„Eine Grundschule für alle“ auf Rügen – Erwartungen bislang nicht erfüllt

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ROSTOCK. Die UN-Konventionen geben es vor: Alle Kinder sollen das Recht haben, gemeinsam zur Schule zu gehen, egal ob sie behindert sind oder nicht. Auf Rügen gibt es dazu einen wissenschaftlich begleiteten Modellversuch – mit einer ersten Zwischenbilanz.

Das Rügener Modellprojekt sollte ursprünglich auf ganz Mecklenburg-Vorpommern ausgeweitet werden. Foto: Dirk Vorderstraße/Flickr (CC BY 2.0)

Das vor zwei Jahren gestartete Modellprojekt an Rügens Grundschulen, Kinder mit und ohne Beeinträchtigungen gemeinsam zu unterrichten, erfüllt bislang nicht alle Erwartungen. Die in der Fachliteratur beschriebenen positiven Effekte bei den Schulleistungen würden noch nicht erreicht, räumt ein Forscherteam um den Sonderpädagogen Bodo Hartke von der Universität Rostock in einem Zwischenbericht ein. Der Bericht wurde auf einem Bildungskongress in Rostock vorgestellt. Insbesondere die leistungsstarken Kinder profitieren demnach bislang nicht wie erhofft von dem inklusiven Modell.

Die Universität Rostock begleitet das Projekt an den zwölf staatlichen Grundschulen auf Rügen wissenschaftlich. Die Forscher vergleichen die Entwicklung der Rügener Kinder mit der von Grundschülern in Stralsund. Dort wird nach dem herkömmlichen Schulsystem unterrichtet – Kinder mit Beeinträchtigungen lernen in der Sprachheilschule oder in speziellen Diagnoseförderklassen.

Leistungen bleiben im normalen Bereich

Die Ergebnisse: Die durchschnittlich und höher begabten Kinder in der Stralsunder Vergleichsgruppe rechnen am Ende der zweiten Klasse etwas besser als ihre Altersgenossen auf Rügen. Auch machen die Rügener Kinder im Durchschnitt mehr Rechtschreibfehler. Dies könne sich aber im Verlauf der Grundschulzeit noch ändern, sagte Hartke. Insgesamt lägen die Leistungen in beiden Gruppen im pädagogisch normalen Bereich. Beim Lesen stellten die Forscher keine Unterschiede fest. Hartkes Fazit zum Thema Inklusion: «Das Ganze ist unaufgeregt zu sehen. In beiden Systemen werden die Kinder gut gefördert.» Bei der Förderung leistungsstarker Schüler sollte auf Rügen allerdings nachgelegt werden.

Das Sozialverhalten profitiert

Positiv heben die Forscher die gute Entwicklung der Rügener Kinder beim emotionalen und sozialen Verhalten hervor. Die Kinder mit Risiken hätten ein besseres Selbstwertgefühl. Sie bekämen durch die Integration in die herkömmliche Schule nicht das Signal, etwas Besonderes im schlechten Sinne zu sein. Bei den Schulleistungen liegen die in Sprachentwicklung und Verhalten zum Zeitpunkt der Einschulung beeinträchtigten Kinder gleichauf mit den Kindern ihrer Vergleichsgruppe in Stralsund.

Die Schüler mit Lernschwierigkeiten sind in dem Bericht noch nicht verglichen worden. Hintergrund ist, dass die Kinder in den Diagnoseförderklassen den Stoff der ersten zwei Schuljahre in drei Jahren absolvieren.

Kontroverse Diskussionen stoppten Ausweitung des Modells

Die Inklusion ist ein heiß diskutiertes Thema in Mecklenburg- Vorpommern. Die geplante Ausweitung des Rügener Modells auf den Schulamtsbezirk Greifswald hatte Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD) kurz vor der Landtagswahl 2011 nach heftiger Kritik von Eltern und Lehrern gestoppt. Dem damaligen BildungsministerHenry Tesch (CDU) wurde eine überstürzte und schlecht vorbereitete Einführung der Inklusion vorgeworfen. Viele Lehrer fühlten sich überfordert.

Skeptisch zur Inklusion äußerte sich jüngst auch der Rostocker Elternrat. Vielen Pädagogen fehle noch die Ausbildung, um individuell auf die Kinder mit ihren unterschiedlichen Begabungen eingehen zu können, hatte der Vorsitzende, Max Raudszus, gesagt. Das ganze Schulsystem sei noch nicht darauf vorbereitet, auch wenn Deutschland die der Inklusion zugrundeliegende UN-Behindertenkonvention schon vor gut drei Jahren unterzeichnet habe.

Um alle behinderten und nichtbehinderten, beeinträchtigten und nicht beeinträchtigten Kinder gemeinsam zu unterrichten, müsste Mecklenburg-Vorpommern nach früheren Berechnungen des Bildungsökonomen Klaus Klemm jährlich 45,2 Millionen Euro zusätzlich ausgeben und 636 Lehrer einstellen. Für das Modellprojekt auf Rügen wurde Hartke zufolge, abgesehen von der wissenschaftlichen Begleitung, kein zusätzliches Geld ausgegeben. dpa

(24.11.2012)

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