DARMSTADT. Nachhilfe geht ins Geld. Eltern greifen mitunter tief in die Tasche, damit aus Kindern Abiturienten werden oder die Lehre nach Wunsch winkt – denn dann sind die Berufsaussichten und Verdienstmöglichkeiten besser. «Der Nachhilfemarkt boomt», weiß der hessische Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen, Jochen Nagel.
Die Bildungsforscher Klaus und Annemarie Klemm hatten 2010 im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung untersucht, wie stark private Nachhilfe genutzt und wie viel dafür ausgegeben wird. Ergebnis: Jeder achte Schüler paukt noch nach der Schule privat mit einem Nachhilfelehrer weiter. Bundesweit rund 1,1 Millionen Schüler nehmen regelmäßig bezahlten Nachhilfeunterricht in Anspruch. Das sind 12,2 Prozent der insgesamt neun Millionen Schüler an allgemeinbildenden Schulen. Insgesamt geben Eltern nach der Studie jährlich zwischen 942 Millionen und knapp 1,5 Milliarden Euro dafür aus – also zwischen rund 850 Euro und 1.350 Euro pro Schüler und Jahr.
Tendenz steigend: «Sowohl von Nachhilfeinstituten als auch von Nachhilfelehrern wurde mir berichtet, der Zulauf sei ungebrochen», sagt etwa der Vorsitzende des hessischen Landeselternbeirats, Matthias Bedürftig. «Das Schulsystem insbesondere G8 ist nicht kindgerecht.» Die Bertelsmann Stiftung sieht es ähnlich. «Man kann davon ausgehen, dass die Nachhilfe zunimmt», sagt Mitarbeiterin Antje Funcke.
Die Studienkreis GmbH, nach eigenen Angaben die meistbesuchte Nachhilfeschule in Deutschland, sieht dagegen in den vergangenen 10 bis 15 Jahren keine Zunahme. Die Nachhilfe-Zahlen «bewegen sich aber auf hohem Niveau», meint Sprecher Thomas Momotow.
Mathe, Deutsch und Englisch – das sind die Fächer, für die die Hilfe am gefragtesten ist. Aber nicht erst, wenn die Versetzung gefährdet ist: «Manchmal kümmern sich Eltern um Nachhilfe, wenn das Kind gute Noten hat», sagt der Vorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) Hessen, Stefan Wesselmann. «Das Kind soll einfach das Gymnasium packen.»
Die Erfahrung der Bertelsmann Stiftung: «Eltern haben große Bedenken, dass Kinder hängen bleiben», sagte Funcke. «Durch G8/G9 ist der Druck sicherlich eher gestiegen als zurückgegangen.» Die Stiftung hat 2010 eine Studie veröffentlicht.
Aber was ist, wenn die Kosten auf Eltern zukommen, denen das Geld fehlt? «Eltern sind auch bereit, Erspartes anzuknabbern», berichtet Landeselternbeirat-Vorsitzender Bedürftig. Die Bertelsmann Stiftung verweist zwar auf das Bildungspaket der Bundesregierung, aus dem Nachhilfe bezahlt werden kann. «Dies ist aber daran gekoppelt, ob die Versetzung gefährdet ist», berichtet Funcke. Kinder, deren Eltern schon vorher Nachhilfe bezahlen könnten, seien im Vorteil. Laut GEW-Chef Nagel haben Kinder sozial schwacher Eltern «echte Nachteile».
Die Kosten für Nachhilfe können unterschiedlich ausfallen – je nachdem, ob ein guter Schüler hilft oder ein Privatlehrer angeheuert wird. Ein besonderes Beispiel: Drei von vier Kindern eines Familienvaters, der nicht genannt werden möchte, gehen zur Schule, alle auf ein Gymnasium – und alle bekommen Nachhilfe von einem Privatlehrer. «Da kommen im Monat rund 600 Euro zusammen», rechnet er zusammen. Preiswerter wird es bei einer 13 Jahre alten G8-Gymnasiastin aus Frankfurt, die einmal pro Woche Nachhilfe bekommt, wechselweise in den Fächern Mathe, Physik und Latein, die Stunde zehn Euro.
Die Studienkreis GmbH verlangt für die Dreiviertelstunde in der Gruppe 8,50 Euro. «Je nach Tarif und Anzahl der Nachhilfestunden muss man mit etwa 85 bis 150 Euro im Monat rechnen», rechnet Momotow zusammen. Beim Anbieter tutoria geht es los mit 15 Euro, allerdings als Einzel-Nachhilfe und nicht in der Gruppe.
«Aus unserer Sicht geht die Schere immer weiter auseinander», kritisiert Wesselmann vom VBE die Entwicklung. Er sieht praktisch zwei Gruppen: «Eltern, die sich nicht kümmern wollen oder können auf der einen Seite. Und dann Eltern, die ihre Kinder von der Grundschule an überversorgen.» dpa
Zum Bericht: «Nachhilfe ist der Schatten des öffentlichen Schulsystems»