Debatte um Standards für Kitas: Mehr Betreuung bedeutet nicht mehr Qualität

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BERLIN. Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, das „Gesetz zur Weiterentwicklung der Qualität und zur Teilhabe in der Kindertagesbetreuung“ (das sogenannte Gute-Kita-Gesetz) bis zum Ende der Legislaturperiode gemeinsam mit den Ländern in ein Qualitätsentwicklungsgesetz mit bundesweiten Standards zu überführen. Ein breites Bündnis verschiedener Verbände, Organisationen und Akteur:innen – darunter der VBE und der dbb – hat nun einen Katalog mit Forderungen dazu vorgelegt.  

„Kinder sind keine kontextlosen Wesen“, so heißt es in dem Papier. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Bildung ist der Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben und zur Teilhabe an unserer demokratischen Gesellschaft. Die dauerhafte Qualitätsverbesserung frühkindlicher Bildung, Betreuung und Erziehung ist daher von gesamtgesellschaftlicher Tragweite“, so heißt es in dem Papier. Um tatsächlich gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen, bedürfe es verbindlicher, bundesweiter und wissenschaftlich begründeter Qualitätsstandards.

Gefordert wird konkret:

„Zur Qualitätssicherung in den Einrichtungen bedarf es insbesondere der Gewährleistung eines angemessenen, wissenschaftlich begründeten Fachkraft-Kind-Schlüssels. Dieser muss alle Aspekte der Personalbemessung (u. a. Urlaubs-, Krankheits-, Verfügungs-, Anleitungs- und Weiterbildungszeiten) einbeziehen. Die Gruppengrößen sind nach wissenschaftlichen Empfehlungen anzupassen.“ Zudem seien Anleitende, Fachberatungen und weitere Unterstützungsebenen ausreichend zu stärken und weiterzubilden, angemessene Qualifikationsrahmen müssten dabei sichergestellt werden. „Um Qualitätsstandards einzuhalten und die Qualität stetig zu verbessern, bedarf es außerdem der Stärkung von Kita-Leitungen durch festgeschriebene und ausreichende Leitungszeiten, die die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigen“, so heißt es. Die Bedarfe von Kindern in herausfordernden Lebenslagen, etwa aufgrund ihrer ökonomischen Situation, ihrer Sprache oder ihres Inklusionsbedarfes, erfordertenn besondere Berücksichtigung.

„Da Kinder keine kontextlosen Wesen sind, sind sie essenziell auf Pädagog:innen und Bezugspersonen angewiesen, die Bindungsangebote und Vertrauen her- und sicherstellen. Die Qualifikation, die Kompetenzen, die Haltung sowie die angemessene pädagogische Personalausstattung sind entscheidende Faktoren für eine erfolgreiche Bildungsbiografie von allen Kindern, insbesondere von Kindern in herausfordernden Lebenslagen.“

Vor diesem Hintergrund sei die Attraktivität des Berufsbilds der Erzieherin beziehungsweise des Erziehers insbesondere durch eine angemessene Entlohnung und gute Rahmenbedingungen zu gewährleisten. „Letztere müssen u. a. ausreichend Verfügungs- und Anleitungszeiten, eine kostendeckende Förderung des innerbetrieblichen Gesundheitsmanagements, ausreichend Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten, die Schaffung von Fachkarrieren sowie individuelle Arbeitszeitmodelle umfassen. Kitas müssen Orte sein, an denen sich die Kinder, ihre Eltern und die Beschäftigten gleichermaßen wohlfühlen.“

Weiter heißt es: „Angesichts des eklatanten Fachkräftemangels ist die Fachkräftegewinnung und die Fachkräftebindung in all ihren Facetten massiv zu verstärken. Best-Practice-Beispiele müssen kommuniziert und die Umsetzung regionaler Strategien zur Gewinnung und Bindung von Fachkräften müssen gefördert werden. Es bedarf einer fundierten und nachhaltigen Personalplanung, um eine angemessene Personalausstattung zu gewährleisten. Der zielgenaue Personaleinsatz muss sichergestellt sein. Assistenz- und Ergänzungskräfte bieten großes Potenzial zur Entlastung der Fachkräfte. Sie können bei entsprechender Eignung mittels berufsbegleitender Fort- und Weiterbildungen den gleichen Abschluss erlangen wie pädagogischen Fachkräfte. Darüber hinaus bedarf es dringend einer Ausweitung der Ausbildungskapazitäten.“ Bei der Ausbildung zur Fachkraft dürften trotz angespannter Personalsituation keine Qualitätsabsenkungen erfolgen.

„Voraussetzung für eine dauerhafte Verbesserung der frühkindlichen Bildung ist eine ausreichende und verlässliche Finanzierung“

Weiter führt das Papier aus: „Familien in Deutschland sind heterogen, das Angebot der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung muss sich an der Lebensrealität der Familien in all ihrer Vielfalt orientieren. Das Angebot ist so auszugestalten, dass Eltern – insbesondere im Sinne ihrer Kinder – auswählen können, was ihren Bedürfnissen entspricht. Dabei ist darauf zu achten, dass auch Familien mit Zuwanderungsgeschichte teilhaben und von qualitativ hochwertigen Angeboten profitieren können.“

Neben bundesweit einheitlichen Qualitätsstandards wird eine „kostenfreie Teilhabe für alle Familien“ gefordert. „Voraussetzung für eine dauerhafte Verbesserung der frühkindlichen Bildung, Betreuung und Erziehung in Deutschland ist eine ausreichende und verlässliche Finanzierung. Denn nur so können in Kindertageseinrichtungen Grundlagen für eine gelingende Bildungsbiografie vermittelt werden“, so heißt es.

In den letzten Jahren sei hauptsächlich in die Bereitstellung eines Betreuungsangebots investiert worden, das allein führe aber nicht zu qualitativ hochwertigeren Angeboten. „Die Qualitätsentwicklung in den Kitas braucht ein wissenschaftlich fundiertes Konzept, Rahmenbedingungen, die eine qualitativ hochwertige Arbeit ermöglichen. Eine stetige Evaluation und ausreichend Zeit sind notwendig, da sich Erfolge häufig erst nach mehreren Jahren zeigen. Es bedarf der Anstrengung von Bund und Ländern zur zügigen Einigung auf eine gemeinsame sowie dauerhafte Finanzierung von bundesweiten, wissenschaftlich begründeten Qualitätsstandards in der KiTa, unabhängig von der sozialen und ökonomischen Situation der Familien und der Region, in der Kinder aufwachsen.“

Die Erfüllung der aufgeführten Forderungen gehe mit erheblichen Kosten einher. „Neben der fundamentalen Bedeutung eines qualitativ hochwertigen Angebots für jedes einzelne Kind ist es jedoch wissenschaftlich erwiesen, dass der volkswirtschaftliche Nutzen dieser Investitionen die Ausgaben um ein Vielfaches überwiegt. Es braucht daher einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens dazu, dass deutlich mehr Investitionen für das System KiTa notwendig sind.“ News4teachers

Unterzeichner:innen

Bundeselternvertretung der Kinder in Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege (BEVKi)
Bundesarbeitsgemeinschaft Elterninitiativen
dbb beamtenbund und tarifunion
dbb bundesfrauenvertretung
Initiative Familien e.V.
Johanniter-Unfall-Hilfe e.V.
Katholische Erziehergemeinschaft (KEG)
Kita-Fachkräfteverband Niedersachsen-Bremen e.V.
komba gewerkschaft
Verband Katholischer Tageseinrichtungen für Kinder (KTK) – Bundesverband e. V
Landesverband Sozialpädagogischer Fachkräfte Berlin e.V.
Stiftung Bildung
Stiftung Kinder Forschen
Verband Bildung und Erziehung (VBE)
Verband berufstätiger Mütter e. V. (VBM)
Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger e.V.
Verband Kitafachkräfte Baden-Württemberg
Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V.
Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz
Verband berufstätiger Mütter e. V. (VBM)
Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger e.V.
Verband Kitafachkräfte Baden-Württemberg
Verband Kita-Fachkräfte Bayern e.V.
Verband KiTa-Fachkräfte Rheinland-Pfalz

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Angelika Mauel
5 Monate zuvor

Nix gegen die knapp formulierte Überschrift. Aber ob sich von dem dann folgenden Wunschkonzert noch jemand blenden lässt?

Lisa
5 Monate zuvor

Ist mit „mehr Betreuung“ in der Überschrift wirklich “ mehr Betreuung“ gemeint oder lediglich “ längere Betreuung“ ?

Lisa
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Danke

GriasDi
5 Monate zuvor

Weniger aber auch nicht.

Angelika Mauel
5 Monate zuvor

In etwa zeitgleich zum Team Wallraff, aber etwas umfangreicher hat nun auch CORRECTIV zum Kitanotstand recherchiert. Lesenswert! Und wer möchte, kann einen Beitrag zur weiteren Berichterstattung leisten. https://correctiv.org/aktuelles/bildung/2023/11/14/kitanotstand-wie-das-system-versagt-personalmangel-erzieher/

Anja Groth
5 Monate zuvor

Mehr Betreuungsplätze und längere Betreuungszeiten für viel mehr Kinder, als vorgesehen, von einer Bildungsverwaltung, die konkret und aktuell und eigentlich noch nie eine Ahnung davon hatte, was es bedeutet mir Kindern arbeiten zu wollen, und dies pädagogisch jeden Tag umzusetzen. Jeden Tag, mit jedem Kind gleichwertig. Das kann man heute in grösseren Einrichtungen nicht mehr leisten.Daran ist seit Jahrzehnten in erster Linie die Bildungspolitik schuld!!!

Angelika Mauel
5 Monate zuvor

@redaktion: Der „Verband der Kleinen und Mittelgroßen Kitaträger e.V.“ und auch der „Verband berufstätiger Mütter“ wurden zwei Mal aufgelistet. Wurden bei der Auflistung eventuell andere Träger versehentlich vergessen? (So etwas kann ja passieren).

Ob noch andere Verbände sich dem Schreiben anschließen wollen? Oder ob nach reiflicher Überlegung welche sich von dem Schreiben wieder distanzieren?
Mit noch mehr Skepsis als beim ersten Durchlesen habe ich mir das für beim Empfinden phrasenhafte Schreiben angesehen. Sogar die KEG verlängert die Liste.

Angelika Mauel
5 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Danke für die Korrektur.