Stellenstreichung abgeblasen: Stoch will jetzt 6.000 neue Lehrer einstellen – doch der Markt ist leer

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STUTTGART. Statt Stellen zu streichen, stellt Baden-Württembergs Landesregierung nun Lehrer in großem Stil ein. Doch der Markt ist zunehmend leer. Die Opposition wirft Grün-Rot vor, den Lehrerberuf unattraktiv gemacht zu haben.

Baden-Württemberg hat sich endgültig von den früher mal vorgesehenen Streichungsplänen verabschiedet und stellt zum neuen Schuljahr 2015/2016 rund 6000 neue Lehrer ein. Das sei die höchste Zahl an Neueinstellungen seit den 1970er Jahren, sagte Kultusminister Andreas Stoch (SPD) am Donnerstag in Stuttgart. Doch Lehrer zu finden, wird zunehmend schwieriger – vor allem für mathematisch-naturwissenschaftliche Fächer und Schulen in Randlagen. Zudem kündigte der Minister den Ausbau von Oberstufen in den unter Grün-Rot neu eingeführten Gemeinschaftsschulen an. Voraussetzung: Sie müssen eine Mindestzahl von 60 Schülern pro Jahrgang nachweisen.

Sowohl die Zugangsvoraussetzungen zur Oberstufe als auch die Abiturprüfungen sollen identisch sein zu denen an Gymnasien – mit einem Unterschied: An der Gemeinschaftsschule soll es möglich sein, eine zweite Fremdsprache in der Obstufe ganz neu zu lernen, da manche Schüler dazu in der Mittelstufe keine Gelegenheit hatten.

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Seine Personalplanung wurde von der Realität überholt: Bildungsminister Andreas Stoch. (Foto: PR)

Der Berufsschullehrerverband Baden-Württemberg forderte hingegen, auf eine gymnasiale Oberstufe an Gemeinschaftsschulen zu verzichten. Landeschef Herbert Huber sagte, angesichts des flächendeckenden Netzes beruflicher Gymnasien mit mehr als 220 Standorten und Berufskollegs mit mehr als 260 Standorten stünden den künftigen Absolventen der Gemeinschaftsschulen genügend Möglichkeiten zur Verfügung, um das Abitur oder die Fachhochschulreife zu erwerben. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) meinte hingegen, die Einrichtung von gymnasialen Oberstufen an Gemeinschaftsschulen entspreche den Erwartungen der Eltern.

Rund 5000 freie Stellen wegen Pensionierungen und Elternzeit

Zum Thema Lehrereinstellungen sagte Stoch, insbesondere bei Krankheitsvertretungen, Aufgaben zur Einbeziehung behinderter Kinder in den regulären Schulunterricht (Inklusion) und Vorbereitungsklassen für Flüchtlingskinder gebe es noch offene Stellen. Die hohe Zahl an Neueinstellungen gibt es deshalb, weil rund 5000 Stellen wegen Pensionierungen und Elternzeit frei geworden sind und zusätzliche Lehrer etwa für die Inklusion benötigt werden. Eltern behinderter Kinder können mit dem neuen Schuljahr entscheiden, ob ihr Kind auf eine Sonderschule oder auf eine allgemeinen Schule gehen soll. Die früher geltende Sonderschulpflicht ist weggefallen.

Die GEW forderte mehr feste Stellen für die Lehrerreserve, um Engpässe abfedern zu können. «Wir müssen die jungen Lehrer früher und langfristiger einstellen und binden. Befristete Verträge können wir uns auf Dauer nicht mehr leisten», sagte Landeschefin Doro Moritz. FDP-Bildungsexperte Timm Kern warf Stoch vor, kein Personalkonzept zu haben. Er kritisierte, dass Grün-Rot die Eingangsbesoldung gekürzt hat. Damit sei der Lehrerberuf unattraktiver geworden.

Streichungspläne aufgegeben

Nach sechs Wochen Ferien beginnt an diesem Montag im Südwesten der Schulalltag wieder. Allein an den allgemeinbildenden Schulen wird mit rund 1,12 Millionen Schülern gerechnet. Ursprünglich hatte die grün-rote Landesregierung nach der Machtübernahme 2011 angekündigt, Lehrerstellen im großen Stil streichen zu wollen. Weil der Schülerrückgang weniger stark als zunächst erwartet ausfällt, weil neue Aufgaben wie die Inklusion zu bewältigen sind und weil sowohl Bevölkerung als auch Gewerkschaften Front gegen die Streichungspläne machten, hat Grün-Rot aber Abstand von solchen Plänen genommen.

Bei der Umsetzung der Inklusion mahnte Stoch zur Geduld. Eine Ende August veröffentlichte Erhebung der Bertelsmann Stiftung hatte ergeben, dass Baden-Württemberg in diesem Bereich im Vergleich der anderen Länder hinterherhinkt. Stoch erklärte, dass andere Bundesländer die Inklusion viel früher angegangen seien. «Inklusion ist ein Prozess, der Jahre, der Jahrzehnte, braucht, bis er auch in die pädagogische Praxis wirklich bis in die letzte Ecke Einzug hält.» Bettina Grachtrup/dpa

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