Prüfungsangst, Mobbing oder keine Lust: Was Schwänzer von der Schule fernhält

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MÜNCHEN. Fast jeder hat es schon einmal getan – die Schule geschwänzt. Auch Christine Sälzer, Dozentin an der Technischen Universität München, hat während ihrer Schulzeit die eine oder andere Schulstunde sausen lassen: «Gelegentlich». Heute widmet sich die 32-Jährige dem Schulschwänzen professionell – sie hat darüber ihre Doktorarbeit geschrieben und erforscht das Phänomen Schulschwänzen. Vom Gelegenheitsschwänzer, der einfach ausschlafen will oder sich auf einen Test nicht vorbereitet hat bis hin zum Dauerschwänzer, der über Wochen dem Unterricht fern bleibt, reicht das Themenspektrum.

Viele Schüler schwänzen hin und wieder - nicht bei allen stecken ernste Probleme dahinter. Foto: Foto: Brandon Christopher Warren  / Flickr (CC BY-NC 2.0)
Viele Schüler schwänzen hin und wieder – nicht bei allen stecken ernste Probleme dahinter. Foto: Foto: Brandon Christopher Warren / Flickr (CC BY-NC 2.0)

 

Sälzer hinterfragt mit ihrer Forschung an der «TUM School of Education» die Motivation der Schulschwänzer, untersucht die Rolle von Lehrern und Eltern, die Reaktionen der Klassenkameraden und sucht nach Lösungen. Lösungen, wie Schulschwänzen vermieden werden kann, wie Schulverweigerer wieder in die Klassengemeinschaft integriert werden können und welche Strafen sinnvoll sind. Dabei betrachtet die Wissenschaftlerin sämtliche Schulformen, wobei ihrer Ansicht nach an Gymnasien tendenziell am wenigsten geschwänzt wird. Schulen schlägt sie einen Vier-Punkte-Plan vor, um Schulschwänzen zu verhindern.

Eines stellt Sälzer, die dieser Tage ihre Forschungsergebnisse beim Europäischen Kongress zur empirischen Bildungsforschung (EARLI) in München präsentiert hat, gleich klar: Deutschlandweit verlässliche Zahlen zu Schulschwänzern gibt es nicht. Schule ist Ländersache, Studien zum Schulschwänzen sind meist regional begrenzt und die Quellenlage schwierig. «Man darf ja nicht einfach in eine Schule gehen, in die Klassenbücher schauen oder die Kinder befragen.»

Zudem komme es auf die Fragestellung an: So hätten bei einer Studie in Deutschland und der Schweiz 50 Prozent der befragten Neunt- und Zehntklässler gesagt, im aktuellen Schuljahr beziehungsweise im Laufe ihrer Schulzeit bereits geschwänzt zu haben. Wenn aber ein Schüler ein Mal im Schuljahr nicht in den Unterricht gehe, habe er zwar die Schule geschwänzt, sei aber kein notorischer Schulschwänzer. Dass sie bereits mehrere Tage am Stück geschwänzt haben, sagten laut dieser Studie lediglich ein bis fünf Prozent der Schüler.

Das Bundesfamilienministerium widmet sich dem Thema mit dem groß angelegten Projekt «Schulverweigerung – Die 2. Chance». Hier sollen Schulschwänzer dazu motiviert werden, wieder regelmäßig den Unterricht zu besuchen, sich aktiv zu beteiligen und Probleme aufzuarbeiten. Ziel ist es, dass die betroffenen Schüler einen Schulabschluss erreichen und somit eine Chance im Berufsleben haben. Schulverweigerung ist nach Mitteilung des Familienministeriums einer der Gründe, weshalb jährlich rund 7,5 Prozent der Schüler eines Jahrganges die Schule ohne Abschluss verlassen.

Schüler finden Sälzer zufolge vielfältige Gründe, dem Unterricht fern zu bleiben. Die einen kommen morgens mal nicht aus dem Bett, drücken sich vor einer Klausur, haben keine Lust auf Sport oder treffen spontan einen Kumpel. «Das sind die weniger problematischen Fälle.» Im Gegensatz zu den Gelegenheitsschwänzern haben andere echte Probleme. Sie trauern um einen Freund, haben mit der Scheidung ihrer Eltern zu kämpfen, fühlen sich in ihrer Klasse als Außenseiter oder vom Lehrer ungerecht behandelt. «Oder sie haben Angst vor Mathe, gehen deswegen nicht hin, fehlen immer öfter – und je öfter sie fehlen, desto mehr verlieren sie den Anschluss.» Eine Spirale, aus der viele Schüler allein nicht herauskommen.

Wichtig ist, dass Eltern und Lehrer das Schwänzen oder die gefälschten Entschuldigungen bemerken und den Schüler darauf ansprechen, wie die Erziehungswissenschaftlerin sagt. Absenzenlisten zu führen, dürfe kein reiner Verwaltungsakt sein. Auch sinnlose Krankmeldungen sollten besprochen werden. «Wenn sich jemand heute wegen Lungenentzündung entschuldigt und zwei Tage später beim Sportfest mitmacht, muss das den Lehrern auffallen.» Lehrer und Eltern sollten dem Schüler klarmachen, dass sie das Schwänzen nicht akzeptieren und dass sie sich nicht für dumm verkaufen lassen.

Ein gutes Schulklima trägt dazu bei, dass Schüler weniger schwänzen. Man könne nicht von jedem Kind erwarten, dass es grundsätzlich gerne in die Schule geht, sagt Sälzer, «wohl aber eine gewissen Leidensbereitschaft». In Deutschland sei die Schule nun mal eine Pflicht und keine Option. Im Berufsleben werde einem später auch nicht alles immer Spaß machen. «Das muss man den Kindern vermitteln.»

Mit einem Vier-Punkte-Plan könnten Schulen dem Schwänzen entgegenwirken. «Lehrer müssen das Schwänzen explizit registrieren und ansprechen. Sie sollen Krankmeldungen nachreichen lassen. Dann ist es wichtig, die Entschuldigung zu überprüfen und gegebenenfalls einen Vertrauenslehrer einzuschalten. Und falls alles nichts bringt, sollten die Eltern informiert werden.» Den versäumten Unterrichtsstoff nacharbeiten oder den Schüler nachsitzen oder Müll im Pausenhof sammeln lassen, sei meist ein guter Warnschuss – die Schüler sehen, dass ihr Verhalten bemerkt wird.

«Die Strafe sollte mit einem pädagogischen Zweck verbunden sein.» Da könne selbst der vorübergehende Schulausschluss Wirkung zeigen. «Die Schule dreht damit den Spieß herum.» Falls Eltern notorisches Schulschwänzen ihrer Sprösslinge tolerieren, droht ihnen Bußgeld oder gar Beugehaft.

Für Klaus Wenzel, Präsident des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbandes (BLLV), ist die Kommunikation zwischen Lehrern und Eltern ein wichtiger Faktor. «Jede Seite trägt 50 Prozent der Verantwortung für die Erziehung eines Kindes.» Entscheidend sei, dass die Eltern überhaupt mitbekommen, dass ihr Kind im Unterricht fehlt. Dann könne nach Ursachen und Lösungen gesucht werden. «Sechsjährige gehen mit großer Begeisterung in die Schule», sagt Wenzel. Man müsse herausfinden, an welcher Stelle bei einem Kind etwas passiert, dass es das Risiko und die Anstrengung auf sich nimmt zu schwänzen. «Schule soll ihre Attraktivität behalten wie am ersten Schultag.» dpa

 

 

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