BERLIN. Bildung wird in aller Regel mit einer Reihe positiver Effekte und lebenslangen Vorteilen in Verbindung gebracht. Als weitgehend gesichert galt bislang, dass höhere Bildung auch die Alterung des Gehirns verlangsamt. Dem widerspricht nun eine breit angelegte Langzeitstudie.
Menschliche Gehirne schrumpfen im Laufe des Erwachsenenalters. Doch kann ein höherer Bildungsabschluss die Schrumpfung verlangsamen oder sogar aufhalten? “Ja“, hätten wohl bisher die meisten Wissenschaftler geantwortet. Doch eine Studie des EU-Konsortiums „Lifebrain“, in dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus acht Ländern zusammenarbeiten, weckt Zweifel. Auf der Grundlage mehrerer groß angelegter Verlaufsstudien aus verschiedenen europäischen Ländern wurde untersucht, wie sich die Gehirne von Erwachsenen im Verlauf des Lebens verändern und ob Bildung dabei eine Rolle spielt. Mit Bildung meinten die Forscherinnen und Forscher dabei die Anzahl der Jahre, die die untersuchten Studienteilnehmenden in der Schule und direkt anschließend in weiterführenden Bildungseinrichtungen verbrachten.
Die Ergebnisse zeigten zwar einen positiven Zusammenhang zwischen dem Volumen einiger Bereiche des Gehirns und dem Ausmaß an Bildung. Jedoch nahm bei Erwachsenen, die höhere Bildungsabschlüsse erreicht hatten, das Hirnvolumen genau so sehr mit dem Alter ab wie bei Personen mit niedrigeren Bildungsabschlüssen.
„Unsere Ergebnisse legen nahe, dass höhere Bildung die Gehirnalterung nicht verlangsamt“, fasst Studienautor Lars Nyberg von der Universität Umeå in Schweden zusammen. „Zu bemerken ist auch, dass wir dieselbe Fragestellung an zwei verschiedenen Datensätzen, Lifebrain und UK-Biobank, bearbeitet haben, und dabei zu übereinstimmenden Ergebnissen gekommen sind“, ergänzt er. „Das gibt unseren Ergebnissen zusätzliches Gewicht“.
Die Forscherinnen und Forscher maßen die Hirnalterung, indem sie das Volumen der Großhirnrinde und des Hippocampus bei mehr als 2.000 Studienteilnehmerinnen und -teilnehmern mithilfe der strukturellen Magnetresonanztomographie (MRT) vermaßen. Das Schrumpfen dieser beiden Bereiche des Gehirns ist Teil der normalen Alterung. Um die Veränderungen zu erfassen, wurden die Gehirne der Teilnehmenden über einen Zeitraum von bis zu elf Jahren bis zu dreimal untersucht. Das Alter der Teilnehmenden reichte von 29 bis 91 Jahren.
„Unsere Ergebnisse bedeuten nicht, dass Bildung unwichtig ist“, betont Ulman Lindenberger, Direktor des Forschungsbereichs „Entwicklungspsychologie“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. „Bildung ist mit vielen Vorteilen im Leben verbunden. Aber irgendwann fangen die Gehirne aller Erwachsenen an zu schrumpfen, und die Geschwindigkeit dieser Schrumpfung wurde nicht davon beeinflusst, wie viele Jahre man in der Schule verbracht hat“, so Ulman Lindenberger.
Berufsberatung mittels Hirnscan? Wissenschaftler können Neigungen bei Schülern erkennen