„Die Mitte der Gesellschaft steht auf“: Zehntausende demonstrieren gegen die AfD – Höcke provoziert mit Nazi-Vergleich

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BERLIN. Die bundesweiten Proteste gegen Rechtsextremismus weiten sich aus: Am Samstag gingen in Frankfurt nach Angaben der Polizei etwa 35.000 Menschen auf die Straße – die Aktion stand unter dem Motto „Demokratie verteidigen“. Bis zum Sonntagabend wurden noch Zehntausende Menschen bei Demonstrationen in ganz Deutschland erwartet. Auch Schüler- und Jugendorganisationen wie Fridays for Future haben zu den Protesten aufgerufen. Der rechtsextreme Thüringer AfD-Chef Björn Höcke provoziert mit einem Nazi-Vergleich.

Hamburg: Demo gegen Rechtsextremismus wegen Überfüllung beendet https://t.co/89iwQPq2VK #Hamburg #Demonstration

— tagesschau (@tagesschau) January 19, 2024

Bereits am Freitagabend musste wegen des großen Menschenandrangs eine Demonstration gegen rechts und die AfD in Hamburg abgebrochen werden. Einer der Organisatoren verwies auf Sicherheitsbedenken. Die Polizei sprach von 50.000 Teilnehmern, die Veranstalter sprachen von 80.000. In Erfurt (Thüringen) kamen nach Angaben von Polizei und Organisationen mehrere Tausend Menschen zusammen. In Freiburg (Baden-Württemberg) und Koblenz (Rheinland-Pfalz) waren es laut Polizei jeweils rund 5000 Teilnehmer. In Hamburg soll am Sonntag in einer Woche (28. Januar, 14 Uhr) gleich nochmal demonstriert werden: Bei der unter anderem von der GEW organisierten Demonstration am Sonntag in einer Woche werde ebenfalls eine hohe Teilnehmerzahl erwartet, erklärten die Veranstalter.

Insbesondere Vertreter von Gewerkschaften, Verbänden, Grünen und SPD hatten dazu aufgerufen, sich zu beteiligen. „Egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung. Gemeinsam sind wir stark. Wenn uns einer angreift, greift er uns alle an und wir wehren uns. Wir sind solidarisch mit allen Menschen, egal ob mit oder ohne Migrationsgeschichte“, so postete die GEW auf „X“ (früher Twitter). 

CDU-Chef Friedrich Merz bezeichnete die bundesweiten Demonstrationen als ermutigend. „Die „schweigende“ Mehrheit erhebt ihre Stimme und zeigt, dass sie in einem Land leben möchte, das weltoffen und frei ist“, teilte er auf Anfrage am Samstagmorgen in Berlin mit. „Wir stehen an der Seite derer, die sich für unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat und unsere offene Gesellschaft einsetzen“, sagte Merz. „Lassen wir gemeinsam keine diskriminierenden Sprüche oder rechtsextreme Parolen zu. Wir zeigen gemeinsam ein Stoppschild gegen jede Form von Extremismus und Rassismus: Gegen jede Form von Hass, gegen Hetze und gegen Geschichtsvergessenheit.“

„Wir brauchen einen Schulterschluss der Demokraten“

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) dankte den Zehntausenden Menschen, die bundesweit gegen rechts demonstrierten. Das zeige, dass es in der Mitte der Gesellschaft „eine breite Allianz“ gebe, sagte er am Samstag in Düsseldorf. Wüst forderte erneut eine solche „Allianz der Mitte“ auch in der Politik, die sich parteiübergreifend und über alle staatlichen Ebenen hinweg bilden müsse. „Wir brauchen einen Schulterschluss der Demokraten.“ Die AfD bezeichnete er als „brandgefährliche Nazi-Partei“.

Der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, begrüßte die Kundgebungen. „Ich bin wirklich erfreut, dass die Mitte der Gesellschaft aufsteht“, sagte Schuster der „Augsburger Allgemeinen“. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, sagte der „Westdeutschen Zeitung“: „Es wäre wünschenswert, wenn die schweigende Mehrheit unserer Bevölkerung klar gegen Extremismus und Antisemitismus Position beziehen würde. Und erfreulicherweise demonstrieren aktuell viele Menschen dagegen.“

Der Chef der Thüringer AfD, Björn Höcke, sorgte unterdessen auf einer Bürgersprechstunde in Gera für einen Eklat . In einem Video, das von der Veranstaltung vom Donnerstag im Internet kursiert, verglich Höcke eine Demonstrationen gegen Rechtsextremismus in Leipzig mit Fackelaufmärschen der Nationalsozialisten. „Man hat zwar Taschenlampen, also Handyleuchten in den Himmel gehalten. Aber es sah so ein bisschen aus wie 1933 die Fackelmärsche der Nazis.“

Bei einer Demonstration in Leipzig hatten rund 6.000 Menschen am Montag gegen Rechtsextremismus demonstriert und dabei unter anderem die Lichter an ihren Handys eingeschaltet. 1933 hatten die Nationalsozialisten einen Fackelzug veranstaltet, als Adolf Hitler die Macht in Deutschland übernommen hatte. Höcke stellte daraufhin auch in Frage, ob Deutschland noch eine Demokratie sei. „Deutschland ist im Jahre 2024 keine funktionierende Demokratie mehr.“ Laut „Bild“-Zeitung soll der AfD-Politiker gesagt haben, dass die „Kartellparteien“, vor allem Grüne und SPD, eine „Straßenkämpfertruppe zusammengebaut“ hätten.

Eine Petition, die fordert, Höcke die Grundrechte zu entziehen (was das Grundgesetz für Staatsgefährder ausdrücklich vorsieht), ist mittlerweile von knapp 1,5 Millionen Menschen unterzeichnet worden – hier geht es hin.

„Aber was hinter harmlos klingenden Begriffen wie ‚Remigration‘ versteckt wird, ist die Vorstellung, Menschen massenhaft zu vertreiben und zu deportieren.“

Auslöser der seit mehreren Tagen andauernden Proteste ist ein Bericht des Medienhauses Correctiv aus der vergangenen Woche über ein bis dahin nicht bekanntes Treffen von Rechtsradikalen in einer Potsdamer Villa vom 25. November. An dem Treffen hatten auch namhafte AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der Werteunion teilgenommen. Der frühere Kopf der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, sprach dabei nach eigenen Angaben über „Remigration“. Wenn Rechtsextremisten den Begriff verwenden, meinen sie, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll – auch unter Zwang.

Egal welcher Herkunft, Hautfarbe, Religion oder Weltanschauung. Gemeinsam sind wir stark. Wenn uns einer angreift, greift er uns alle an und wir wehren uns. Wir sind solidarisch mit allen Menschen, egal ob mit oder ohne Migrationsgeschichte. #noafd #NieWiederIstJetzt https://t.co/4ztBjdO9AN

— GEW (@gew_bund) January 19, 2024

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) fühlt sich durch das Treffen in Potsdam an die Wannseekonferenz der Nationalsozialisten erinnert. „Das weckt unwillkürlich Erinnerungen an die furchtbare Wannseekonferenz“, sagte sie der Funke Mediengruppe. Sie wolle beides nicht miteinander gleichsetzen. „Aber was hinter harmlos klingenden Begriffen wie „Remigration“ versteckt wird, ist die Vorstellung, Menschen wegen ihrer ethnischen Herkunft oder ihrer politischen Haltung massenhaft zu vertreiben und zu deportieren.“

Bei der Wannseekonferenz hatten am 20. Januar 1942 – vor genau 82 Jahren – hohe NS-Funktionäre über die systematische Ermordung von bis zu elf Millionen Juden Europas beraten. Ziel der Besprechung in einer Villa am Berliner Wannsee war es, die Umsetzung des Völkermords zu beschleunigen. Sie gilt als eines der Schlüsseldaten des Holocaust. News4teachers / mit Material der dpa

Hier geht es zu einer Übersicht der in Deutschland am Wochenende geplanten Demonstrationen gegen Rechtsextremismus.

Debatte um AfD-Verbot – Fraktionschef: Deportation von Millionen Menschen aus Deutschland „ist ein Versprechen“

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Beli
3 Monate zuvor

Ich kann die im Artikel verlinkte Übersicht der Demos nicht wirklich öffnen – geht das anderen vielleicht auch so?

Beli
3 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Danke. Ist vielleicht überlastet. Viele Grüße.

Rainer Zufall
3 Monate zuvor

Das klingt doch ganz klar nach Höcke: Geschichte gelesen, aber nicht verstanden. DAFÜR wählen ihn (zu viele) Leute.

Diese Demos gelten nicht der AfD. Sie sind für deren Wähler*innen bestimmt, die sich nicht in der Mehrheit wähnen sollten sowie den Demokratischen Parteien, endlich ein Verbot zu prüfen oder „die AfD inhaltlich zu stellen“, Herr Lindner 😛

Sebastian Kluge
3 Monate zuvor

…und praktischerweise interessiert sich plötzlich niemand mehr für die (Bauern-,LKW-Fahre,Handwerker-)Proteste gegen die Regierung, weil von der Regierung gegen die größte Oppositionspartei demonstriert wird, wegen der Meldung einer von durch die Regierung bezahlten Organisation über eine Veranstaltung, die bereits November stattgefunden hatte und an der auch CDUler teilnahmen..

Dejott
3 Monate zuvor
Antwortet  Sebastian Kluge

Ach, der übliche AFD Sprech. Gähn…..

Einer
3 Monate zuvor
Antwortet  Sebastian Kluge

Die Demos sollen von der Regierung organisiert sein? Correctiv soll von der Regierung bezahlt werden? Woher kommt denn so eine Erzählung?

Aber in einem Punkt hat der „kluge“ Sebastian recht: Merz hätte sofort an dem Tag, als Corrrectiv den Artikel veröffentlicht hat, ein Parteiausschlussverfahren für diese CDU-Mitglieder eröffnen MÜSSEN. Und er hätte dies in der Tagesschau bekannt machen MÜSSEN. „Wer sich mit so etwas einlässt fliegt raus!“ Schnell, laut, deutlich und unmissverständlich. Das wäre eine Brandmauer gewesen.

TaMu
3 Monate zuvor
Antwortet  Einer

Die Erzählung kommt von Höcke persönlich.
Und selbstverständlich hätte Merz sofort nach Bekanntwerden das Parteiausschlussverfahren eröffnen müssen. Da war ihm Frau Weidel voraus, was definitiv nicht gut ankommt bei allem links von der AFD.

Rainer Zufall
3 Monate zuvor
Antwortet  Sebastian Kluge

Die AfD beschloss die Kürzungen geschlossen mit. Für die ist das kein krisenbedingter Umstand, sondern Ziel: die wollen Subventionen dauerhaft abschaffen.

Beschweren müssen sich sich die Bauern also nicht

DerechteNorden
3 Monate zuvor
Antwortet  Sebastian Kluge

Sebastian, du hast also auch noch Vote-Buddies mitgebracht. Hilft aber nichts. Wir wissen, wie ihr von der AfD das macht.

TaMu
3 Monate zuvor
Antwortet  Sebastian Kluge

Nach Protesten „gegen die Regierung“ (Ihre Worte) nun eben die Demonstration für die Regierung.
Seit Wochen ist in einschlägigen Gruppen rund um die Bauernproteste die Rede vom Sturz der „Ampel“ und davon, dass „niemand“ diese Regierung mehr möchte und dass die Menschen in Deutschland nur zu bequem zum Demonstrieren mit den Bauern (und ihren zahlreichen Unterwanderern) seien und dass die Bauern-Demonstrierenden das alles für die schweigende Mehrheit der Bevölkerung tun.
Jetzt wird deutlich, dass es diese schweigende, mit den Umsturzplänen einverstandene Mehrheit so gar nicht gibt.
2020 ging es um „Merkel muss weg“, jetzt geht es um „die Ampel muss weg“. Weg muss also jede Partei, die nicht AFD ist (ich gehe davon aus, dass auch die Linke „weg muss“).
In einer Demokratie muss man andere Meinungen aushalten können. Seit dem Auftreten der AFD wurde diese demokratisch ausgehalten. AFD Anhänger sollten nun in einer Demokratie auch aushalten, dass sie nicht allein „das Volk“ sind und dass sie nicht mehr oder weniger offensichtlich gegen die gewählten Parteien Umsturzpläne aushecken sollten, ohne dass auch einmal Menschen auf die Straße gehen und gegen sie demonstrieren. Es zeichnet eine Demokratie aus, dass unterschiedliche Meinungen offen ausgedrückt werden dürfen. Umsturzpläne gegen demokratische Parteien gehören nicht dazu, wurden bisher aber toleriert. Bei Plänen, nach speziellen Kriterien für „nutzlos“ oder „schädlich“ empfundene Menschen, auch deutsche Menschen, nach Nordafrika zu deportieren und ihnen vorher hier in Deutschland das Leben so zu vergällen, dass sie freiwillig gehen, hört die deutsche Rechtsstaatlichkeit und damit die Toleranz eindeutig auf.
Es ist also völlig normal, dass ein Teil des ebenfalls deutschen Volkes nun zu Tausenden unbezahlt und spontan demonstriert.
Die Bauern sind auch nicht die Einzigen, die bisher demonstriert und damit nicht den 100 Prozent Durchbruch erzielt haben. Sie kommen mit ihren Landmaschinen einfach viel martialischer daher als Kita- Schul- und Krankenhauspersonal. Alle werden gehört und politisch beachtet und niemand kann 100 Prozent bekommen. Alles muss immer ausgehandelt und finanziert werden und das braucht Zeit.
Pflegekräfte, Lehrkräfte und Betreuungspersonal haben auch nie für den Sturz irgend einer Regierung demonstriert, sondern immer für ihre Belange und den Schutz der Kinder und der Kranken.
Es ist gut, dass nicht dem alles gegeben wird, der den größten Trecker hat.

Pit2020
3 Monate zuvor
Antwortet  TaMu

@TaMu

Gut und sachlich 🙂 gekontert, danke!

Mary-Ellen
3 Monate zuvor
Antwortet  Pit2020

Da schließe ich mich nur allzu gern an!
Daumen hoch – in dekorativem Grün!

TaMu
3 Monate zuvor
Antwortet  Mary-Ellen

Dankeschön, Mary-Ellen und Pit 2020

Tim Bullerbü
3 Monate zuvor
Antwortet  Sebastian Kluge

Danke, der war gut. Herzhaft gelacht.

Dejott
3 Monate zuvor

Seltsam. Nazi-Fackelzüge müsste er doch gut finden.

Dr. Horse
3 Monate zuvor

“ Wer unsere Gegenwartsgesellschaft verstehen möchte, kommt an Richard Sennetts Ausführungen zur „Tyrannei der Intimität“ von 1977 nicht vorbei. Darin analysiert der amerikanische Soziologe, wie abgegrenzte Gemeinschaften die Gesellschaft als Bezugsräume ablösen. .. “

https://www.cicero.de/kultur/richard%20sennett-offentlichkeit-tyrannei-intimitat-schrappe