Philologen sehen fehlende Chancengerechtigkeit gelassen, VBE spricht von „Offenbarungseid“

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BERLIN. Der Deutsche Philologenverband stellt mit jeder neuen PISA-Veröffentlichung zur Schere im Schulsystem weniger Aufregung fest – kein Wunder, so meint die Vorsitzende Susanne Lin-Klitzing: Sozial benachteiligte Kinder liegen zwar nicht gleichauf mit Kindern aus Akademikerfamilien, holen aber auf. Und: Chancengerechtigkeit gelinge schließlich in keinem Land zufriedenstellend. Der VBE sieht die  Ergebnisse der aktuellen OECD-Studie (News4teachers berichtete) hingegen weniger gelassen. „Die weitere Manifestierung von Bildungsungerechtigkeit ist ein politischer Offenbarungseid“, so heißt es dort.

„Insgesamt recht gutes, wenngleich noch nicht zufriedenstellendes Ergebnis“: Prof. Susanne Lin-Klitzing, Vorsitzende des Philologenverbands. Foto: Deutscher Philologenverband

„Die gelingende Einbeziehung und Aktivierung von Eltern in die frühkindliche und schulische Bildung ist der Schlüssel, denn in der Tat beginnt die Bildungsbiografie mit der Geburt des Kindes!“, sagt Lin-Klitzing. Eltern, Kinder und Lehrkräfte müssten kontinuierlich über die Bildung der Kinder im Gespräch sein. Dazu bedürfe es der Bereitschaft aller drei Seiten, Raum und Zeit. Letztere gibt es aus Sicht des Philologenverbands zu wenig: Jede Arbeitszeitstudie belege, dass Lehrkräfte seit Jahren über das normale Stundenvolumen hinaus arbeiten.

Für Deutschland könne das in Zeiten aktuellen Lehrkräftemangels nur heißen, mehr Geld in die Bildung zu investieren: Zum einen in moderne Gebäude für Kindergärten und Schulen; zum anderen in die sehr gute Nachqualifizierung von Quer- und Seiteneinsteigern – „aufgrund des eklatanten Versagens mancher Bundesländer bei der Planung des Lehrkräftebedarfs“. Zum Dritten: „in zukünftig solide und jährlich aktualisierte Schülerzahl- und Lehrerbedarfsprognosen, denen notwendige Einstellungen folgen müssen“. Lin-Klitzing: „Eine neue gesellschaftliche Wertschätzung der Erziehungs- und Bildungsarbeit der Lehrkräfte tut vor allem Not!“

Erfreulich sei, dass insbesondere bei der Frage, wie integriert und wohl sich die befragten 15-Jährigen in Deutschland in der Schule fühlen, die Antworten deutscher Schülerinnen und Schüler deutlich positiver ausfallen als im OECD-Durchschnitt: 36 Prozent der sozial benachteiligten Schülerinnen und Schüler sind „sozial und emotional resilient“ im Unterschied zu 26 Prozent im OECD-Durchschnitt.

„Klaffende Wissenslücken“

VBE-Bundesvorsitzender Udo Beckmann warnt hingegen davor, sich an den Befund zu gewöhnen, dass Kinder aus sozial schwachen Familien abgehängt werden.  „In Deutschland ist und bleibt Armut ein Schicksal, das sich deutlich auf den Bildungserfolg auswirkt. Und da hilft es auch nichts, dass die schlechtesten Schülerinnen und Schüler Deutschlands im internationalen Vergleich relativ gut dastehen. Im nationalen Vergleich klaffen Wissenslücken zwischen Kindern aus wohlhabenden Elternhäusern und Kindern, die aus sozio-ökonomisch schwachen Verhältnissen kommen. Im Endeffekt müssen sich aber alle gleichermaßen auf dem Arbeitsmarkt behaupten. Erhalten benachteiligte Kinder nicht die Förderung, die sie benötigen, um gleichzuziehen, lassen wir zu, dass sich ihr sozialer Status über Generationen manifestiert. Für ein so reiches Land wie Deutschland ist das ein politischer Offenbarungseid“, betont er.

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie sei, dass Schülerinnen und Schüler, die früh eine hohe Motivation zeigten und gute Leistungen bringen, dies auch fortsetzen können. So hätten Schülerinnen und Schüler, die bei PISA gut abschlossen, eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, auch einen akademischen Abschluss zu erreichen. Der VBE-Bundesvorsitzende betont: „Frühe Förderung ab dem Elementarbereich, fortgesetzt durch einen optimal ausgestatteten Unterricht im Primarbereich legt die Basis für den weiterführenden Erfolg der Kinder. Es ist daher dringend notwendig, in diese Bereiche zu investieren, um dem Versprechen der individuellen Förderung eines jeden Kindes entsprechend der Fähigkeiten und Fertigkeiten gerecht werden zu können.“

Bei der Vorstellung der Ergebnisse wurde herausgestellt, dass Lehrkräfte dazu angehalten werden sollten, gerade in schwierigsten Schulen zu unterrichten. Dazu meint Beckmann: „Die steigende Heterogenität an den Schulen ist eine hohe Herausforderung für die Lehrkräfte, der sie sich nur adäquat stellen können, wenn die entsprechenden Gelingensbedingungen von der Politik bereitgestellt werden. Die Rahmenbedingungen in solchen Schulen müssen so gut sein, dass es für junge Lehrkräfte besonders attraktiv ist, gerade an solchen Schulen zu arbeiten. Möchte man Lehrkräfte gezielt dafür werben, in Schulen in besonderen Lagen zu unterrichten, muss man sie fortbilden, ihnen die bestmögliche Ausstattung bereitstellen und sie durch multiprofessionelle Teams unterstützen.“ News4teachers

Drängender denn je: Warum wir mehr Chancengerechtigkeit im Schulsystem brauchen – eine Gegenrede

 

 

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3 Kommentare
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sofawolf
5 Jahre zuvor

Hier können nun ja auch mal Grundschullehrer ihre Kritik an den weiterführenden Schulen äußern.

Interessanterweise bitte ich wiederholt darum und dann kommt nichts Substanzielles, obwohl immer geklagt wird, dass hier nur Grundschullehrer kritisiert werden und man könnte ja, wenn man wollte, allerhand über die weiterführenden Schulen sagen. Aber es kommt nichts. (???)

sofawolf
5 Jahre zuvor

These: Gibt es nicht in einer Gesellschaft immer einen Anteil Menschen, die sehr intelligent und die mittelmäßig intelligent und die nicht sehr intelligent sind?

Ist es nicht folgerichtig, dass die dann entsprechende Berufe ergreifen (Akademiker und Nicht- Akademiker) und ist es dann nicht folgerichtig, dass Kinder jeweils wieder in gleicher oder ähnlicher Weise sehr intelligent, mittelmäßig intelligent oder nicht intelligent sind und daher sich entsprechend entwickeln?

Will sagen, wird das nicht folgerichtig immer so sein, dass tendenziell mehr Akademiker-Kinder ans Gymnasium gehen und Kinder von Nicht-Akademikern nicht?
(Selbst wenn alle immer die gleichen Chancen haben?!?)

Anna
5 Jahre zuvor
Antwortet  sofawolf

Das „Mehr“ ist ja nicht das Problem – das weit überdurchschnittliche „Mehr“ im internationalen Vergleich ist das Problem.

Auf einzelne Schüler heruntergebrochen, bedeutet das: Der eine (reichere) hat alle Bildungschancen, der andere (ärmere) kaum welche – trotz gleicher Begabung!

Oder anders ausgedrückt: Deutschland verschwendet immer noch ein großes Potenzial, nämlich das von vielen Kindern aus sozial schwachen Familien. So geraten junge Menschen in Hartz IV-„Karrieren“, die bei besserer Förderung etwas aus sich hätten machen können – zu ihrem eigenen Nutzen und zum Nutzen der Gesellschaft.