Scheitert die fächerübergreifende Vermittlung von Medienkompetenz in der Schule?

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STUTTGART. Schüler in Deutschland sind anfällig für Desinformation aus dem Internet – und sie weisen gravierende Defizite auf, wenn sie mit digitalen Medien arbeiten und nicht nur spielen sollen. Wissenschaftler leiten daraus die Forderung ab, Medienbildung zum eigenständigen Schulfach zu machen. Der VBE Baden-Württemberg lehnt das allerings ab. „Wenn man in der Schule wirklich alles, was in der Welt gerade nicht so rund läuft, als ein extra Unterrichtsfach ausweisen würde, müsste man die Stundentafel laufend erwei­tern“, so meint Sprecher Michael Gomolzig.

„Digital Natives“ sind es zwar gewohnt, täglich mit digitaler Technik umzugehen – ob sie das kompetent tun, steht aber auf einem anderen Blatt. Foto: Shutterstock

Der Aussage, dass man in Deutschland nichts Schlechtes über Ausländer sagen dürfe, „ohne gleich als Rassist beschimpft zu werden“, stimmen mehr als zwei Drittel der Jugendlichen in Deutschland zu. Dass sich der deutsche Staat mehr um Geflüchtete als um hilfsbedürftige Deutsche kümmere, glaubt eine knappe Mehrheit der jungen Menschen. Mehr als die Hälfte (53 Prozent) meint, „die Regierung verschweigt der Bevölkerung die Wahrheit”. Ein gutes Drittel ist der Meinung, die deutsche Gesellschaft werde “durch den Islam unterwandert”.

Das sind Ergebnisse der aktuellen Shell Jugendstudie, die im Oktober veröffentlicht wurde (News4teachers berichtete). Darin wurden die Jugendlichen zu ihrer Position zu bestimmten populistischen Aussagen befragt. Anhand ihrer Antworten wurde ihnen dann ein Populismus-Score zugeordnet. Er zeigt, dass 39 Prozent der Jugendlichen eher weltoffen orientiert, während 33 Prozent eher populistisch orientiert sind. 28 Prozent sind nicht eindeutig positioniert. Der Anteil der populistisch Orientierten ist dabei unter Jugendlichen mit niedrigem Bildungsgrad größer als unter höher gebildeten Jugendlichen.

Schüler lassen sich von Populisten manipulieren

„Da gibt es ein Misstrauen gegenüber der Politik, eine feindselige Haltung gegenüber Menschen mit anderen Einstellungen, anderen religiösen Positionen, wenn wir das mal gewichten, haben wir ein gutes Drittel von jungen Leuten, die nationalen, populistischen, rechts orientierten Positionen zuneigen“, sagt der Leiter der Studie, der renommierte Sozialwissenschaftler Prof. Klaus Hurrelmann. Er erklärt gegenüber dem Deutschlandfunk: Dass sich viele Jugendliche von Populisten manipulieren ließen, hänge „ganz klar“ auch mit der Schule zusammen, genauer: mit dem, was Schule nicht leiste – Medienbildung nämlich.

Seine Konsequenz: Hurrelmann fordert Medienbildung als reguläres Pflichtfach. „Meiner Ansicht nach ist heute in einer Welt, in der fast alles über digitale Medien läuft, ein systematisches Training in der Schule und wahrscheinlich schon im Kindergarten unbedingt notwendig. Ich finde es nicht richtig, dass die Kultusministerkonferenz dafür plädiert, das zu tun, aber nur in die bestehenden Fächer hineinlegen will. Das sollten wir auch tun, aber das reicht nicht“, so sagt er in dem Interview.

KMK-Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“

Tatsächlich hat die Kultusministerkonferenz schon vor drei Jahren eine Strategie zur „Bildung in der digitalen Welt“ beschlossen. Darin heißt es: „Die Entwicklung und das Erwerben der notwendigen Kompetenzen für ein Leben in einer digitalen Welt gehen über notwendige informatische Grundkenntnisse weit hinaus und betreffen alle Unterrichtsfächer. Sie können daher keinem isolierten Lernbereich zugeordnet werden.“

Das sieht die Bildungsforscherin Heike Schaumburg von der Humboldt-Universität in Berlin anders. Sie meint, dass sich damit letztlich kein Lehrer für die Medienbildung verantwortlich fühlt – und das Thema schlicht unter den Tisch fällt. „Es ist ganz schwer, dann die Verbindlichkeit durchzusetzen und man zersplittert es über die ganzen Fächer und hat dann das umgekehrte Problem, dass dann später wieder zusammenzusetzen“, so sagt sie gegenüber dem Deutschlandfunk. Sie plädiert dem Bericht zufolge für ein Mischmodel: in Grundkursen grundlegende Kompetenzen zu vermitteln – etwa: „Wie arbeite ich mit einem Tabellenkalkulationsprogramm oder wie erstelle ich eine Powerpoint-Präsentation?“ Diese Inhalte müssten dann in den Fächern aufgegriffen und damit dann auch gearbeitet werden, sodass sich die Kompetenzen verfestigen.

Dass es an grundlegenden Fertigkeiten im Umgang mit digitalen Medien hapert, das weiß die Wissenschaftlerin aus den Ergebnissen der aktuellen ICIL-Studie, an der sie maßgeblich mitgearbeitet hat. Danach haben die durchschnittlichen «computer- und informationsbezogenen Kompetenzen» der deutschen Achtklässler sich im Vergleich zur letzten Erhebung im Jahr 2013 kaum verändert: Jeder dritte deutsche Schüle zeigt gerade mal „rudimentäre“ Computerkenntnisse. Das bedeutet, dass er zum Beispiel einen Link in einer E-Mail öffnen oder ein Wort in einem Textverarbeitungsprogramm einfügen oder korrigieren konnte, an komplexeren Aufgaben aber scheitert. Die höchste Kompetenzstufe im Umgang mit Computern erreichen nur 1,9 Prozent der Achtklässler (News4teachers berichtete).

VBE: Nicht für jedes Problem ein eigenes Fach

Der VBE in Baden-Württemberg lehnt trotzdem ein eigenes Fach Medienbildung ab – und lobt Landeskultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) dafür, dass sie (wie die meisten Kultusminister in Deutschland) am lediglich fächerübergreifenden Ansatz festhält. „Man kann nicht jedes gesellschaftliche Defizit durch eine Erweiterung der Stun­dentafel kompensieren“, meint VBE-Sprecher Michael Gomolzig.

Dass das Thema relevant ist, bestreitet er nicht: In der schulischen Medienerziehung könne es nicht nur darum gehen, Kinder und Jugendliche mit den neuesten technischen Entwicklungen vertraut zu machen. „Medienkompetenz ist nicht die Fähigkeit zu wissen, welche Taste wo und wann gedrückt werden muss, damit das Medium die gewünschten Informationen ausspuckt.“ Medienkompetenz bestehe vielmehr aus der Fähigkeit, Medien gezielt auszuwählen und zu nutzen; aus der Fähigkeit, Medieninhalte zu lesen, zu verstehen und richtig zu bewerten sowie aus der Fähigkeit, Informationen selbst aufzubereiten und in Netzen zu präsentieren. „Schüler sollen vielmehr lernen, kritisch und aufgeklärt mit den neuen Medien und der auf sie einstürzenden Informationsflut umzugehen. Lehrer müssen daher verstärkt das Bewusst­sein für die Bedeutung ethischer und rechtlicher Normen in der Informationsgesellschaft vermitteln“, sagt Gomolzig. Daran arbeite die Schule täglich – über alle Fächer hinweg.

Jugendforscher Hurrelmann bestreitet das. „Was man da heute lernt als junger Mann, als junge Frau bis zum Alter von 15 Jahren, das hat man gelernt im Freundeskreis, und wenn man Glück hat, in seiner Familie. Das ist außerschulisches Lernen. Aber die Schule, die lässt sie im Stich, das ist nicht verantwortlich.“ News4teachers

Missbrauchsbeauftragter fordert Pflichtfach “Medienkompetenz” in der Schule

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