Das beste Ergebnis von PISA: Anstrengungen für Bildungsgerechtigkeit lohnen sich – sie wirken. Deutschland liegt nicht mehr (ganz) hinten

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BERLIN. Die PISA-Rute kam am Nikolaustag nicht zum Einsatz. Immerhin sei Nikolaus ja auch Schutzpatron der Schüler, insofern sei Gnade angebracht, sagte der Berliner OECD-Experte Heino von Meyer am Dienstag mit einem Schmunzeln bei der Vorstellung von Ergebnissen des weltweit wichtigsten Schulvergleichstests. Um sogleich einzuschränken: «Es gibt insgesamt wenig Grund zum Feiern.» Trotzdem gibt es einen Fortschritt in einem besonders wichtigen Bereich zu vermelden: Der Zusammenhang zwischen Herkunft und Schulerfolg hat sich deutlich abgeschwächt. Deutschland war hier mal „Negativ-Weltmeister“, liegt immer noch auf dem Niveau von Costa Rica oder Uruguay – hat jedoch Staaten wie Frankreich, Belgien und Ungarn hinter sich gelassen.

Das Cover der aktuellen PISA-Studie. Quelle: OECD
Das Cover der aktuellen PISA-Studie. Quelle: OECD

Was sagen die aktuellen PISA-Zahlen über Schule in Deutschland aus?

Die rund 10.000 getesteten 15-Jährigen (erweiterte Stichprobe) haben das Ziel, wie bei «PISA 2012» in allen Bereichen über dem Schnitt der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu liegen, eindeutig erreicht. Während in Lesekompetenz das bisher beste Ergebnis erzielt wurde, ging es in Naturwissenschaften und Mathematik bergab. Das war aber auch in sehr vielen anderen OECD-Ländern so. Der Abstand zu den PISA-Spitzenreitern aus Asien, Kanada und Europa (Estland, Finnland) bleibt groß – Deutschland gehört jetzt zum oberen Mittelfeld neben Slowenien oder Irland.

Ist das nun gut oder schlecht?

Die Kultusministerkonferenz der 16 Länder (KMK) freut sich, dass ihre Mädchen und Jungen im OECD-Vergleich gut dabei sind. «Es gibt eine Stabilisierung auf hohem Niveau, auf die man durchaus stolz sein kann», so KMK-Präsidentin Claudia Bogedan. Mit Bund-Länder-Projekten für leistungsstarke Schüler und digitale Klassen lasse sich bald noch manches bewirken. Die OECD weist indes darauf hin, dass Bremsspuren im deutschen Bildungssystem nach den reformfreudigen Nuller-Jahren unübersehbar seien. «Das Land muss seinen Reformstau überwinden. Die zweite Raketenstufe hat in Deutschland nicht gezündet», sagt PISA-Chef Andreas Schleicher. Das OECD-Fazit für Deutschland: «Allenfalls stabil, mit einer leicht rückläufigen Tendenz.»

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In welchen Bereichen gibt es eindeutig Verbesserungen?

Beim Zusammenhang von sozialer Herkunft und Bildungserfolg – diese Kluft hat sich laut OECD «deutlich abgeschwächt». So habe jeder Dritte aus besonders stark benachteiligten Milieus hierzulande nun eine realistische Chance, ins leistungsstärkste Viertel vorzudringen – vorher war es nur jeder Vierte. Deutschland hat hier mit die stärksten Verbesserungen gegenüber 2006 aufzuweisen. Dies zeige, dass sich Anstrengungen des Schulsystems für soziale Gerechtigkeit lohnen. Auch bei den Kindern mit Migrationshintergrund verzeichnet die neue PISA-Studie Fortschritte. «Die positive Entwicklung tendenziell abnehmender sozialer Benachteiligung und verbesserter Inklusion muss also Ansporn zu weiteren Anstrengungen sein», sagt OECD-Mann von Meyer. Als Musterknabe gilt inzwischen Vietnam.

Wo drückt der Schuh auch nach 15 PISA-Jahren noch besonders?

Beim Desinteresse ganz vieler Mädchen für Naturwissenschaften. Deutsche Schülerinnen sähen das nur als Paukfach, sagt «PISA-Papst» Schleicher: «Man lernt, um gute Noten zu kriegen. Aber eine Lebens- oder Karriereperspektive? Fehlanzeige.» In Naturwissenschaften finden sich daher unter den besten Schülern überdurchschnittlich mehr Jungen als Mädchen (12,4 zu 8,7 Prozent), bei den schlechtesten ist es umgekehrt. Wie kürzlich schon die TIMSS-Studie zu Viertklässlern zeigte, ist Deutschland von einer oft beschworenen Begeisterung der Mädchen für «MINT-Fächer» weit entfernt. Keine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland, räumt die KMK ein.

Wird Deutschland trotz des Dämpfers PISA-Teilnehmer bleiben?

Davon ist fest auszugehen. Die meisten Bildungsexperten erkennen an, dass der «PISA-Schock» von 2001 hierzulande viel in Bewegung gebracht hat. Und dass man nun solide weiterarbeiten muss. Allerdings wird immer mal wieder über die «Testeritis» im deutschen Schulsystem gemäkelt – und gern auch gegen die OECD-Megatests gestichelt. Asiatische Länder mit «konfuzianischer Lerntradition» und Schuldrill seien nun mal nicht mit europäischen oder amerikanischen Staaten vergleichbar. Auch gebe die OECD-Methodik Anlass zur Kritik – und die Fokussierung auf den Nutzwert von Schule für den Arbeitsmarkt. Der Soziologe und PISA-Gegner Heinz-Dieter Meyer sagte der «Süddeutschen Zeitung» über die weltweit beachteten (und teilweise gefürchteten) OECD-Rankings: «Medaillenspiegel kann man bei Olympia machen, aber nicht für die Schulen. Dafür ist die Materie zu komplex.» Von Werner Herpell, dpa

Hier geht es zur Zusammenfassung der PISA-Studie der OECD.

 

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