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Ein Kultusminister gibt auf: “Der Staat kann nicht alle Defizite ausmerzen”

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DRESDEN. Was ist von einem Kultusminister zu halten, der zwar Probleme benennt – aber keine Lösungen anzubieten hat? Sachsens Kultusminister Christian Piwarz irritiert mit Aussagen, die sich durchaus als Kapitulation lesen lassen. So räumt er ein, dass viele Eltern es nicht schaffen (oder angeblich nicht wollen), ihre Kinder so auf die Schule vorzubereiten, dass sie dort erfolgreich starten können. Ihm zufolge kann der Staat das aber auch nicht leisten. Und nun?

Manchmal ist es einfach zu viel… (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Sachsens Kultusminister Piwarz (CDU) hält eine bessere frühkindliche Bildung für notwendig, um Mädchen und Jungen das Lernen in der Schule zu erleichtern. «Wir sind in der Situation, Kindern mit erheblichen Entwicklungsunterschieden die möglichst gleichen Chancen in einem Bildungssystem zu geben», sagt der Minister im Gespräch mit der Deutschen Presseagentur in Dresden.

Alle Kinder und Jugendlichen sollten die Möglichkeit haben, einen für sie erreichbaren Schulabschluss zu machen, sagt Piwarz. Und schränkt ein: «Darauf ist das Bildungswesen noch zu wenig vorbereitet. Es geht darum, die so notwendigen Grundkompetenzen für einen Schulbesuch besser auszubilden.»

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Hintergrund: In Sachsen verließen – trotz des bundesweiten Fachkräftemangels – im vergangenen Jahr 8,1 Prozent der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss die Schule. Der Freistaat liegt damit auf einem unrühmlichen Platz fünf einer Bundesländer-Tabelle. Negativer Spitzenreiter ist Sachsen-Anhalt mit einer Abbrecherquote von 11,8 Prozent – hinten liegt Bayern mit 5,2 Prozent. Der Durchschnitt in Deutschland beträgt 6,9 Prozent. 

Piwarz dazu: «Es gibt heute Erstklässler, die nicht mehr in Lage sind, fünf Meter rückwärts zu laufen oder die ihre Schuhe nicht zubinden können. Manchen fehlt es an Mengenvorstellungen, etwa dass vier mehr als drei ist.»

Das grundlegende Problem seien nicht zu hohe Anforderungen, es fehle vielmehr an grundlegenden Kompetenzen. «Die Kinder bekommen aus welchen Gründen auch immer Grundlagen von ihren Eltern nicht mehr vermittelt. Das staatliche System muss also früh damit beginnen, die Voraussetzungen für einen Schulbesuch zu legen», sagte Piwarz. «Das sind einfache Dinge, die früher als selbstverständlich vorausgesetzt wurden und die heute nicht mehr da sind.»

Piwarz zufolge führt das zu einer Situation, in der sich die Schule um Dinge kümmern muss, für die sie eigentlich gar nicht da ist. «Wir müssen das im vorschulischen Bereich leisten und eine gewisse Kultur etablieren, dass Bildungsinhalte verpflichtend sind. Das sind zum Teil Dinge, die zwingend in den Elternhäusern vermittelt werden müssten», sagte der Minister. «Ich nehme aber zur Kenntnis, dass nicht alle Elternhäuser das schaffen oder nicht mehr schaffen wollen.»

Dabei gebe es eine hohe Verantwortung der Familien für die Entwicklung ihrer Kinder. «Der Staat kann nicht alle Defizite ausmerzen. Das wird auf Dauer nicht funktionieren.»

Hintergrund: In anderen Bildungssystemen, das belegt die jüngste Pisa-Studie einmal mehr, gelingt es allerdings deutlich besser als im deutschen, sozioökonomische Nachteile auszugleichen – in Deutschland ist der Leistungsabstand zwischen Schülerinnen und Schülern aus privilegierten Familien und benachteiligten Jugendlichen überdurchschnittlich groß (News4teachers berichtete).

Laut Piwarz weisen schon Erstklässler heute Entwicklungsunterschiede von zwei Jahren und mehr auf. Das habe bei weitem nicht nur etwas mit Migration zu tun. «Es gibt eine zunehmende Heterogenität in der Gesellschaft. Auch innerhalb der deutschen Gesellschaft sind die Fliehkräfte größer geworden. Die Unterschiede sind eklatant.»

Neben der Integration ausländischer Schüler sei auch die Inklusion eine große Herausforderung. «Manchmal treffen beide Herausforderungen zusammen. Wir diskutieren gerade im Landtag über eine Verteilung der Ressourcen nach einem Sozialindex», berichtete der Minister. «Bestimmte Schulen sollen mehr Personal oder Geld erhalten, wenn es besonderen Bedarf gibt.»

Hintergrund: Sachsen gehört nach einer Übersicht der Aktion Mensch zu den Bundesländern mit den höchsten Exklusionsquoten in Deutschland: 5,5 Prozent der Schülerinnen und Schüler gingen dort im Schuljahr 2020/2021 auf gesonderte Förderschulen – nur in Sachsen-Anhalt war der Anteil höher (6,5 Prozent).

Den Begriff Brennpunktschule will Piwarz in diesem Zusammenhang nicht verwenden. «Ich nutze den Begriff nicht, weil er eine Stigmatisierung bedeutet. Wir sprechen von Schulen mit besonderen Herausforderungen und in besonderen Lagen.» Tatsächlich falle dort infolge der Zusammensetzung der Schülerschaft und großer Entwicklungsunterschiede mehr Arbeit an. Man dürfe nicht zulassen, dass einige Schulen über Gebühr beansprucht werden und müsse die Lasten gleichmäßig verteilen. Zwar könne man wegen des Lehrermangels derzeit nicht mehr Lehrkräfte an diese Schulen schicken. «Wir versuchen aber, eine Art Bypass zu legen, um mit Assistenzkräften zu unterstützen.»

Hintergrund: Sachsen gehört zu den Bundesländern, die vom Lehrkräftemangel besonders stark betroffen sind. Die GEW bezifferte die Zahl der zusätzlich benötigten Lehrkräfte im Freistaat zu Schuljahresbeginn auf mindestens 3.000 – Tendenz: stark steigend. 

Hat der Kultusminister irgendwelche Lösungen anzubieten? Piwarz plädiert dafür, Schülerinnen und Schüler mit einer gesunden Leistungserwartung zu konfrontieren. «Kinder sollten keine Angst vor Klassenarbeiten oder Prüfungen haben. Sie sollen aber unter Beweis stellen, was sie gelernt haben und das auch anwenden können.»

Das Leben biete später genügend Situationen für Prüfungen – ob nun im Beruf oder im persönlichen Leben. «Darauf sollen junge Menschen vorbereitet werden, das sollten wir als Schule tun. Wir haben hier den Vorteil, dass wir die jungen Menschen noch auffangen können, wenn etwas schief gelaufen ist.» Im Erwachsenenleben werde so ein Reparaturmodus nicht immer zur Verfügung stehen, findet der Christdemokrat.

Wir meinen: Das sieht man gerade gut am deutschen Bildungssystem, das von Kultusministern vor die Wand gefahren wurde – und nun dort hängt, ohne «Reparaturmodus». News4teachers / mit Material der dpa

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