 Personen bei freien Trägern.

Berlinweit lag die Personalquote demnach über alle rund 2900 Kitas bei rund 103 Prozent. Gesamtstädtisch sei von einem gedeckten Bedarf auszugehen. Laut Gewerkschaftssekretärin Böhmer sei etwa doppelt so viel pädagogisches Personal nötig, um einen ausreichenden Personalschlüssel zu garantieren. News4teachers / mit Material der dpa

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Ich_bin_neu_hier
5 Monate zuvor

Man sollte nicht vergessen: ErzieherInnen können, anders als verbeamtete Lehrkräfte, noch vergleichsweise einfach(er) umsatteln. Wenn also der Leidensdruck durch den Personalmangel hoch genug wird und schließlich ins Unermessliche wächst, und wenn infolgedessen eine kritische Masse an ErzieherInnen den Absprung wagt, kann das sehr schnell sehr unangenehm werden für das System.. für die Eltern… und damit letztlich auch für die POLITIK.

Angelika Mauel
5 Monate zuvor
Antwortet  Ich_bin_neu_hier

Positiv an der Misere finde ich, dass anscheinend zunehmend mehr Eltern von Kleinkindern sich keinen Illusionen mehr hingeben und statt 45-Stunden-Krippe lieber auf eine weniger lang andauernde Betreuung in der Tagespflege setzen – oder ihr Kind lieber selbst oder durch die Großeltern betreuen lassen. Und es wenn möglich etwas länger selbst betreuen.

lehrwerker
5 Monate zuvor
Antwortet  Angelika Mauel

Ja, das ist sehr positiv, dass der Staat sich einfach aus der Verantwortung zieht. Ich denke, das Argument kann man auf Schulen beziehen. Und schon haben wir auch keine Probleme an Grundschulen mehr. Ist doch positiv, wenn die Kinder von niemandem oder den Großeltern betreut werden. Vor allem in bestimmten ist das sicher sinnvoll. #Spracherwerb # Integration. Und auch, was Kindeswohl insgesamt angeht, ist es prima, wenn möglichst viel hinter verschlossenen Türen stattfindet, oder?

Ganz im Ernst: Ich kenne keine Eltern, die ihre Kinder zu Kita/Kiga schicken, wenn sie es – aus welchen Gründen auch immer – brauchen. Die Idee der verantwortungslosen Eltern, die ihre Kinder weitestmöglich abschieben, ist doch eine Mär. Und WENN es so wäre, wäre es im Sinne des Kindeswohls umso nötiger, dass es Einrichtungen gibt, die das auffangen.

Angelika Mauel
5 Monate zuvor
Antwortet  lehrwerker

Sie sind nicht wirklich auf meinen Beitrag eingegangen. Ohne Ironie: Es ist nicht positiv, wenn der Staat sich aus der Verantwortung zieht. Leider wurde der Betreuungsplatzausbau von Anfang an nicht auf verantwortungsvolle Weise betrieben. Es ging vo allem darum, angesichts der demografischen Entwicklung dafür zu sorgen, dass beide Eltern als Arbeitskräfte dem Markt möglichst in Vollzeit zur Verfügung stehen können.

Nun haben viele Eltern definitiv gemerkt, dass weder ihre Interessen noch die GRUNDBEDÜRFNISSE von Kleinkindern durch den geschaffenen Rechtsanspruch erfüllt werden. Schon vor Corona begann die Welle an Gründungen von Kitafachkräfteverbänden, was ein klares Zeichen dafür ist, wie wenig die Fachkräfte mit den Rahmenbedingungen in Kitas einverstanden sind. Eigene Kinder betreuen viele lieber länger daheim und würden ein Betreuungsgeld begrüßen, auch wenn es nicht so hoch wäre, wie die Kosten eines Krippenplatzes.

Wenn sogar die besonders personalintesive Betreung der Jüngsten nicht einmal mehr zu den vereinbaren Betreuungszeiten ermöglicht werden kann, dann sollte Eltern doch bitte ein Wahlrecht zugebilligt werden. Würden genug Eltern sich für ein Betreuungsgeld entscheiden, könnte man in den Einrichtunen vermutlich mehr Zeit für die Kinder haben, die dann hoffentlich in kleineren Gruppen bestmöglich zuverlässig betreut werden könnten.

Übrigens kenne ich es noch, dass sich Eltern mit und ohne Migrationshintergrund in Bildungsstätten zu Eltern-Kind-Kursen trafen. Die Kinder konnten andere kennenlernen. Man verabredete sich auf dem Spielplatz und besuchte einander. Wer Beratungsbedarf hatte, konnte beraten werden und die Kinder von Migranten schienen mir ohne Kita besser Deutsch zu lernen als es in den Einrichtungen heute der Fall ist. Es ist einfach zu laut in Kitas für einen beiläufigen Erwerb der Sprache. Die Förderung durch Pappkarten und Lerngeschichten ist nur ein kümmerlicher Ersatz für einen kindgerechten Alltag, der für Kleinkinder besser nicht hauptsächlich in einer Massenverwahrung stattfinden sollte.

lehrwerker
5 Monate zuvor

Wenn herbeigeredet wird, dass das System stets vor dem Untergang steht…“

Was für ein lügender Staatssekretär. Da wird gar nichts herbeigeredet. Dass es in Kitas und Kigas brennt, ist Fakt. Aber die Politik ignoriert einfach bestehende Probleme, unterstellt betroffenen Unaufrichtigkeit und guckt weg oder sucht den nächsten fetten Dienstwagen aus. Widerlich.

Angelika Mauel
5 Monate zuvor
Antwortet  lehrwerker

„Dass es in Kitas und Kigas brennt, ist Fakt.“ – Nö. Es ist lediglich eine gängige Floskel. Obwohl wir uns fragen sollten, inwieweit im Falle eines Brandes die Sicherheit von Kindern in Hochhauskitas gewährleistet werden kann, wurden sie sehr bejubelt. (Nicht nur von Politikern, auch von Fachkräften.) https://www.frankenfernsehen.tv/mediathek/video/spielen-auf-wolke-10-zu-besuch-bei-einer-brk-kita-in-nuernberg/ https://www.frankenfernsehen.tv/mediathek/video/eroeffnung-der-kita-wolke-10/
Ursula von der Leyen hat 2008 die Berliner Springer Kita „Die Wolkenzwerge“ im sechsten Stock persönlich besucht und sehr gelobt. „Ein herrliches Außengelände“ und „ein kluges pädagogisches Konzept“ hieß es aus ihrem Mund. Dabei handelte es sich beim Außengelände nur um eine geplattete Dachterrasse, umgeben von Gittern und Fangnetzen. Der Wind bewegte sogar ihre mit viel Haarspray fixierte Frisur…

Aber trotz der „Signalwirkung“ gibt es immer noch Verantwortliche bei der Feuerwehr, die den Brandschutz und die Sicherheit der Kinder noch so ernst nehmen, als ob es keine Brandmelder geben würde. – Brandmelder wurden übrigens in Kitas schon bei angekündigtem Feueralarm überhört.

Auch über die profanen Missstände müsste endlich mal berichtet werden. Mancher Sch…. wurde vermutlich nur deshalb nicht genehmigt, weil Feuerwehren oder Versicherungen den hochfliegenden Plänen ein Ende gesetzt haben.

Wenn Erzieherinnen die Aufsichtspflicht wirklich ernst nehmen und dazu mal wirklich nicht mehr als nur Dienst nach Vorschrift machen würden, dann wäre der Rechtsanspruch vermutlich nicht mehr formal aufrechtzuerhalten.