ESSEN/DARMSTADT. Die Verkürzung der Abiturzeit und ihre Rücknahme in einigen Bundesländern hat nicht zuletzt für die Hochschulen deutliche Schwankungen in den Jahrgangsgrößen mit sich gebracht. Das wirkt sich auch negativ auf die Studiendauer aus, zeigt eine aktuelle vergleichende Untersuchung.
G8 oder G9, Abitur nach zwölf oder 13 Jahren: Die Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur in den westdeutschen Ländern gehört nach wie vor zu einem der am stärksten umstrittenen Reformprojekte der letzten Jahre. Bereits 2018 hatte das Institut der deutschen Wirtschaft (IWD) die Kosten für die Rückkehr zu G9 auf mindestens 1,2 Milliarden Euro geschätzt. Das Hin und Her bei den Reformen hat aber nicht nur Auswirkungen auf die Schulen, sondern führt auch dazu, dass die Universitäten sich mehrfach auf außerordentlich große und kleine Abschlussjahrgänge einstellen mussten.
Dass dies nicht folgenlos bleibt und sogar ein wesentliches Ziel der Reform – junge Menschen schneller in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu führen – konterkariert, zeigt eine Studie des Essener RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung. Wenn mehr Erstsemester an die Universitäten strömen als prognostiziert, verlängert sich die durchschnittliche Studiendauer und zwar um durchschnittlich rund drei Wochen, fand RWI-Ökonomin Friederike Hertweck heraus. Die Wahrscheinlichkeit eines Studienabschlusses in der Regelstudienzeit sinke somit deutlich.
Ausgangspunkt der Untersuchung waren die in den Jahren 2011 bis 2013 deutlich höheren Erstsemester-Studierendenzahlen an Hochschulen, die durch die G8-Reformen bedingt waren. Dabei verglich das Team um Friedericke Hertweg die Bundesländer, in denen G8 umgesetzt wurde, mit jenen, in denen es keine Schulreformen gab, das Abitur also weiterhin nach Vollendung des 13. Schuljahrs und nicht wie bei G8 im 12. Schuljahr, erlangt wurde. Die Analyse basiert auf Daten des Statistischen Bundesamtes. Zuletzt hatte die Wilhelm Büchner Hochschule (WBH), Teil der Stuttgarter Klett Gruppe, über die Studie berichtet.
Die in mehreren Bundesländern unerwartet hohe Zahl an Erstsemestern im Jahr 2011 reduzierte die Wahrscheinlichkeit eines Bachelorabschlusses in Regelstudienzeit den RWI-Ergebnissen zufolge von 37 Prozent um 6,3 Prozentpunkte. Das entspricht einer Reduzierung um rund 17 Prozent. In den ebenfalls großen Erstsemesterkohorten von 2012 und 2013 sank der Anteil der Abschlüsse in Regelstudienzeit um 4,5 bzw. 7,7 Prozentpunkte im Vergleich zu kleineren Kohorten.
Die Ergebnisse deuteten zudem darauf hin, dass der schlechtere Personalschlüssel ein Grund für die verlängerte Studiendauer in großen Kohorten sei. Daneben könnten auch Nachteile durch eine längere Wohnungs- oder Nebenjobsuche sowie weitere Anfahrtswege eine Rolle spielen.
Durchschnittlich jeder achte Studierende, der untersuchten Gruppe, die in den Jahren 2011 bis 2013 ihr Studium aufgenommen hatte benötigte aufgrund der Kohortengröße ein Semester länger für sein Studium. Handelt es sich auch dabei noch um eine Durchschnittszahl, sei laut WBH davon auszugehen, dass zu viele Studierende, gepaart mit einem zu geringen Angebot an Seminaren und fehlenden Lehrkräften bei einigen Studiengruppen zu einem spürbar längeren Studium führten. Nicht zuletzt war laut der Studie zugleich der Anteil der Studierenden deutlich gestiegen, die ihr Studium endgültig nicht bestanden.
Auch wenn sich die Studie auf einen begrenzten Zeitraum und eine besondere Situation aufgrund der G8-Schulreform beziehe, bilde das Verhältnis von Studierenden und Lehrkräften einen Einflussfaktor auf die Studiendauer, der auch im Normalbetrieb eine Rolle spielt, ein Aspekt, der laut Friederike Hertweg weiterer wissenschaftlicher Untersuchungen bedürfe. Für die aktuelle Untersuchung schließt sie mit einer deutlichen Mahnung an die Schulpolitik: „Große Studierendenkohorten führen zu einer längeren Studiendauer. Das gilt besonders, wenn die Zahl der Studierenden unerwartet hoch ausfällt. Durch den späteren Studienabschluss verzögert sich in der Regel auch der Arbeitsmarkteintritt – mit negativen Konsequenzen für die Betroffenen und die Wirtschaft. Dies sollte bei künftigen Schulreformen bedacht werden.“ (zab, pm)
• Die Studienergebnisse sind als Ruhr Economic Paper #984 veröffentlicht (engl.)
„Keine Strukturdebatten“: Baden-Württemberg bleibt – trotz aller Widerstände – beim Turbo-Abitur
Ich werfe mal etwas anderes in den Raum: Durch die Schulzeitverkürzung und die Kompetenzorientierung wurde das Abitur erleichtert, was sich an den Hochschulen dann rächt.
Die sogenannte Kompetenzorientierung führt dazu, dass die SuS vieles (hoffentlich) können, aber das inhaltliche Wissen fehlt, um wirklich etwas zu können.
Um was geht es denn nun wirklich, um G9 oder um G9 (alt)? Jede Lobby hat ihre Studie.