Schule mit hohem Migrantenanteil setzt ihre Klassen nach Herkunft zusammen – und erntet Rassismus-Vorwürfe

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AARHUS. Eine von vielen Migrantenkindern besuchte Schule im dänischen Aarhus hat damit begonnen, ihre Schüler nach Herkunft in Klassen aufzuteilen – und hat damit einen heftigen Grundsatzstreit ausgelöst. Ist es förderlich oder hinderlich für die Integration, Kinder aus Einwandererfamilien auszusondern? Eine Frage, die in Deutschland aktuell Hunderttausende von Flüchtlingskindern betrifft – sofortiger Regelunterricht oder „Willkommensklassen“, so heißen hierzulande die diskutierten Gegensätze.

Ist es angemessen und sinnvoll, die Zusammensetzung von Klassen nach familiärer Herkunft zu steuern? Foto: l'insouciant1 / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)
Ist es angemessen, Schulklassen nach familiärer Herkunft zu besetzen? Foto: l’insouciant1 / flickr (CC BY-NC-SA 2.0)

In Aarhus, daraus macht die Schule allerdings keinen Hehl, steht ein Problem im Vordergrund, das in Deutschland (noch) nicht im Zusammenhang mit den Flüchtlingskindern, wohl aber mit Einwandererkindern aufgetreten ist – eine Flucht von einheimischen Schülern nämlich. Diese musste das Gymnasium, um das es hier geht, allerdings in den letzten Jahren erleben. Stammten vor zehn Jahren noch drei Viertel des neu eingeschulten Jahrgangs aus dänischstämmigen Familien, sind es aktuell nur noch 20 Prozent – die Migrantenkinder sind längst in der Mehrheit. Und zwar in einer solch großen, dass sich in absehbarer Zeit wohl kaum mehr ein Nicht-Migrant an die Schule verirren wird. Das gibt es auch in Deutschland: Schulen mit einem Migrantenanteil von 80, 90 Prozent sind in Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet oder Berlin keine Seltenheit.

Seit Beginn des neuen Schuljahrs gibt es in der Unterstufe des Gymnasiums in Aarhus nun vier Klassen, in die nur Kinder mit Migrationshintergrund sortiert wurden. In drei weiteren Klassen sind je zur Hälfte Kinder mit und ohne Migrationshintergrund. „Es ist reine Diskriminierung, wenn man die Leute danach sortiert, ob sie weiße oder braune Dänen sind“, meint dazu die  Vorsitzende der Organisation „SOS mod Racisme“. Eine Sprecherin des Instituts für Menschenrechte äußerte Zweifel daran, ob das Vorgehen der Schule rechtlich einwandfrei  ist. „Wenn das Kriterium Ethnizität ist, dann könnte es genauso gut einfach die Hautfarbe sein, und dann ist es rassistisch.“ Der Direktor wehrt sich gegen die Vorwürfe: „In Wahrheit ist die Absicht doch gerade, dass wir Diskriminierung verhindern, weil so ein Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Jugendgruppen und ihrer Jugendkultur entstehen kann“, erklärt der Schulleiter – und wirft damit eine pädagogisch interessante Frage auf: Kann Integration womöglich sogar besser gelingen, wenn die Schule den Zusammenhalt in ethnischen Gruppen fördert?

Der Fall hat die dänische Politik auf den Plan gerufen. Schulministerin Ellen Trane Nørby will sich in Zukunft schulübergreifend für eine gleichmäßigere Verteilung der zweisprachigen Schüler einsetzen. „Die Ghettoschulen, die wir heute sehen, schaden dem einzelnen Schüler, der keinen dänischen Schülern, Normen und Werten begegnet“, sagte die Ministerin. „Und sie schaden unserer Gesellschaft, und deshalb ist politisches Handeln nötig.“ Wie sie eine gleichmäßigere Verteilung hinbekommen will, blieb allerdings offen.

Das Problem hat auch schon den Deutschen Philologenverband auf den Plan gerufen. Er sprach sich bereits im vergangenen Herbst für eine Begrenzung des Migrantenanteils in Schulklassen aus. Nur so könne Integration gelingen, sagte Verbandschef Heinz-Peter Meidinger der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Schon wenn der Anteil von Kindern nicht deutscher Muttersprache bei 30 Prozent liegt, setzt ein Leistungsabfall ein. Dieser wird ab 50 Prozent dramatisch.“ Dies sei unter anderem durch eine PISA-Begleitstudie belegt.

Die Migranten selbst äußerten den Wunsch nach gemischten Klassen, weil dies Integration und Spracherwerb fördere, sagte Meidinger weiter. Er verwies auf entsprechende Befragungen der Stiftungen Vodafone und Mercator. „Wir wollen keine Gettos“, sagte Meidinger, der ein Gymnasium in Bayern leitet, laut Bericht.

Meidinger unterstrich die Notwendigkeit von „Willkommens- oder auch Sprachlernklassen“ für Flüchtlingskinder, damit diese schnellstmöglich die deutsche Sprache lernen. Es wäre aber „fatal“ und die schlechteste Lösung, wenn diese zu 100 Prozent aus Flüchtlingskindern bestehenden Klassen auch in den Regelklassen der verschiedenen Schularten wiederauflebten. Dies fördere Parallelgesellschaften, sagte der Vorsitzende des Philologenverbands, der bundesweit 90.000 Gymnasiallehrer vertritt. Agentur für Bildungsjournalismus

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Pälzer
7 Jahre zuvor

Obergrenze?

Carsten60
4 Jahre zuvor

„eine Flucht von einheimischen Schülern“
Dieses Phänomen gibt’s ja auch in Deutschland. Das wird dann gern als Gemeinheit gegenüber Migranten und unteren sozialen Schichten gedeutet. Aber wie sind die Überlegungen dabei denn wirklich? Hier ein Zitat:
„Das hat auch, aber nicht nur, mit Abstiegsängsten zu tun und mit der daraus resultierenden ‚Bildungspanik‘, die der Soziologe Heinz Bude so beschreibt: ‚Man will sich weder rassistisch noch elitistisch gebärden, aber wenn der Eindruck entsteht, dass bei bildungspolitischen Maßnahmen die eigenen Kinder als soziale Kittmasse und motivationales Auffüllmaterial für Kinder aus Familien herhalten sollen, bei denen die Eltern weniger geneigt scheinen, sich für die Bildung und das Fortkommen ihrer Kinder einzusetzen, dann geraten die Engagierten leicht in Rage über das angemaßte Wissen von Bildungsverwaltungen und Schulbehörden.‘ “
Soweit also ein Soziologe mit nüchternem Blick. Das „angemaßte Wissen“ muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Heißt das vielleicht „Schule als Instrument der Sozialpolitik“ oder gar „Schule als Korrekturfaktor einer verfehlten Einwanderungspolitik“ ? Die angestrebte soziale Durchmischung (als solche eigentlich sinnvoll) hat eben auch einen Preis, und den sollen die genannten „Engagierten“ bezahlen. Dass die davon nicht begeistert sind, ist eine ganz natürliche Reaktion, auch in Dänemark (s. oben).

Palim
4 Jahre zuvor
Antwortet  Carsten60

„Man will sich weder rassistisch noch elitistisch gebärden“, tut es aber doch und bildet selbst an genau solch einer Stelle selbst die Parallelgesellschaft, indem man sich absondert.

Die dänische Ministerin hat es gut erklärt: es geht um _Gesellschaft_.
Die Schulen, auch in unserem Land, sind ein Spiegel davon.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Wenn Stadtteile in Essen, Duisburg oder Berlin, wie Duisburg-Marxloh oder Berlin-Neukölln einen sehr hohen Anteil an Schülern mit einem Migrationshintergrund haben, so ist es subjektiv verständlich, wenn man sich als in die Minderheit geratener Mitbürger andere Schulbezirke für seine Kinder aussucht.
Die Gefahr der Entstehung von Ghettos und Parallelgesellschaften ist Folge einer fehlgeleiteten Migrationspolitik ohne eine gleichmäßige Aufteilung, und man sollte vorsichtiger in seinen Urteilen gegenüber den verbliebenen Bevölkerungsgruppen sein, die sich einem sozioökonomischen Abstieg ausgesetzt fühlen.

Ignaz Wrobel
4 Jahre zuvor
Antwortet  Ignaz Wrobel

Ergänzend steht unter der https://www.welt.de.regionales/nrw/article148259746/schon-wieder-muss-Marxloh-gerettet
ein Bericht über die Migration von Mitbürgern türkischer Abstammung in der 2.Generation, die vor Clankriminalität und der Zuwanderung anderer Gruppen wegziehen.

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Fragen wir lieber, ob diese dänische Ministerin (übrigens einer Mitte-rechts-Regierung angehörig) bereit wäre, ihre eigenen Kinder auf solche Schule mit 80% Migrantenanteil zu schicken. Vermutlich doch nicht.
Fragen wir auch mal, ob unsere Grünen-Politiker/innen dazu bereit wären. Frau Baerbock wohnt in Potsdam, wo es keine Brennpunktschulen zu geben scheint. Herr Habeck wohnt im beschaulichen Flensburg, wo es auch einige Ausländer gibt, aber die größte Gruppe stellen die Dänen. Mit denen wird das in der Schule schon gehen. Er spricht auch Dänisch.
Und „Gesellschaft“ entsteht als Summe des individuellen Handelns vieler. Das individuelle Handeln aber richtet sich nach individuellen Kriterien und eben nicht nach irgendwelchen Multikulti-Prinzipien, die in Sonntagsreden postuliert werden.

Carsten60
4 Jahre zuvor
Antwortet  Palim

Zusatz: Diese dänische Ministerin gehörte damals dem zweiten Kabinett Lokke Rasmussen an. Später gehörte sie als Gesundheitsministerin dem dritten Kabinett an, und das war eine Minderheitsregierung, die lt. Wikipedia von den Rechtspopulisten (Dansk Folkeparti) gestützt bzw. toleriert wurde. In dieser Zeit wurde die Zuwanderungspolitik erheblich verschärft. Im Artikel oben wird das seltsam dargestellt.

xxx
4 Jahre zuvor

Es wäre wirklich rassistisch, wenn die Schule zwei Klassen mit den ethnischen Dänen und fünft Klassen mit den Migranten, möglicherweise noch nach Herkunft oder Kultur sortiert, gebildet hätte. Mich würde es nicht überraschen, wenn von den 40 Kindern ohne Migrationshintergrund mindestens die Hälfte die Anmeldung widerrufen hätte, wenn sie gleichmäßig auf die sieben Klassen verteilt worden wären.

Über was für Migranten reden wir hier eigentlich? Ich kann mir nämlich kaum vorstellen, dass die Feindschaft zwischen Dänen und Norwegern, Schweden, Finnen und Isländern so groß ist, dass die Eltern der Einheimischen damit Probleme hätten.