Ansturm auf erste 24-Stunden-Kita in Deutschland

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SCHWERIN (Mit Leserkommentaren). Bundesweit soll die Kinderbetreuung ausgebaut werden. Der Osten ist dabei unangefochtener Vorreiter. Schwerin bietet ein Novum: Eine kommunale 24-Stunden-Kita für den Nachwuchs von Schichtarbeitern.

Die 24-Stunden-Kita «nidulus» in Schwerin richtet sich an Kinder von Eltern, die im Schichtdienst arbeiten müssen. Foto: My aim is true / Flickr (CC BY 2.0)
Die 24-Stunden-Kita «nidulus» in Schwerin richtet sich an Kinder von Eltern, die im Schichtdienst arbeiten müssen. Foto: My aim is true / Flickr (CC BY 2.0)

Dean wird diese Nacht besonders schön träumen. Er schläft in seinen vierten Geburtstag hinein. Gleich beim Aufwachen kann ihm sein Kindergartenfreund Yannic gratulieren. Die beiden kleinen Schweriner übernachten heute wieder in der Kita, weil ihre Eltern Schicht arbeiten. Mit der Rund-um-die-Uhr-Betreuung für Babys, Klein- und Vorschulkinder sei Mecklenburg-Vorpommerns Hauptstadt – neben wenigen privaten Initiativen – Vorreiter in Deutschland, sagt die Leiterin der 24-Stunden-Kindertagesstätte «nidulus» (lateinisch: «Nestchen»), Grit Brinkmann. Wegen der überbordenden Nachfragen richte sich das kommunale Angebot für 365 Tage und Nächte im Jahr ausschließlich an Schichtarbeiter.

«Das ist keine Elite-Kita, sondern ein Angebot für all jene, die regelmäßig abends, nachts, an Wochenenden und Feiertagen arbeiten müssen», erklärt Anke Preuß, Geschäftsführerin der Kita gGmbH. Das städtische Unternehmen ist Schwerins größter Kita-Träger und bietet gut 2500 Betreuungsplätze an 24 Standorten. In Kooperation mit den Helios-Kliniken wurde vor drei Jahren auf dem Krankenhausgelände die 24-Stunden-Kita «nidulus» samt Garten und Spielplatz neu gebaut.

Nicht nur Ärzte, Schwestern und Pfleger wissen ihren Nachwuchs im «Nestchen» gut aufgehoben, wie Anke Preuß betont. Auch Busfahrer, Polizisten, Köche, Kellner und Verkäuferinnen seien auf die begehrten Betreuungsplätze mit Ganztagskonzept und Vollverpflegung angewiesen.

Stadt plant eine zweite 24-Stunden-Kita

Derzeit arbeiteten rund 22 000 Schweriner in Schichten, oft seien junge Eltern darunter. Wegen des Ansturms auf die 58 Plätze im «nidulus» und langen Wartelisten plane die Stadt im nächsten Jahr eine zweite 24-Stunden-Kita für 60 Kinder, sagte Preuß.

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Bundesweit sollen vor dem Hintergrund des Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz für unter Dreijährige ab 2013 die Angebote ausgebaut werden. In den alten Bundesländern fehlen laut Statistik 230 000 Krippenplätze. Im Westen wird derzeit nur jedes fünfte Kleinstkind tagsüber betreut, im Osten ist es jedes zweite.

Vor allem in Randzeiten, an Sonn- und Feiertagen, mangele es bundesweit an Betreuungsmöglichkeiten, während Berufstätige zunehmend auch nachts und an Wochenenden arbeiteten, erklärt der Sprecher des Arbeitsagentur-Bereichs Nord in Kiel, Horst Schmitt. Besonders alleinerziehende Frauen in Gastronomie, Einzelhandel oder Gesundheitsbranche seien auf flexible Kitazeiten angewiesen. «8 bis 16 Uhr, und nur von Montag bis Freitag, das reicht nicht aus.»

Schwerin scheint eine Lösung gefunden zu haben. Gerade holt Sandra Rieger (36) ihren Sohn Finn-Luca (2) nach dem Abendessen in der 24-Stunden-Kita ab. Sie arbeite als Kellnerin in drei Schichten, ihr Mann gehe europaweit auf Montage und komme nur alle zwei, drei Wochen nach Hause, erzählt sie. «Ohne den Platz hier hätte ich meinen Job aufgeben müssen.» Dank ihrer festen Anstellung kann sie die um rund 100 Euro höheren monatlichen Kitakosten gut verkraften.

Kindergarten-Leiterin Brinkmann betont, dass die Kinder nicht rund um die Uhr und insgesamt nicht länger als Gleichaltrige in der Kita seien. «Sie verbringen nur andere Zeitfenster hier mit ihren Freunden und Betreuern.»

Dean und Yannik machen es sich mit ihrer Erzieherin Doreen Holtz für die Nacht gemütlich. Zum Einschlafen gibt es noch eine Geschichte. «Ein verlässlicher Tagesablauf und familiäre Atmosphäre, das zeichnet eine 24-Stunden-Kita aus», sagt Holtz. Zum Frühstück werden für Dean vier Kerzen, ein Kuchen und ein kleines Geschenk auf dem Tisch stehen. Dann holen seine Eltern ihn ab – und starten am Vormittag gemeinsam in den Feier-«Abend». GRIT BÜTTNER, dpa

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2 Kommentare
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Rike
11 Jahre zuvor

Das ist nicht die erste 24h-Kita in Deutschland. In Schwedt gibts das schon lange.
http://www.uebernachtungskita.de/details/view/kita-schnatterenten.html

pfiffikus
11 Jahre zuvor

Ich wundere mich schon einigermaßen, dass Projekte dieser Art geradezu euphorisch gefeiert werden.
An der Diskussion über das „Recht auf einen Kita-Platz“ beteiligen sich i.d.R. Politik- und Rechtsexperten. Fachleute für Kleinkinder und menschliche Entwicklung kommen kaum zu Wort. Deshalb fehlt diese ganz wichtige Stimme in der Diskussion. Aufgrund seiner umfassenden Therapieerfahrungen weiß z.B. Dr. Maaz vom Choriner Institut für Tiefenpsycholgie sehr genau, welche Folgen eintreten können, wenn Kleinstkinder in den ersten drei Jahren nicht verlässlich und konstant von einer Bezugsperson begleitet werden. Idealerweise ist das natürlich die Mutter. Verschiedene Fachdisziplinen wie Säuglingsforschung,Entwicklungspsychologie,Psychotherapie,
Neurohysiologie u.a. haben entsprechende Tatbestände längst nachgewiesen. Nur große Teile der Politik wollen diese Erkenntnisse offensichtlich nicht wahrhaben. Ist es ihnen egal, ob in dieser „hoch sensiblen Entwicklungsphase“ ein Kleinstkind „seelisch gesund“ oder „gestört“ aufwächst?
Nach Dr. Maaz braucht ein Kind etwa ab dem 3. Lebensjahr Kontakte mit Gleichaltrigen, um sich weiter zu entwickeln.
Über frühkindliche Bildung kann daher erst ab diesem Lebensalter nachgedacht werden. Die wichtigste Grundlage dafür ist aber „eine zuverlässige und emotional getragene Bindung“.
Nach Dr. Maaz sollte individuell entschieden werden, welche Betreuungsform für welches Kind infrage kommt. Es können Hausbesuche, stundenweise Einsätze von Tagesmüttern oder qualifizierte Krippenbetreuungen sein, wenn Mütter permanent überfordert sein sollten.
In der gegenwärtigen Diskussion wird die „mütterliche Fürsorge“ auch durch Begriffe wie „Herdprämie“ diffamiert. Das sei nach Dr. Maaz Ausdruck einer kinderfeindlichen Tendenz in unserer Gesellschaft.
Bezüglich des Kitagesetzes sind die Weichen gestellt worden, und die Politik wird sich nicht mehr davon abbringen lassen. Ich glaube auch, dass sie meint, der Wirtschaft und den Frauen einen guten Dienst zu erweisen.
Das gilt sicher für Kinder ab dem 3. Lebensjahr. Davor aber ganz bestimmt nicht.
Den Gegnern des Kita-Gesetzes bleibt eigentlich nur noch der Gang nach Karlsruhe.Ich wäre sehr gespannt, wie das Gericht wohl entscheiden würde.