Paus: „Demokratie ist nicht selbstverständlich“ – Lehrkräfte sind gefordert

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BERLIN. Derzeit gehen bundesweit Menschen gegen Rechtsextremismus und für Demokratie auf die Straße. Angesichts erstarkender rechter Meinungen und zunehmendem Antisemitismus in der Gesellschaft, sieht Familienministerin Lisa Paus (Grüne) auch Lehrerinnen und Lehrer in der Verantwortung. Ein Interview über Schulen als Spiegel der Gesellschaft.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus. Foto: Laurence Chaperon / BMFSFJ

News4teachers: Seit Ausbruch des Krieges im Nahen Osten und den Terrorangriffen in Israel letztes Jahr ist die Zahl antisemitischer Vorfälle in Deutschland drastisch angestiegen. Sie haben in diesem Zusammenhang schwere Versäumnisse in der deutschen Bildungspolitik beklagt. Was genau hätte Ihrer Meinung nach in der Vergangenheit besser gemacht werden müssen?

Lisa Paus: Bildung ist aus meiner Sicht das beste Mittel gegen jede Form der Menschenfeindlichkeit, auch gegen Antisemitismus. Gerade die aktuelle Situation macht deutlich, dass wir alle Facetten des Antisemitismus stärker berücksichtigen sollten, insbesondere auch den gegenwartsbezogenen Antisemitismus. Nur über die Zeit des Nationalsozialismus zu sprechen, könnte den Eindruck erwecken, wir hätten antisemitische Ressentiments längst hinter uns gelassen. Wir erleben gerade, das ist leider nicht der Fall.

News4teachers: Wie fördern Sie Schulen ganz konkret bei dieser Aufgabe?

Paus: Auch wenn Bildung im engeren Sinne Ländersache ist, kann die Verantwortung natürlich nicht einfach bei den Schulen abgeladen werden. Mit dem Bundesprogramm Respekt Coaches vermitteln beispielsweise pädagogische Fachkräfte jungen Menschen Werte wie Respekt und Toleranz. An mehr als 600 Standorten arbeiten die Respekt Coaches mit Schülerinnen und Schülern zusammen. Angesichts dessen ist es sehr gut, dass im Rahmen der bisherigen parlamentarischen Haushaltsverhandlungen die geplanten Kürzungen für das Programm teilweise zurückgenommen wurden.

Ein anderes Beispiel ist das Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Dabei geht es auch darum, jungen Menschen ein Verständnis von Demokratie und Vielfalt in unserem Land zu vermitteln. Aber auch über andere Programme wie zum Beispiel „Jugend erinnert“ fördert die Ampelkoalition Projekte gegen Antisemitismus und gegen Rassismus. Einige Angebote richten sich direkt an Schülerinnen und Schüler, andere an pädagogisches Fachpersonal.

Auch wenn Bildung im engeren Sinne Ländersache ist, kann die Verantwortung natürlich nicht einfach bei den Schulen abgeladen werden.

News4teachers: Was könnten oder müssten Schulen zum jetzigen Zeitpunkt besser machen?

Paus: Es hat sich bereits einiges getan. Interreligiöse Konflikte werden an Schulen in der Regel nicht mehr totgeschwiegen. Ich habe großen Respekt vor jedem Erwachsenen, der da – bei allen Schwierigkeiten – Haltung zeigt. Antisemitische oder rassistische Vorfälle sind nicht nur das Problem einer bestimmten Gruppe oder einzelner Schülerinnen und Schüler. Sie zeigen auch ein strukturelles Problem: Konflikte auf dem Schulhof sind der Spiegel unserer Gesellschaft. Die Komplexität darf uns nicht lähmen, es gibt Hilfe bei Expertinnen und Experten für diese Herausforderungen. Mit „Demokratie leben!“ fördern wir viele Projekte, die genau in solchen Fällen angefragt werden können. Da gibt es zum Beispiel das „Kompetenznetzwerk gegen Antisemitismus“, das aus fünf erfahrenen Trägern der Antisemitismusprävention besteht und Schulen unterstützt, auch bei akuten Problem- und Konfliktlagen. Mir ist es sehr wichtig, dass solche zivilgesellschaftlichen Organisationen langfristig Unterstützung bekommen. Denn sie arbeiten momentan am Rand ihrer Kapazitäten und können den wachsenden Anfragen kaum noch gerecht werden.

News4teachers: Welche Haltung wünschen Sie sich von Lehrerinnen und Lehrern, aber auch von Schulleitungen in der jetzigen Situation?

Paus: Zum einen, dass Antisemitismus und Rassismus nicht nur bei akuten Vorfällen in Schulen zum Thema werden. Sondern rassismus- und antisemitismuskritische Bildungsarbeit sollte fest in den Lehrplänen verankert sein, um eine Wissensgrundlage zu schaffen. In der jetzigen Situation wünsche ich mir darüber hinaus, dass Lehrkräfte und Schulleitungen auf die vorhandenen Angebote zurückgreifen und sich Unterstützung suchen, damit sie Konflikte offen adressieren und professionell bearbeiten können.

News4teachers: Bereits Ende letzten Jahres haben Sie zusammen mit Bundesinnenministerin Nancy Faeser einen Entwurf für ein Demokratiefördergesetz vorgestellt. Was ist neu an diesem Gesetz?

Paus: Mit dem Demokratiefördergesetz verpflichten wir den Bund zum Kampf gegen Rassismus, Extremismus und Menschenfeindlichkeit. So können wir die Menschen, die sich in Initiativen und Projekten den Feinden der Demokratie entgegenstellen, unterstützen. Demokratie ist nicht selbstverständlich in Deutschland. Angesichts von Hass, Hetze und Gewalt müssen wir uns gegen Angriffe von Populisten und Extremisten wappnen und unsere Demokratie widerstandsfähiger machen. Grade in Krisenzeiten brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Demokratie.

Das Bundeskabinett hat den Gesetzentwurf für das Demokratiefördergesetz vor Monaten in den Bundestag eingebracht. Das Gesetz sollte nun zügig vom Bundestag verabschiedet werden. Dann würde zivilgesellschaftliches Engagement erstmals eine gesetzliche Grundlage und endlich mehr finanzielle Sicherheit erhalten. Gerade die aktuelle Situation zeigt doch: Diejenigen, die sich gegen Antisemitismus, Extremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einsetzen, verdienen jede Unterstützung. News4teachers

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Frau Schmidt
2 Monate zuvor

Unsere Schulsozialarbeiterin hat die Kürzung der Mittel der „Respect Coaches“ ihre Stelle gekostet, trotz Demo in Berlin, trotz Petitionsversuch.
Und das in einer Berufsschule mit Klassen voller geflüchteter unbegleiteter Jugendlicher. Da wird mir schlecht, wenn ich so ein Interview lese. Unterstützung sieht anders aus.

Michael
2 Monate zuvor
Antwortet  Frau Schmidt

Ich wünsche ihr dass sie schnell eine neue Beschäftigung findet. Leider gehe ich nicht davon aus, dass sie in ihrer Profession von den gelobten Vorzügen des Arbeitnehmermarktes (exorbitant gestiegene Gehälter, 4 Tagewoche, Homeoffice, etliche Vergünstigungen etc.) profitiert. Und verbeamtet ist sie wohl auch nicht.
Ich drücke ihr die Daumen.

Lisa
2 Monate zuvor

“ sieht xy auch Lehrerinnen und Lehrer in der Verantwortung“ mein absoluter Lieblingssatz.

KARIN
2 Monate zuvor
Antwortet  Lisa

Zuerst muss mal unsere Regierung ihre Aufgabe richtig machen und dann als gutes Beispiel vorran laufen!
Die Delegatin dieser Aufgabe den Lehrkräften zuzuweisen ist viel zu einfach gedacht!
Wir haben schon viel zu viel Zusatzaufgaben in der Zwischenzeit, so dass unsere Hauptaufgabe der Wissensvermittlung oft nur noch zweit- drittrangig ist oder im tatsächlichem Unterricht dazu wird!
Das Klassenzimmer mit im Schnitt 30 Kindern/ Jugendlichen wird zum Brennpunkt und soll Lösung für alles sein!

Dagmar
2 Monate zuvor

Demokratiebildung sollte bereits in den Grundschulen beginnen. Kinder brauchen ein verlässliches Lehrkräfteteam, das für chancengerechte Bildung und gemeinschaftliches Lernen sorgen kann. Grundschulen sollten Lebensorte werden, an denen sich jedes Kind als gemeint und gefragt erfahren und sein Potential entwickeln kann. Toleranz und Engagement können nicht im Stressbetrieb der Grundschulen aufgebaut und gepflegt werden.

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