OVG gesteht Grundschulleiter über 30.000 Euro Finanzausgleich wegen Mehrarbeit zu

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LÜNEBURG. Das OVG Niedersachsen verhandelt über die Mehrbelastung von Grundschulrektoren. Ein pensionierter Rektor aus Hannover bekommt dafür finanziellen Ausgleich, eine Ex-Rektorin aus Osnabrück nicht. Warum ist das so?

Das Gericht hat entschieden. Illustration: Shutterstock

Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat einem pensionierten Grundschulrektor aus Hannover einen finanziellen Ausgleich für seine geleistete Mehrarbeit zugesprochen. Die Entschädigung beläuft sich auf 31.435,59 Euro.

Der Mann habe hinreichend dargelegt, dass er von November 2017 bis 31. Juli 2022 zu viele Stunden pro Woche gearbeitet habe, begründete der Vorsitzende Richter Frank Hüsing das Urteil. Beklagte war das Land Niedersachsen. Eine Revision wurde nicht zugelassen, dagegen kann innerhalb eines Monats Beschwerde eingelegt werden, über die das Bundesverwaltungsgericht entscheidet.

Weil es keine generelle Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte gibt, erfassten die Kläger die Stunden individuell. Der Rektor hatte sogar an einer Arbeitszeitstudie teilgenommen, die eine generelle Mehrarbeit von Schulleitern in der Grundschule neben der Unterrichtsverpflichtung bestätigte. Die strukturelle Mehrarbeit erkannte das OVG an, auch weil der Schulleiter über ein ganzes Jahr seine Arbeitszeiten dokumentiert hatte.

Klage der Teilzeit-Rektorin abgelehnt

Nicht stattgeben wurde hingegen der Klage einer Grundschuldirektorin aus Osnabrück, die in Teilzeit arbeitete. Der OVG-Senat in Lüneburg monierte, dass die Frau nur kurze Zeiträume zwischen den Ferien dokumentiert habe.

«Wir sind hocherfreut, zum ersten Mal wurde festgestellt, dass eine Schulleitung unheimlich viel Mehrarbeit leistet und es strukturelle Mehrarbeit gibt», sagte Stefan Störmer, Landesvorsitzender der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW). «Das Land Niedersachsen kann nicht einfach sagen, das passt schon so.»

GEW will Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte

Welche Konsequenzen daraus zu ziehen seien, könne man erst nach der schriftlichen Urteilsbegründung sagen. «Wir wünschen uns eine Form der Arbeitszeiterfassung», bekräftigte Störmer. Das Land wäre gut beraten, einen Weg aufzuzeigen, wie die Arbeit zu erfassen sei.

Der Rektor hatte für durchschnittlich 8,42 Stunden Mehrarbeit pro Woche vom 1. Januar 2017 bis 31. Juli 2022 insgesamt 54.513 Euro plus Zinsen gefordert. Anerkannt wurde der Zeitraum erst ab November 2017, weil er die Zeit vorher nicht ausreichend dokumentiert habe, hieß es.

Zudem hätte eine Expertenkommission des Kultusministeriums nach zwei Studien im Auftrag der GEW zwar die Mehrarbeit bestätigt, ein Drittel davon sei aber kein Muss. Ein Teil der Mehrarbeit im Grundschulbereich sei entsprechend den Wertungen des Expertengremiums auf Organisationsdefizite oder ein überobligatorisches Engagement der Lehrkräfte zurückzuführen, hieß es.

Mehrbelastung durch weitere Aufgaben

Als Argumente der steigenden Belastung wurden unter anderem die Einführung der verlässlichen Grundschule, verpflichtende Beratungsgespräche für Viertklässler und die Inklusion in den vergangenen Jahren angegeben.

Die Verwaltungsgerichte in Osnabrück und Hannover hatten 2018 Klagen auf Entlastung von dienstlichen Aufgaben abgewiesen. Die Regelarbeitszeit von 40 Stunden in der Woche sei in beiden Fällen jahrelang überschritten worden, hatten die Kläger vorgetragen.

Die Kammern urteilten damals, dass die individuelle Arbeitszeitüberschreitung nicht nachgewiesen werden konnte. Die Beamten gingen in Berufung und wollten nun – nach ihrer Pensionierung – eine finanzielle Entschädigung. News4teachers / mit Material der dpa

Gutachten: Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften ist unausweichlich (heißt: Aus fürs Deputatsmodell)

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Fräulein Rottenmeier
8 Monate zuvor

Ja, Einzelfälle…..Ich bin eher pessimistisch, dass sich aufgrund dieser beiden (eigentlich ist es ja nur einer) Fälle, irgendetwas ändern wird.
Mit Blick auf Frau Fellers Eckpunktepapier für Schulleitungen, die mal non chalant (in Manier von Frau Gebauer natürlich auf einen Freitagnachmittag) weitere Aufgabengebiete identifiziert hat, die demnächst noch oben drauf kommen – natürlich ohne weitere Entlastung, da ja leider leider die Lehrerstunden dafür nicht vorhanden sind und auch kein Geld für SVAs – fange ich jetzt nochmal an zu dokumentieren….hab ja noch 10 Jahre Zeit….
Manchmal denke ich mir, ich muss bekloppt sein….
Manchmal möchte morgens einfach liegen bleiben….
Manchmal möchte ich die Uhr zurückdrehen und mich nochmal neu entscheiden….

DienstnachVorschrift
8 Monate zuvor

Und da wundert man sich, dass Schulleiterposten, besonders im ländlichen Raum, unbesetzt bleiben. In meiner Region gibt es Fälle, in denen ein Schulleiter zwei Schulen leitet oder der Dienstälteste gezwungenermaßen die Schule leitet. Diese Leute werden systematisch kaputtgemacht! Und es funktioniert natürlich auch nicht. Ich lasse dann auch aus reinem Selbstschutz Sachen gegen die Wand fahren. Die Arbeit ist unter Einhaltung der Arbeitszeit einfach nicht mehr ordentlich zu schaffen.

447
8 Monate zuvor

Absolut verständlich.

Man muss sich das mal in voller Konsequenz klarmachen (und das ist nur das Geld, von Gesundheit garnicht zu sprechen):

Im Bildungsbetrieb werden Doppelakademiker (oder 2,5-Akademiker, je nach Zählweise) gezielt, geplant und zentral gesteuert überbelastet – und wer dann IMMER NOCH NICHT BEDIENT ist (und sich dummerweise noch weiter engagiert)…kriegt dafür so wenig, dass z.B. Samstags schwarz Zeitungen verteilen schon profitabler ist, eine ernsthafte Nebenbeschäftigung sogar massiv profitabler.

Und das geht seit mindestens drei Jahrzehnten so…

Mariechen
8 Monate zuvor
Antwortet  447

Nein, das geht nicht seit drei Jahrzehnten so. Ich bin auch der Meinung, dass SL schon immer zu schlecht bezahlt wurden. Aber in den letzten Jahren ist die Mehrarbeit, vor allem die Bürokratie völlig aus dem Ruder gelaufen. Wer sich das jetzt noch freiwillig antut… ich weiß manchmal nicht, ob ich Respekt davor haben soll oder etwas anderes…Unsere SL verdient an unserer großen Schwerpunktschule A13, arbeitet sich dumm und dämlich, Stress ohne Ende. Meist negativer Natur, da lediglich Mangel verwaltet werden muss und keine Zeit oder Energie da ist, Dinge zu gestalten. A13 verdient eine normale GS Lehrkraft je nach Bundesland jetzt schon.

Mariechen
8 Monate zuvor

Da haben Sie mein vollstes Verständnis. Aber man könnte doch den Job abgeben und wieder zurück als normale Lehrkraft, oder?

Alex
8 Monate zuvor
Antwortet  Mariechen

Könnte man. Und bis sich jemand neues findet, müsste Fräulein Rottenmeier den Job kommissarisch machen. Gleicher Stress, weniger Geld. Wer macht das schon?

Hans Malz
8 Monate zuvor
Antwortet  Alex

Wer das Amt wegen gesundheitlicher Probleme (die man wohl problemlos attestiert bekommt) nicht mehr ausüben kann, ist endgültig raus.

Alex
8 Monate zuvor
Antwortet  Hans Malz

Über die Definition von „problemlos“ ließe sich sicher trefflich streiten, das kommt wohl sehr auf den zuständigen Amtsarzt an. Zudem wäre man mit Abschlägen „endgültig raus“, das kann und will sich auch nicht jeder leisten.

447
8 Monate zuvor
Antwortet  Mariechen

In Wirklichkeit halt nicht.

Ausserdem gibt es dann sofort Maulkorb/Gesprächsverbote und eine Versetzung “weit weg”, damit nichts “ausgeplaudert” wird – war jedenfalls in den drei Fällen so, wo ich einen solchen “Rücktritt” mitbekommen haben. (SL-Person gibt die Beförderung freiwillig zurück)

Einer
8 Monate zuvor

“Ein Teil der Mehrarbeit im Grundschulbereich sei entsprechend den Wertungen des Expertengremiums auf Organisationsdefizite oder ein überobligatorisches Engagement der Lehrkräfte zurückzuführen, hieß es”

Geile Feststellung. Grundschullehrer arbeiten also zum Teil mehr, weil sie chaotisch und zu engagiert sind. Passt zu einigen meiner BK-Kollegen auch sehr gut. Scheint also aus meiner Sicht kein Primarstufe Problem, sondern ein eher typisches Lehrerproblem zu sein.

Omg
8 Monate zuvor
Antwortet  Einer

Die Ausführungen der Expertenhruppe sind unverschaehmt. Schlicht und einfach. Ein Blick in die Verwaltungen zeigt auf, welche Lehrkräfte sich freudig nach oben bewerben. Das mag dieses Urteil der Experten erklären, menschlich, arbeitsschutzrechtlich, dienstrechtlich ist das aber sicherlich unterste Schublade. Wenn der Dienstherr angibt, dass Schulleitungen krankmachendes Engagement zeigen, hat er einzugreifen. Wenn er fröhlich Organisationsversagen feststellt, ist er verpflichtet, einzugreifen. Also die Frage: Welche Experten waren das? Ein Blick zurueck: 2010 urteilte der VGH in Kassel ueber die Klage eine Schulleiters. Die ging verloren aus ähnlich Gründen wie bei der Kollegin in Teilzeit, die Kommentare der Richter in Richtung Land Hessen haben es aber in sich. Dem vom HKM entstandte Spitzenbeamte machte durch Ahnungslosigkeit auf sich aufmerksam (=Experte), interessanterweise war die Stellungnahme des HKM gegenüber der Klage aber fast gleich; Selber Schuld seien ja alle selbst.

Palim
8 Monate zuvor

überobligatorisches Engagement der Lehrkräfte“

Ach so.
Darf man das in Zukunft anführen, wenn die nächste Sau… ihr wisst schon?

Hans Malz
8 Monate zuvor
Antwortet  Palim

Mir hat die Dezernentin den Tipp gegeben, dass ich “Priorisieren” soll. Das mach ich jetzt auch. Mal sehen, wann es knallt.

447
8 Monate zuvor
Antwortet  Hans Malz

Wenn man alles dokumentiert und einen richtigen Anwalt hat, passiert garnix.
(Ich persönlich führe über jeden Tag, auch unterrichtsfreie, Aufzeichnungen)

Da kommt bissl Gepolter und Aufgespiele (weil die meisten halt Feiglinge sind), sobald es zur BzReg geht nimmt man den Anzugboss mit, packt Dokumentation ein, gut ist.

Wenn man eine gute SL hat ist das allerdings nicht mehr nötig. Aus kleinen Narzissten wird da aber recht gut die Luft rausgelassen.

dickebank
8 Monate zuvor
Antwortet  Hans Malz

Priorisiere Freizeit – und als angestellte Lehrkraft reichen 38,5 Arbeitszeitstunden je Woche und keine 41, wie bei den verbeamteten Lehrkräften.

Carsten
8 Monate zuvor

Eine Excel-Tabelle zur eigenen Arbeitszeit – nie war sie so wertvoll wie heute.

Lisa
8 Monate zuvor

Der Mann habe hinreichend dargelegt, dass er von November 2017 bis 31. Juli 2022 zu viele Stunden pro Woche gearbeitet habe, begründete der Vorsitzende Richter Frank Hüsing das Urteil. Beklagte war das Land Niedersachsen. Eine Revision wurde nicht zugelassen…..
” Zu viele Stunden die Woche”funktioniert? Dann hätten so gut wie alle mir bekannten Lehrkräfte auch Aussicht auf eine erfolgreiche Klage.

Omg
8 Monate zuvor

Zunächst wichtig: Das Urteil zeigt, dass auch von Lehrkräften die Arbeitszeit messbar ist, anders als die Kulturminister weiterhin behaupten. Zuletzt war schon vor dem Europäischen Gerichtshof ja festgestellt worden, dass auch fuer privat beschäftigte Haushaltshilfen die Arbeitszeiten zu dokumentieren sind. Wichtig auch: Obwohl der Arbeitgeber in der Pflicht ist, die Arbeitszeitdokumentation zu garantieren, wurde ersatzweise die Eigendokumemtation als Nachweis zumindest teilweise anerkannt, was ebenfalls aufhorchen lässt. Kritisch ist weiterhin aber die Umkehr der Beweispflicht. Waere einen Dokumentation der Arbeitszeit etabliert, musste sich niemand über irgendetwas aufregen. Kritisch ist deshalb, dass zwar Lücken in der Dokumentation der Kollegin bemängelt werden. Einerseits wurde aber in der Vergangenheit ja nirgends festgelegt, wie Lehrkräfte die Arbeitszeit formal korrekt dokumentieren muessen. Der Kollegin faellt nun auf die Fuesse, dass der Dienstherr die kontinuierliche Dokumentation eben nicht vorlegen kann und sie fuer etwas abgestraft wird, was nicht von ihr zu verantworten ist.

Kadee
8 Monate zuvor

Wann hat die nicht erfasste Arbeitszeit von LuL für die ihnen Vorgesetzten endlich Folgen? Vereinzelte Klagen werden da wohl in absehbarer Zeit nicht weiterhelfen. Wie lange soll das noch so gehen und sind Klagen der einzige Weg? Man könnte sich schon in den Allerwertesten beißen, wenn man erst zwei (und nicht schon fast 8) Jahre die Arbeitszeit individuell erfasst, obwohl man eigentlich Besseres/Wichtigeres zu tun hätte. Manche arbeiten so viel Überstunden, dass sie es sich leisten könnten, in jeder Woche einen Karenztag zu nehmen, manche Woche sogar zwei. Und – machen wir LuL das?… Warum eigentlich nicht!

Na, dann komme ich jetzt mal wieder runter, bis zum nächste Beitrag zu diesem Thema.

Onkel Thomas
8 Monate zuvor
Antwortet  Kadee

Laut OMG: „Das Urteil zeigt, dass auch von Lehrkräften die Arbeitszeit messbar ist“.
Das ist leider das einzig Gute aus diesem Urteil. Ordentlich dokumentierte Mehrarbeit ist einklagbar; dies erfordert leider jeweils individuelle Klagen. Was fehlt sind Massenhafte Klagen, in denen nicht nur die Vergütung der Mehrarbeit verlangt wird, sondern auch die Erfassung der Arbeitszeit.
 
https://www.phv-bw.de/phv-bw-zum-thema-arbeitszeitklage/
https://oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de/aktuelles/presseinformationen/klage-auf-finanziellen-ausgleich-von-zuvielarbeit-eines-fruheren-niedersachsischen-grundschulrektors-erfolgreich-239481.html
 

Frau Knüppelkuh
8 Monate zuvor

Ich habe letztes Jahr an der Arbeitszeistudie der GEW in Berlin teilgenommen. Leider kann die dafür verwendete App nicht mehr genutzt werden. Könnt ihr mir einen Tipp geben, welche App zur Arbeitszeiterfassung für Lehrkräfte gut geeignet ist?

Onkel Thomas
8 Monate zuvor
Antwortet  Frau Knüppelkuh

Ich verwende Arbeitszeiterfassung 2.1 unter Android.
Das hat einen Schönen Widget für den Startbildschirm und bietet die nötigen Exportfunktionen

Besseranonym
8 Monate zuvor
Antwortet  Onkel Thomas

Danke für den Tipp.

447
8 Monate zuvor
Antwortet  Onkel Thomas

Nutze ich auch.