DARMSTADT. Wie gelingt digitale Schulentwicklung dort, wo sie am häufigsten scheitert – nämlich ganz am Anfang? Dieser Frage widmet sich Dr. Ralf Tenberg, Professor für Technikdidaktik an der TU Darmstadt, im vierten Teil seiner Reihe. Anhand eines realen Beispiels zeigt er, wie Schulen die heikle Initialphase eines Digitalvorhabens strukturiert bewältigen können: mit konsequentem Change Management, klarer Diagnose, transparenter Beteiligung und einer Architektur, die technische, didaktische und kulturelle Ebenen zusammenführt.
Hier geht es zu den ersten Teilen der Reihe.

Change Management in der Initialphase Digitaler Schulentwicklung
Angesichts der im Teil 3 referierten und erörterten aktuellen Herausforderungen wird deutlich, dass die Digitalisierung unserer Schulen nicht durch singuläre Entwicklungen oder subsidiäre kollegiale Teamentwicklungen gestemmt werden kann. Sie ist ein anspruchsvolles Schulentwicklungsthema mit großem Ambiguitäts-Potenzial, denn es greift unmittelbar in den Unterricht und damit in ein tradiertes Berufsmuster ein, stellt hohe fachliche Anforderungen und birgt in jedem Falle Aufwand. Zudem lässt sich bei dieser Thematik kein fiktiver Endzustand bestimmen – gegenteilig besteht die erforderliche Entwicklung eher in einem Aufbruch und dem Beginn eines neuen Prozesses als in der Lösung eines konkreten Problems.
Change-Management (CM) wurde genau für derartige Herausforderungen entwickelt und hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten als wirksames Instrument für emotional konfundierte Veränderungsprozesse etabliert. In den vorausgehenden drei Aufsätzen wurden Konzept, Herkunft, Prämissen und grob auch die Agenda von CM erläutert, im Folgenden wird an einem realen Beispiel illustriert, wie hier in der Initialphase vorgegangen wird (der gesamte Change-Prozess würde diesen Rahmen deutlich überschreiten). Zentral ist dabei, dass sich die Schulleitung von einer externen CM-Beratung unterstützen lässt, sowohl in strategischer als auch in operativer Hinsicht. Selbst wenn sie über die hier erforderlichen Qualifikationen verfügen würde, hätte die Schulleitung kaum die erforderlichen Ressourcen für ein konsequentes CM über die Laufzeit des Entwicklungsprozesses.
Im Zentrum steht im vorliegenden Beispiel die Einführung eines Lernmanagement-Systems, z.B. des LLMs Moodle als verbindliche Lernplattform für das gesamte Kollegium (Methoden-Strang). Dass es sich hier um eine CM-relevante Herausforderung handelt, mag zunächst erstaunen, denn Viele gehen davon aus, dass Moodle an ihren Schulen bereits eingeführt und etabliert wurde, was generell auch richtig ist. Dabei kann man aber nur selten von gesamtschulischen bzw. gesamtkollegialen Implementierungen mit verbindlichen Unterrichts-Ansprüchen, Rollen, Strukturen und Prozessen sprechen, vielmehr handelt es sich hier zumeist um die typischen offenen Nutzungsräume mit hochindividuellen und dabei pragmatischen Handhabungen mit mäßiger Durchdringung im Kollegium.
Lernmanagementsysteme bleiben dabei quantitativ und vor allem qualitativ weit hinter ihren Möglichkeiten, von einer produktiven und innovativen Digitalisierung des Unterrichts kann man dabei kaum ausgehen. Zudem entstehen so Insellösungen ohne Synergien und mit schnellem zeitlichem Verfall.
Eine konsequente Einführung von Moodle betrifft alle Systemebenen einer Schule: Technisch (Server, Zugänge, Support), organisatorisch (Strukturen, Zuständigkeiten, Kommunikationswege), didaktisch (Methodik, Lernprozesse, Bewertungskultur) und auch kulturell (Haltung, Akzeptanz, Zusammenarbeit).
- Strategischer Vorlauf: Die CM-Beratung unterstützt das Schulleitungsteam in der Auswahl, Konkretisierung und Fokussierung des Kernthemas für die Schulentwicklung. Dabei werden technische Möglichkeiten von Moodle aufgezeigt, aber auch die dafür erforderlichen Ressourcen geklärt, Aufwände erläutert, sowie potenzielle Barrieren und Widerstände erörtert. Ist das Kernthema festgelegt, wendet man sich dem anstehenden Prozess zu. Dieser wird von der CM-Beratung zeitlich und inhaltlich umrissen, dabei die Roadmap konkretisiert, die Hauptschritte definiert und die anstehende Diagnose und Zielklärung präzisiert.
- Diagnose & Zielklärung: Bevor der Prozess ins Kollegium getragen wird, erfolgt eine Analyse der Ausgangslage. Dies beinhaltet Technik und Infrastruktur ebenso wie die involvierten Menschen. Im Zentrum steht eine Ist-Analyse zur aktuellen Nutzung digitaler Medien, diesbezüglicher Motive und Haltungen. Das bedeutet konkret eine technische Bilanzierung, eine Lehrpersonenbefragung über die Bewertung von Moodle und die bisherige Nutzung und zudem Stakeholder-Interviews als Vertiefung der Befragung. Alle Befunde werden in einer SWOT-Analysis (Stärken-Schwächen-Analyse) zusammengeführt und als Basis für eine gesamtkollegiale Diskussion mit der Schulleitung vorbereitet. In der SWOT-Analysis zeigt sich ein klares Bild der anstehenden Herausforderungen für Unterrichts-, Personal- und Organisationsentwicklung.
- Change-Architektur: Gemeinsam mit der Schulleitung erarbeitet die CM-Beratung aus der Synopse der SWOT-Analysis eine Change-Architektur (CA) für alle folgenden Schritte bis hin zu einem ersten Meilenstein. Eine CA beinhaltet alle geplanten Maßnahmen, die erforderlich sind, eine Organisationsentwicklung effektiv und effizient umzusetzen. Sie umfasst das Zielbild der Schulleitung und den zu erreichenden Meilenstein, den themenbezogenen Status Quo, die geplante Vorgehensweise, Rollen und Verantwortlichkeiten, die Beteiligungsstruktur, ein Kommunikationskonzept, Lern- und Qualifizierungsangebote, Monitoring und Evaluation, sowie Ansätze zur Verstetigung. Die CA ist eine Art „Vertrag“ zwischen Schulleitung und CM-Beratung bzw. deren Leistungsverzeichnis. Sie ist jedoch keineswegs manifest, sondern gegenteilig wird sie im Verlaufe des Entwicklungsprozesses präzisiert bzw. korrigiert, modifiziert oder ergänzt.
- Beteiligung & Kommunikation: CM bedeutet, die Betroffenen zu Beteiligten zu machen. Anstatt nun unmittelbar in eine Maßnahmen- und Umsetzungsphase überzugehen, werden die Ideen und Ziele der Schulleitung an das Kollegium herangetragen. Zudem werden diesem die Ergebnisse der SWOT-Analysis vorgestellt. Alles wir offen diskutiert, wobei die Schulleitung hier gefordert ist, Dringlichkeit und Notwendigkeit der Entwicklung zu verdeutlichen und mit Nachdruck zu versehen, so dass in der Beteiligung des Kollegiums nicht Grundsätzliches in Frage gestellt wird, sondern die anstehende Transformation zur gemeinschaftlichen Gestaltungsaufgabe gemacht wird. Bezogen auf das Beispiel Moodle bedeutet das, dass sich alle bereit erklären, damit einen gemeinsamen Entwicklungsweg zu gehen, jedoch noch präzisiert werden muss, wie dieser Weg aussieht. Die Kommunikation ist damit eröffnet und wird intensiviert, ein Projektteam wird etabliert (Moodle-Team, Steuergruppe).
Durch Infoveranstaltungen, Meetings und Workshops wird und bleibt der Prozess transparent und lebendig. Gemeinsam wird die zentrale Vision formuliert und committed, um den Leitbildbezug herzustellen: Unsere Schule nutzt Moodle, um Lernen über Räume, Zeiten und Grenzen hinweg zu ermöglichen. Lernende gestalten ihre Lernprozesse zunehmend selbst, Lehrkräfte arbeiten in kollegialen Teams als Lernbegleiter:innen und die Schule wird zu einer vernetzten, lernenden Organisation. Wir nutzen Moodle, um Lernprozesse sichtbar, individualisiert und kooperativ zu gestalten. Unser Ziel ist, dass jede Schülerin und jeder Schüler in einem sicheren digitalen Umfeld selbstbestimmt lernen, reflektieren und sich mit anderen austauschen kann.
In den Folgeschritten wird dieses Leitbild konsequent umgesetzt. Dafür ist ein Zeitraum von 2 – 3 Jahren realistisch, denn das „Tagesgeschäft“ muss weiterlaufen, zudem kann Moodle absehbar nicht das einzige Entwicklungsthema einer Schule sein. Es folgen Qualifizierungen (technisch, methodisch, pädagogisch), Unterstützungsmaßnahmen wie Teamcoaching, Aufbau von Supportstrukturen, Pilotierungen und Erprobungen in kleinen Zellen oder Teilbereichen mit unmittelbarem Feedback (Evaluation), Rollouts, Verankerung und Verstetigung mit Integration in Schulcurriculum und Digitalstrategie immer flankiert von Evaluation und Prozessmonitoring sowie der Anerkennung des geleisteten Engagements. News4teachers
Der abschließende Teil fünf der Reihe erscheint in den nächsten Tagen auf News4teachers.
- Hier geht es zu der vollständigen Reihe.
- Hier geht es zu den Beiträgen des News4teachers-Themenmonats “Digital lehren und lernen”.
Widerstand aus dem Kollegium: Warum digitale Schulentwicklung so häufig scheitert









“Change-Management (CM) wurde genau für derartige Herausforderungen entwickelt und hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten als wirksames Instrument für emotional konfundierte Veränderungsprozesse etabliert.”
Genau richtig (aber nicht so sehr “emotional”): “Change Management” kommt aus der Unternehmensführung und bedeutet, die Veränderungsprozesse “top-down” durchzusetzen. Mit demokratischen Strukturen, Mitbestimmung und Initiativen “von unten” hat das nichts zu tun. Genau so wurde mal an den Hochschulen der Bologna-Prozess durchgesetzt, nicht gerade ein Ruhmesblatt. Auch die Kompetenzorientierung wollte man so durchsetzen, jetzt aber sagt Herr Köller, dass die gar nicht umgesetzt wurde:
“Einige Dinge waren von der Idee gut, aber die Umsetzung ist nicht gelungen. Dazu zählen zum Beispiel die Bildungsstandards und die damit verbundene Kompetenzorientierung. Auch hier ist dem System bei der Implementation die Puste ausgegangen.”
Quelle:
https://deutsches-schulportal.de/bildungswesen/olaf-koeller-was-jetzt-aus-pisa-2022-folgen-muss/
Mit “nicht gelungenen Umsetzungen” muss man halt rechnen, allem “Change Management” zum Trotz. Am besten fragt man mal nach, was die Leute an der Basis meinen, z.B. die Lehrer. Wie war das mit der “demokratischen Schule”?https://www.schulministerium.nrw/demokratie-gestalten
Leider, leider, leider…
Ein schönes Beispiel dafür, dass die Verwendung schöner Konzepte und hochtrabender Begriffe im Alltag gloreich zerschellt.
1) Moodle ist als vollständiges System für Schulen ungeeignet.
2) Es gibt zwei Systeme, die als Plattform funktionieren und die notwendigen Anforderungen erfüllen:
– MS Teams (mit Einschränkungen)
– Google Classroom (mit Einschränkungen)
3) Die Infrastruktur der Länder ist nicht ausreichend, wird nicht hinreichend supported und ist veraltet.
4) An Schulen gibt es keinen First Level Support. Dieser wäre aber Voraussetzung. Den FLS wird es auch nicht geben da:
– die Fachkenntnisse fehlen
– die notwendigen Stellen fehlen (mindestens eine Ganze für eine größere Schule).
Die Situation ist sicherlich unterschiedlich an verschiedenen Schulen. Aber wenn ich erlebe, dass bereits Basisfunktionen der Infrastruktur unzuverlässig funktionieren, ist immer eine doppelte Vorbereitung notwendig. Das führt nur zu Frust, da kann die Schulleitung noch so viel von agilen CM schwafeln wie sie will.