Entlastung für Lehrer, Hilfe für Schüler: Gesundheits-Fachkräfte in Schulen

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BERLIN. Ob ein aufgeschürftes Knie nach der großen Pause, Übelkeit während des Unterrichts oder gesundheitliche Aufklärungsmaßnahmen: Der Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften entlastet das System Schule. Die medizinisch ausgebildeten Fachkräfte können vielfältig eingesetzt werden und spielen außerdem eine entscheidende Rolle in der Lebenswelt von Kindern mit chronischen Erkrankungen – meinen der Lehrerverband VBE und Expertinnen und Experten von Diabetes-Fachgesellschaften.

Wird schon wieder: Gesundheitsfachkräfte können das System Schule entlasten (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Sie müssen besonders auf ihre Ernährung achten, sich regelmäßig den Blutzucker messen und auch Insulin spritzen: Durchschnittlich eines von 500 Kindern in Deutschland erhält die Diagnose Diabetes Typ 1. Für die jungen Betroffenen und auch ihre Eltern ändert sich danach das Leben grundlegend. „Wenn Kinder an einem Diabetes erkranken, müssen sie ihr Essen, die körperliche Bewegung und die Insulindosierung aufeinander abstimmen. Zumindest im Grundschulalter sind Kinder damit häufig überfordert“, weiß Professor Dr. med. Andreas Neu, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) und kommissarischer ärztlicher Direktor an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen. „Allein die Interpretation ihrer Blutzuckerwerte stellt Kinder vor große Herausforderungen: Kann ich problemlos zu Mittag essen, wenn mein Blutzucker zuvor bei 167 liegt? Welche Insulindosierung passt zu diesem Blutzuckerwert?“

„Die jungen Patientinnen und Patienten werden immer wieder vom Regelschulbesuch ausgeschlossen“

Fragen wie diese können meist auch Lehrerinnen und Lehrer nicht beantworten, denn die Gesundheitsversorgung gehört weder zu ihren Aufgaben, noch sind sie dafür ausgebildet. Das hat oft schwerwiegende Folgen: „Es gibt hierzulande noch keine ausreichenden und flächendeckenden Maßnahmen zur Inklusion und Integration von Kindern mit der Diagnose Diabetes Typ 1 in Bildungseinrichtungen. Das führt dazu, dass die jungen Patientinnen und Patienten immer wieder vom Regelschulbesuch ausgeschlossen werden“, erklärt Neu.

Eine Lösung gäbe es: Schulgesundheitsfachkräfte. „Um die Diskriminierung von chronisch Erkrankten zu beenden und Kindern mit Diabetes Typ 1 eine reguläre Beschulung zu ermöglichen, setzen wir uns für diese medizinisch ausgebildeten Fachkräfte an allen Grundschulen ein. Denn sie können Kinder und Jugendliche mit chronischen Erkrankungen adäquat versorgen und Eltern sinnvoll unterstützen“, sagt Dr. med. Jens Kröger, Vorstandsvorsitzender von diabetesDE – Deutsche Diabetes-Hilfe. Er und Prof. Neu gehörten einer Runde von Expertinnen und Experten an, die heute in einem Fachgespräch darüber diskutierten, wie Schulgesundheitsfachkräfte die Inklusion von Kindern mit einer Diabetes Typ 1-Erkrankung möglich machen, Lehrende im Schulbetrieb entlasten und Sicherheit für Eltern bieten können. Mit dabei: Vertreterinnen und Vertreter des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE).

„Aktuell benötigt fast ein Viertel der Kinder eine weitergehende medizinische oder therapeutische Unterstützung“

Der VBE-Bundesvorsitzende Udo Beckmann schließt sich der Forderung nach Schulgesundheitsfachkräften an. Er ist davon überzeugt, dass neben Schülerinnen und Schülern mit chronischen Krankheiten auch Lehrkräfte von einer solchen Unterstützung profitieren würden. Er betont: „Aktuell benötigt fast ein Viertel der Kinder eine weitergehende medizinische oder therapeutische Unterstützung.“

Beckmann und die Diabetes-Fachgesellschaften sprechen sich dafür aus, dass Prävention und Gesundheitsförderung an Bildungseinrichtungen gesundheitspolitisch vorangetrieben werden müssen, damit chronisch Kranke und deren Angehörige eine angemessene Unterstützung sowie bessere Bildungschancen erhielten. Doch auch wenn erste Pilotprojekte in Hessen und Brandenburg Erfolge erzielten, fehle auf Bundesebene bei den politischen Entscheidern noch immer ein klares Bekenntnis und der entschiedene Wille zur Durchsetzung.

Hintergrund: Eine Studie der Technischen Hochschule Mittelhessen hatte den Einsatz von Schulgesundheitsfachkräften evaluiert – mit einem eindeutigen Ergebnis: Er ist sinnvoll, machbar und finanzierbar. Er fördert überdies die Inklusion von Kindern mit chronischen Erkrankungen. Zusätzlich entlasten die Kräfte das Schulsystem und tragen zur finanziellen Sicherheit von Familien bei. Die Experten sind sich einig: „Auch volkswirtschaftlich sind Schulgesundheitsfachkräfte eine lohnende Investition.“ Bundesweite Konsequenzen aus der Untersuchung bislang: keine.

Gemeinsam formulierten die Referentinnen und Referenten deshalb nun den dringenden Appell, den Mehrwert durch die Unterstützung von Fachkräften anzuerkennen und dafür bundesweit einheitliche Regelungen zu treffen.

Oft schränken die Eltern Diabetes-kranker Kinder, meist die Mütter, ihre Berufstätigkeit ein (15 Prozent Arbeitsstopp, 21 Prozent Zeitarbeit), um ihren Kindern zu helfen. 46 Prozent der betroffenen Familien berichten über relevante finanzielle Einbußen. Die zusätzlichen täglichen Aufgaben können zu alltäglichen, emotionalen und körperlichen Belastungen und Überforderungen der Eltern führen.  Das hatte eine weitere begleitende Studie zum Modellprojekt „Schulgesundheitsfachkräfte“ der AWO Potsdam ergeben.

„Die Politik ist in der Pflicht, ein professionelles Schulgesundheitsmanagement mit dafür ausgebildeten Schulgesundheitsfachkräften zu etablieren“

„Wir sprechen also nicht von Einzelfällen, die Förderbedarf in einem oder mehreren Förderschwerpunkten haben oder Assistenz bei der Medikamentengabe benötigen.“ Der VBE sehe deswegen die Verantwortung, Kindern mit chronischer Erkrankung den Schulbesuch zu ermöglichen, nicht bei den Lehrkräften. „Die Politik ist in der Pflicht, die dafür notwendigen Bedingungen zu schaffen und ein professionelles Schulgesundheitsmanagement mit dafür ausgebildeten Schulgesundheitsfachkräften zu etablieren und zu finanzieren“, so Beckmann. Dies trage nicht nur der stetig steigenden Anzahl an chronisch erkrankten Kindern Rechnung, sondern fördere das Gesundheitsbewusstsein von Kindern allgemein.

Denn das medizinisch geschulte Personal ist auch allgemein ansprechbar in Gesundheitsfragen. Stehen keine Notfälle an, konzipieren die Schulgesundheitsfachkräfte Projekte, die die Gesundheit fördern wie zur Ernährung, Bewegung oder der Mundhygiene oder auch Präventionsprojekte zum Suchtmittel- oder Medienkonsum. „Angebote wie diese haben in dem Brandenburger Modellprojekt große Wirkungen auf Schülerinnen und Schüler entfaltet – bis hin in die Elternhäuser. So gaben beispielsweise gut 70 Prozent der befragten Schülerinnen und Schüler an, sich häufiger die Zähne zu putzen, seit die Schulgesundheitsfachkraft an der Schule tätig ist. Über die Hälfte stellte fest, sie würden sich seither mehr bewegen“, sagt Beckmann. News4teachers

Gesundheitsfachkräfte für Schulen: Bundesweit relevantes Modellprojekt wird eingestampft! VBE ist „fassungslos“

 

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Schattenläufer
1 Jahr zuvor

Im Ernst, man fordert Gesundheitsfachkräfte von einer KMK die es bisher nicht schaffte genug „normale“ Lehrer, Sozialarbeiter, Förderlehrer für die Inklusion, eine Vertretungsreserve oder Sprachförderlehrer für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen?

Gesehen, gelacht, gelocht.

mama51
1 Jahr zuvor
Antwortet  Schattenläufer

…und gelöscht!

potschemutschka
1 Jahr zuvor

Wenn diese Idee so gut ist, warum wurde das Projekt in Brandenburg dann wieder eingestampft? War wohl wieder mal kein Geld für die aaarmen Kinder, die den Politikern sooo wichtig sind, da! Das machen doch die Lehrer, Erzieher und Schulsekretärinnen doch alles nebenbei und noch dazu völlig kostenneutral!

Max,43
1 Jahr zuvor
Antwortet  potschemutschka

Und zwar täglich:
Letzte Woche: Impfausweise wegen Masern kontrolliert (vorher informiert, wie das aussehen muss). Zecken entfernt (vorher Eltern um Erlaubnis gefragt), Platzwunde versorgt (zum Glück gerade Erste Hilfe Kurs gemacht), Nasenbluten gestillt (anschließend aufgewischt). Coronatests ausgegeben. In der Verordnung noch mal nachgelesen, wann SuS nach Coronainfektion wieder in die Schule dürfen.
Ach so, unterrichtet habe ich auch noch.

Lanayah
1 Jahr zuvor
Antwortet  Max,43

Sollte das Kind durch eine medizinische Versorgung durch eine Lehrkraft einen Schaden erleiden, schützt eine Erlaubnis der Eltern nicht sicher vor Regress. Da wir keine medizinischen Fachkräfte sind, sind wir hier nicht über unseren Arbeitgeber abgesichert.

Sissi
1 Jahr zuvor

Es wird nicht gedacht und es wird nicht gerechnet.
Wenns die Kids schon nicht wert sind, sollte man an den Staatssäckel denken. Adipositas z.B
beeinträchtigt im Lauf der Zeit den gesamten Körper, Reha etc kosten, ebenso ist Arbeitsunfähigkeit leicht denkbar….kostet alles Geld.
Aber warum frühzeitig eingreifen, warten wirs ab, scheint die Devise zu sein, – vlt geht die Diabetes von allein wieder weg (! Ironie ! )
Das wäre dann ja wirklich Inklusion und die funktioniert doch schon, warum 2fach? (Ironie)
Man kann ja immer noch sagen: Wer hätte das denn ahnen können….dass das so viele sind – kranke Kinder, so klein schon.
Ich denke, die Politik geht – immer noch vom pumperlgsunden Kind aus, das viel draußen ist, gut ernährt wird…
Das ist mittlerweile ein Fehler

447
1 Jahr zuvor

Vor diesem Artikel wäre ich gar nicht auf die Idee gekommen, dass so etwas möglich ist.
Aber der sehr hohe Nutzen ist offensichtlich. Mir fallen spontan X Fälle pro Woche ein.
Nachdem unser Lehrerrat sich mal informiert hatte, geht da an medizinischer Assisstenz von Lehrerseite nix… Sekretariat verteilt Pflaster und Kühlpakete, eine bestenfalls psychologisch wirksame Maßnahme.

Fast schon „natürlich“ erscheint mir das Einstampfen – denn mittlerweile habe ich immer mehr den Gedanken, dass die wirklichen Entscheider Schule nur noch als „Verwahranstalt“ sehen, wo die SuS am liebsten bis 1600 oder besser noch bis 1800 oder 1900 „festgehalten“ (und parallel mit kognitiv wertlosem, aber „staatstragenden“, emotionalem) Agitprop vollgepumpt werden… damit am besten alle Eltern ganztägig Profite (Wirtschaftslobby) bzw. Steuern (Staat) ranschaffen.

Realist
1 Jahr zuvor
Antwortet  447

„geht da an medizinischer Assisstenz von Lehrerseite nix“

Korrekt. Rechtlich darf eine Lehrkraft praktisch nicht einmal ein Pflaster aufkleben (hinreichen geht, aufkleben muss das Kind selber).

Auf der letzten Fortbildung zu diesem Thema packte der Dozent aber gleich die Moralkeule aus: Man dürfe als Lehrkraft zwar nichts, aber er würde selbstverständlich im Falle des Falles trotzdem alles Mögliche machen „um zu helfen“. Also auch hier wieder: Selbstaufopferung der Lehrkräfte wird gefordert, rechtliche Deckung gibt es aber im Zweifel keine…

Bla
1 Jahr zuvor

@Redaktion
„Oft schränken die Eltern Diabetes-kranker Kinder, meist die Mütter, ihre Berufstätigkeit ein (15 Prozent Arbeitsstopp, 21 Prozent Zeitarbeit), um ihren Kindern zu helfen.“

Zeitarbeit (~Leiharbeit) oder ist Teilzeit gemeint?
Warum „müssen“ die Eltern denn bei Zeitarbeitsunternehmen arbeiten? Das macht für mich im ersten Moment mal wenig Sinn? Wäre nicht die Reduzierung der Arbeit von Vollzeit in Teilzeit der naheliegendere Entschluss (gerade wenn von Berufseinschränkung die Rede ist?).
Falls wirklich Zeitarbeit gemeint ist -> Was ist dort dann der Grund ? Leichtere Zeitanpassung der Arbeitsstunden?
Dann wäre aber die Teilzeitquote evtl. zusätzlich interessant?

Ron
1 Jahr zuvor

Bitte macht nicht das nächste Fass auf. Der Bildungsetat ist gedeckelt. Wer Gesundheitsfachkräfte einstellt, muss das dafür ausgegebene Geld woanders einsparen. Das war immer so. In einigen Bundesländern haben die Schulen technische Assistenten. Diese werden u.a. dadurch querfinanziert, indem den Kollegium ein großer Teil der Befreiungsstunden für besondere Tätigkeiten abgenommen werden. Also gibt es für die Leitung des Faches oder einer Klasse eben keine Ermäßigung mehr. Vorsicht! Nichts gibt es umsonst.

Bla
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Doch, Mehrarbeit vieler Lehrkräfte – vielleicht nicht umsonst, aber kostenlos. [Sorry, der musste sein …]

Konfutse
1 Jahr zuvor
Antwortet  Ron

Gibt es in Ihrem Bundesland tatsächlich Befreiungsstunden für die Leitung eines Faches oder eine Klasse? Davon träumen wir in BaWü schon seit Jahrzehnten!