Kaum mehr Kinder: Warnung vor Kita-Sterben in ostdeutschen Bundesländern

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BERLIN. Seit Jahren ist in Deutschland von einer Kita-Krise die Rede. Immer deutlicher wird: Es gibt nicht einen, sondern mindestens zwei Trends. Mancherorts fehlen Plätze, anderswo gibt es ein Überangebot.

Dem Osten gehen die Kinder aus. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

«Freie Kita-Plätze», «Wöchentliche Musikstunden, Waldtage und Ausflüge» – mit Aushängen an Laternenmasten und Flyern werben Kitas im Berliner Bezirk Pankow um Kinder. Anderswo ist die Lage bereits dramatischer: In sächsischen Großstädten wie Leipzig, Dresden oder Chemnitz werden Kitas geschlossen, weil es zu wenige Kinder gibt. Nach jahrelangem Aufbau von Kapazitäten und Meldungen über zu wenige Plätze droht mancherorts ein Kita-Sterben.

«Die Gefahr eines Kita-Sterbens in den östlichen Bundesländern wird zunehmend real und ist regional eine große Herausforderung», sagt die stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Doreen Siebernik. Sie warnt vor den gesellschaftlichen Folgen und einem Dominoeffekt, den die Politik dringend verhindern müsse.

Erst Platzmangel, jetzt Überangebot?

Wie geht das zusammen mit den regelmäßigen Alarmmeldungen über eine Kita-Krise mit hunderttausenden fehlenden Betreuungsplätzen? Es kommt darauf an, wohin der Blick in Deutschland geht, denn bei dem Thema ist das Land in Ost und West geteilt, aber nicht nur – auch regional ist die Lage unterschiedlich.

Das Bewusstsein bei allen wachse, dass die Problemlage in den westdeutschen Flächenländern eine völlig andere ist als in den östlichen Ländern, sagt Familienministerin Karin Prien auf Nachfrage. In den großen Städten sei die Situation wiederum anders, fügt die CDU-Politikerin hinzu.

Studie: Rückbau «nahezu unumgänglich»

Das bestätigt eine kürzlich vorgelegte Analyse des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW). «Der Osten befindet sich in einer Situation, in der ein Rückbau der Kapazitäten in den Kitas nahezu unumgänglich ist. Dies betrifft zwar verstärkt die Städte, ist aber auch in den ländlichen Gebieten der Fall», heißt es darin. Als Gründe werden sinkende Geburtenzahlen seit Mitte der 2010er Jahre genannt, bei gleichzeitig schon lange gut ausgebautem Betreuungsangebot.

Im Westen habe der Geburtenrückgang erst in den 2020er Jahren eingesetzt. Aber auch hier seien inzwischen die Zahlen der unter Dreijährigen deutlich rückläufig, «sodass aus demografischer Sicht keine zusätzlichen Plätze mehr benötigt werden». Allerdings gebe es in Westdeutschland noch große Lücken zwischen der eigentlich von den Eltern gewünschten und tatsächlich realisierten Betreuung unter Dreijähriger. Die Elternwünsche nähmen außerdem noch weiter zu.

Wegen Abwanderungsbewegungen in ländliche Gebiete mit «familiengerechtem
Wohnraum» sieht die Analyse im Westen am ehesten in den Großstädten ein Ende der bisherigen Kitaplatz-Krise.

Zusammenbruch durch «Unterauslastung»?

Während im Westen je nach Region weiterhin viele Betreuungsplätze fehlen – laut einer Bertelsmann-Studie von Ende 2023 weit über 300.000 gemessen an den Betreuungswünschen den Eltern – machen in sächsischen Großstädten seit über einem Jahr Meldungen über drohende Schließungen die Runde. In Mecklenburg-Vorpommern beklagt die GEW, wegen rückläufiger Kinderzahlen seien an Kitas in einzelnen Kommunen bereits Kündigungen von Personal angekündigt worden.

In Sachsen-Anhalt wird Kita-Personal wegen Kindermangels in anderen Bereichen eingesetzt. Aus Thüringen werden Schließungen etwa in Weimar gemeldet. Dies sei notwendig, um zu verhindern, dass das Kitasystem durch Unterauslastung zusammenbreche, heißt es von der Stadt.

Nicht schließen, sondern Betreuungsschlüssel ändern

Wie weiter? Es gebe nicht die eine Lösung für alle, betont Prien mit Verweis auf die unterschiedliche Situation im Land. «Sondern wir werden in den östlichen Bundesländern eher überlegen müssen, wie können wir über Weiterbildung Kräfte, die heute in der Kita sind, an anderer Stelle einsetzen.»
Es brauche auch Ausbildungsformen, die generalistischer sind, damit die Menschen, die man ausbilde, in vielen Bereichen eingesetzt werden könnten.

Die IW-Studie plädiert dafür, Personal nicht abzubauen, sondern zu halten und für eine bessere Betreuungsrelation einzusetzen – also weniger Kinder pro Erzieher oder Erzieherin. Darauf drängt auch die GEW: «Die sinkenden Kinderzahlen sind eine echte Chance, die Qualität des Angebots der Kitas zu verbessern», sagt Gewerkschaftsvize Siebernik. Es müsse verhindert werden, dass die gut ausgebildeten Fachkräfte das Arbeitsfeld verließen. «Ziel ist, die Infrastruktur zu sichern und damit die Attraktivität der Regionen für Familien zu erhalten, anstatt Einrichtungen zu schließen und das Angebot abzubauen.»

Kapazitäten seit 2013 deutlich ausgebaut

Seit 1996 haben Eltern in Deutschland für Kinder ab drei Jahren einen Anspruch auf einen Kita-Platz, 2013 wurde er ausgeweitet auf Kinder ab einem Jahr. Seitdem hat ein deutlicher Kita-Ausbau stattgefunden. Knapp 61.000 Einrichtungen waren es laut Statistischem Bundesamt zum Stichtag 1. März 2024, zehn Jahre davor rund 53.000. Die Zahl der Erzieherinnen und Erzieher stieg von 530.000 auf über 780.000, die Zahl der betreuten Kinder von 3,3 auf fast 4 Millionen. Von Jörg Ratzsch, dpa

Lehrermangel ade? Geburtenrate bricht ein – den Kitas und Grundschulen gehen (absehbar) die Kinder aus

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8 Kommentare
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Rainer Zufall
3 Monate zuvor

Kindermangel? Kaum zu glauben.
Ich dachte, aufgrund der Überkapazitäten werden Kinder abgeschoben (https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/halle/saalekreis/abschiebung-kind-schule-naumburg-kritik-118.html)

Das scheint also weniger Problem als Plan zu sein.

Gelbe Tulpe
3 Monate zuvor

Ki und Roboter werden eh massenweise Arbeitsplätze vernichten, da sind weniger Kinder ein Segen.

Gelbe Tulpe
3 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Arbeitslose zahlen auch keine Rente, kosten aber.

dickebank
3 Monate zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

Falsch. Für die Bezieher von ALG I führt die BA Beiträge zur GRV ab.

Deshalb soll sich auch niemand bequatschen lassen, vorzeitig einen Antrag auf Altersrente zu stellen. Über 60-jährige, langjährig Beschäftigte haben einen ALG I-Anspruch von 24 Monaten. Das sollte man berücksichtigen, wenn man beabsichtigt, nicht bis zum Erreichen des Zeitpunktes zum regulären Renteneintritt zu arbeiten. Selbst bei eigener Kündigung sind die drei Monate Sperrzeit zu vernachlässigen. Sie “kosten” einen deutlich weniger als die 24 mal 0,3% Abzüge bei vorzeitigem Renteneintritt.

dickebank
3 Monate zuvor
Antwortet  Redaktion

Wer sagt denn, dass die Regelungen, die für die Bemessung der Beiträge in die Sozialversicherungssysteme nicht entsprechend verändert werden können?
Unter Beibehaltung der derzeitigen Bemessungskriterien ist ihre Aussage korrekt, aber die zeiten ändern sich. Und wenn es um die erhebung von Beiträgen und Abgaben geht, sind staatliche Stellen erfinderisch. Selbst die Sektsteuer hat die kaiserliche Flotte um Jahrzehnte überdauert:)

Rainer Zufall
3 Monate zuvor
Antwortet  Gelbe Tulpe

Vielleicht empfinden es nicht alle als einen “Segen”, wenn es im Geisterdorf keine Gemeinschaft mehr gibt…

Ich meine, Menschen MIT Kindern, werden sich dann wohl nach Wohnorten umschauen, wo es Betreuungsangebote und andere Kinder gibt 🙁