“Ablehnung und Aggressionen”: Wie Schulen mit queerfeindlicher Diskriminierung umgehen (wenn sie es denn tun)

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STUTTGART. Queerfeindliche Beleidigungen gehören für viele Schülerinnen und Schüler in Deutschland zum Alltag – auch wenn Kultusministerien Leitlinien gegen Diskriminierung in Schulen verabschieden. Aktuelle Daten aus Baden-Württemberg zeigen, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke klafft. Betroffene bestätigen den Befund.

Queere Schülerinnen und Schüler leiden häufig unter Ausgrenzung und Mobbing. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Greta kennt die verletzenden Worte nur zu gut. Die seinerzeit 17-Jährige aus dem Westerwald berichtete der tagesschau 2022 von ihren Erfahrungen an der Realschule, die sie bis zum vorhergehenden Sommer besucht hatte. „In meiner Nähe wurde dann Schwuchtel gerufen oder Transe, ganz oft Transe. Das hat dann schon ein bisschen wehgetan teilweise“, erzählte sie. Die Beleidigungen seien nicht ständig gekommen, „aber das war halt sowas, das war nie weg“.

Lehrerinnen und Lehrer hätten kaum eingegriffen – bei Schimpfwörtern wie „Schlampe“ allerdings schon. „Und ich frag’ mich dann, wo der Unterschied ist: Warum wird ein Mädchen bestraft, das eine andere Schlampe nennt, aber nicht eine andere Person, die mich gerade als Transe oder als Schwuchtel beleidigt?“

Ihre Geschichte zeigt exemplarisch, was viele queere Jugendliche berichten: Ein Schulalltag, in dem Diskriminierung eben nicht die Ausnahme ist – sondern in Teilen Normalität.

Welche Zahlen meldet das Kultusministerium Baden-Württemberg?

Auch das Kultusministerium in Stuttgart kennt solche Fälle. Die Stuttgarter Nachrichten berichten aktuell von Vorfällen, die von homofeindlichen Schmierereien im Klassenzimmer bis hin zu abwertenden Sprüchen auf dem Pausenhof reichen. Seit 2018 müssen Schulen im Land diskriminierende Vorfälle mit religiösem, ethnischem oder antisemitischem Hintergrund melden. Im März 2024 wurde die Meldepflicht erweitert: Seither sind auch Fälle zu erfassen, die sich gegen geschlechtliche oder sexuelle Identität richten.

Die ersten Ergebnisse: Seit der Erweiterung wurden 24 solcher Vorfälle gemeldet, elf davon explizit queerfeindlich. Für das laufende Jahr haben Schulen bislang 80 Diskriminierungsvorfälle insgesamt registriert – die meisten mit rechtsextremem Hintergrund. In mehr als jedem achten Fall aber ging es um sexuelle Identität oder geschlechtliche Vielfalt. Das Kultusministerium betont: Ob diese Zahl hoch oder niedrig sei, lasse sich noch nicht beurteilen. Eingeräumt wird aber auch: Viele Vorkommnisse, die pädagogisch niedrigschwellig gelöst würden, fänden zudem gar nicht den Weg in die offizielle Statistik.

„Diskriminierung hat an unseren Schulen nichts verloren“, sagt Staatssekretärin Sandra Boser (Grüne), im Kultusministerium zuständig für LSBTTIQ+-Themen. Schulen müssten sichere Orte für queere Menschen sein. „Das Thema ist eine Daueraufgabe, das wir wie jede Form der Diskriminierung ernst nehmen.“ Um das zu unterstreichen, hat sie 2023 den Runden Tisch Schule queer gedacht eingerichtet, an dem sich Interessenvertretungen, Schulaufsicht, Fortbildungseinrichtungen und Verbände wie die GEW regelmäßig austauschen.

Welche Vorgaben macht das Ministerium den Lehrkräften?

Das Ministerium hat seine Erwartungen an Schulen in detaillierten Leitlinien formuliert. Dort heißt es: „Viele queere Menschen erleben ihre Schulzeit als schwierig und anstrengend. Die Ursachen hierfür liegen nicht nur in negativen verbalen Äußerungen, sondern auch in Situationen, in denen sie deutliche Ablehnung oder Aggressionen erfahren.“

Homosexualität werde immer wieder pathologisiert – zum Beispiel, indem sie als ansteckende Krankheit dargestellt werde. „Vorurteile dieser Art sind widerlegt und stellen Formen von Diskriminierung gegenüber queeren Personen dar.“

Die Handlungsanweisung ist eindeutig: „Wenn Diskriminierung von Lernenden wahrgenommen wird, muss reagiert werden. Diese Vorkommnisse dürfen in keinem Fall unkommentiert bleiben. Selbst eine kurze Intervention, der eine detaillierte Auseinandersetzung zu einem späteren Zeitpunkt folgt, kann zunächst ausreichend sein.“

Besonderen Wert legt das Ministerium darauf, dass die Themen geschlechtliche Identität und sexuelle Vielfalt fachübergreifend im Unterricht behandelt werden. Grundlage sei die Leitperspektive Bildung für Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt aus dem Bildungsplan von 2016. „Antidiskriminierungspädagogische Elemente im Unterricht sind für alle Kinder und Jugendlichen hilfreich, um diskriminierendes Verhalten zu erkennen, benennen zu können und abzubauen“, heißt es.

Wichtig sei aber auch Sensibilität: „Bei der Thematisierung von queeren Lebensformen ist darauf zu achten, dass keine Person aus der Lerngruppe unabsichtlich zu einem Coming-out gezwungen wird. Außerdem sollte vorab eine wertschätzende und nicht-diskriminierende Diskussionskultur mit den Lernenden eingeübt werden.“

Wie steht Deutschland im europäischen Vergleich da?

Dass queerfeindliche Diskriminierung an Schulen weit verbreitet ist, belegt auch eine Studie der EU-Grundrechteagentur (FRA), die 2024 veröffentlicht wurde. Rund 17.000 queere Menschen aus Deutschland nahmen teil, europaweit waren es über 100.000.
Das Ergebnis für Deutschland ist alarmierend: 48 Prozent der Befragten gaben an, während ihrer Schulzeit diskriminiert oder gemobbt worden zu sein. Fast ebenso viele erklärten, dass sie in der Schule niemals Unterstützung durch Lehrkräfte oder Mitschülerinnen und Mitschüler erlebt hätten.

Die FRA schreibt dazu, dass die Schule für viele Betroffene eigentlich ein Schutzraum sein sollte – tatsächlich aber oft „eine Quelle von Angst und Belastung“ bleibt. Gerade trans und nicht-binäre Jugendliche seien deutlich häufiger von Diskriminierung betroffen als lesbische oder schwule Mitschülerinnen und Mitschüler.

Was sagen Schülervertretungen und die GEW?

Auch Schülerinnen und Schüler selbst sowie die Bildungsgewerkschaft GEW bestätigen, dass die Realität oft noch weit entfernt ist von Leitlinien und guten Vorsätzen.

„Queerfeindlichkeit, Homophobie, Transphobie und Diskriminierung sind in der Schule leider immer noch Alltag“, erklärte die Landesschülervertretung Nordrhein-Westfalen der tagesschau. Besonders in den unteren Klassenstufen sei das Thema stark tabuisiert. Ein Coming-out sei für viele Jugendliche „ohne negative Konsequenzen oft nicht möglich“. Die GEW kritisierte, dass selbst im Sexualkundeunterricht queere Lebensformen häufig ausgeblendet würden. „An den Schulen liegt immer noch der Fokus auf gegengeschlechtlicher heterosexueller Liebe, oftmals gebunden an traditionelle Rollenklischees“, hieß es.

Die Bundesschülerkonferenz forderte mehr Sichtbarkeit und sichere Anlaufstellen: „Schülerinnen und Schüler brauchen vor allem in der Pubertät, in der Findungsphase Sichtbarkeit und Ansprechpartner, um sich identifizieren zu können.“ Nicht nur Lehrkräfte, auch Sozialarbeiter müssten sich als Vertrauenspersonen positionieren.

Kann Schule auch ein sicherer Ort sein?

Für Greta gab es ein Happy End – nach einem Schulwechsel. Sie besuchte dann ein Gymnasium in Köln, das sich bewusst als „Schule ohne Homophobie, Schule mit Vielfalt“ versteht. Dort, sagte sie, sei der Unterschied spürbar: Lehrkräfte engagierten sich aktiv, Vielfalt werde nicht nur toleriert, sondern anerkannt. Ihr Fazit: Hier könne sie sein, wer sie ist. News4teachers 

Studie: Für queere Jugendliche ist die Schule der Diskriminierungsort Nummer eins

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3 Kommentare
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Mika
3 Stunden zuvor

„ Schulen müssten sichere Orte für queere Menschen sein.“

Schulen müssen sichere Orte für ALLE Menschen sein!

Rüdiger Vehrenkamp
2 Stunden zuvor

Da gab es doch vor kurzem auch den Fall eines queeren Berliner Lehrers, der sich nach seinem Coming Out in der Schule nicht mehr blicken lassen konnte. Queefeindliche Diskriminierung ist leider gesellschaftlich tief durch alle Altersklassen und Kulturen verankert. Bloße Leitlinien reichen da nicht. Doch wie sieht eine Lösung des Problems aus?

Kim Gorecki
1 Stunde zuvor

Bei uns sind andere Konflikte viel, viel häufiger.