Ein kleiner Lichtblick: Wenn sich ehrenamtliche Leselernhelfer in Schulen engagieren

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DORTMUND. Lesen ist das A und O – und doch kann jedes vierte Kind nicht richtig lesen, wenn es auf die weiterführende Schule kommt. Der Schock nach der Iglu-Studie sitzt tief. Dazu kommt der wachsende Lehrkräftemangel. So rückt das Engagement tausender ehrenamtlicher Leselernhelfer in den Fokus – ein Lichtblick, wenn auch ein kleiner.

Lesen fällt nicht immer leicht. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Sabine Güllich und Hassan sind ein gutes Team: ein Lesetandem in Hürth bei Köln. Der Junge hat Probleme beim Lesen – wie dramatisch viele Grundschüler der vierten Klasse deutschlandweit, so legte es jüngst die internationale Iglu-Studie offen. Inzwischen hat Hassan enorm aufgeholt. An diesem Morgen geht es in einem Leseraum seiner Grundschule um eine Abenteuermaus, die Ostseeinsel Rügen und Giraffen in der «Safahne», nein, Savanne. Ein schwieriges Wort, Hassan stockt, wiederholt. Fehler bemerkt er selbst schnell, korrigiert sich. Seine Leselernhelferin zeigt ihm mit einem Lesezeichen die Zeile an. Der Junge wirkt konzentriert, aufgeweckt, er will alles richtig machen.

«Das macht Spaß, ist gar nicht schwer», erzählt Hassan stolz. Er steht kurz vor seinem 9. Geburtstag, seit fast anderthalb Jahren übt er jede Woche eine Stunde mit Sabine Güllich. Sie ist eine von 13.000 Ehrenamtlern, die im Verband «Mentor – Die Leselernhelfer» rund 16.600 leseschwache Kinder unterstützen, wie Bundesverbandssprecherin Agnes Gorny schildert. Das bewährte Konzept laute seit nun schon 20 Jahren: Mindestens eine Stunde pro Woche betreut ein Erwachsener durchgängig ein Kind, wenigstens ein Jahr lang.

Die Iglu-Grundschul-Lese-Untersuchung des Instituts für Schulentwicklungsforschung an der Uni Dortmund hat eklatante Schwächen bei der Lesekompetenz zutage gefördert: Inzwischen schaffen bundesweit 25 Prozent der Viertklässler nicht das Mindestniveau, ein starker Anstieg binnen fünf Jahren. Ihnen drohen auf ihrem Bildungsweg «erhebliche Schwierigkeiten in fast allen Schulfächern». Gleichzeitig herrscht insbesondere an Grundschulen ein eklatanter Lehrkräftemangel. Nach einer Schätzung des Deutschen Lehrerverbands liegt die Zahl der unbesetzten Lehrerstellen in Deutschland zwischen 32.000 und 40.000, die meisten davon an Grundschulen. Tendenz: steigend.

In der Schule richtig lesen zu lernen, ist also längst nicht mehr selbstverständlich – und diese Tatsache rückt die ehrenamtliche Förderung mithilfe vieler Tausend engagierter Unterstützer umso mehr in den Blick. Mehrere Initiativen vermitteln lesefreudige Ehrenamtler: Allein in Berlin gehen etwa 2.000 Lesepatinnen und Lesepaten der Vereins VBKI jede Woche in Kitas und Schulen. Mancherorts sind Leseomas und Leseopas im Einsatz. Viele Grundschulen suchen Freiwillige.

«Lesen ist das Tor zur Welt, und jeder kleine Schritt ist wichtig als Baustein für mehr Lesefähigkeit und Textverständnis»

«Das wöchentliche gemeinsame Lesen mit einem Erwachsenen kann ein sinnvolles Element sein, auch wenn dieser kein ausgebildeter Pädagoge oder keine ausgebildete Pädagogin ist», sagt Iglu-Studienleiterin Prof. Nele McElvany. Vor allem die Lesemotivation könnte gefördert, ein positiver Zugang zum Bücherlesen eröffnet werden. «Das ersetzt natürlich nicht die fachdidaktische Vermittlung des Lesenlernens und von Lesestrategien im Unterricht durch Lehrkräfte.» Wichtig: Die Auswahl passender Texte je nach Kompetenzstufe. «Die Kinder sollen ja weder über- noch unterfordert werden.» Feste Tandems seien gut.

«Das regelmäßige Üben von Lesen ist insbesondere in der Grundschule sehr wichtig, da es die Voraussetzung für die Automatisierung von Leseprozessen und das sichere Anwenden von Lesestrategien ist», erläutert die Forscherin. Und zentral für die Wortschatzbildung. Dass nun einige Länder oder Schulen Konzepte entwickeln, um regelmäßiges Lesen systematisch in den Schulalltag einzubauen, sei positiv – es komme aber auf die Umsetzung an. Lesen in festen Kleingruppen oder Tandem-Lesen hält sie für aussichtsreich.

Nordrhein-Westfalen (NRW) erhöht nach dem Iglu-Schock die Lesezeiten. «Lesen ist das Fundament, auf dem die gesamte Bildung unserer Kinder aufbaut. Nur wer lesen kann, versteht auch Tafelbilder, Aufgabentexte oder mathematische Formeln», betont NRW-Schulministerin Dorothee Feller (CDU). Man habe seit diesem Schuljahr an Grund- und Förderschulen eine verbindliche Lesezeit von wöchentlich mindestens drei mal 20 Minuten vorgeschrieben. «Hinter dieser Formel steckt ein Konzept, das sowohl wissenschaftlich fundiert als auch praxistauglich ist.» Die Unterstützung von außerschulischen Partnern wie den Leselernhelfern sei «sehr willkommen».

Lesementorin Güllich ist überzeugt: «Lesen ist das Tor zur Welt, und jeder kleine Schritt ist wichtig als Baustein für mehr Lesefähigkeit und Textverständnis». Die Leseunterstützung läuft in enger Absprache mit der Schule, die auch die Kinder mit Förderbedarf auswählt. «Auch die Rückmeldung der Eltern ist positiv», berichtet Güllich. Mit Hassan hat sie soeben einige Seiten aus einer Kinderzeitung gelesen. Fragen zum Text schafft der Junge danach ziemlich fix. «Früher habe ich die Aufgabenstellungen fast nie gut verstanden», erzählt Hassan. Jetzt habe er sogar bessere Noten. Sabine Güllich setzt auf einen Mix aus Papier und Tablet.

Hassan freut sich, wenn das Tablet im Spiel ist, greift aber gerne auch schon zu ziemlich dicken Büchern, gerade ist es «Harry Potter». Und: «Meiner kleinen Schwester lese ich Gute-Nacht-Geschichten vor.» News4teachers / mit Material der dpa

Iglu-Studie: Jeder vierte Viertklässler kann nicht richtig lesen – 20 Jahre gescheiterte Bildungspolitik!

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13 Kommentare
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Ich_bin_neu_hier
1 Jahr zuvor

Das ist schön und sicher sinnvoll, aber nach der Pensionierung habe ich später anderes vor – dann sollen andere machen.

Anvi
1 Jahr zuvor

Diese Aufgabe müssten eigentlich die Eltern übernehmen. Wie soll man für jedes Kind einen professionellen Lesepartner finden und bezahlen? Warum sind immer weniger Eltern dazu gewillt? Es bedarf auch keiner besonderen Qualifikation, nur Interesse und Wertschätzung.

GS in SH
1 Jahr zuvor
Antwortet  Anvi

Da “nur” 25% der Kinder das Leseniveau nicht erreichen, machen doch 75% der Eltern alles richtig!
Bei den 25% sind I-Kinder und LRS-Kinder dabei, die eine spezielle professionelle Förderung bräuchten, die sie aufgrund des Lehrermangels und der besch…eiden gemachten Inklusion nicht bekommen, sowie Kinder, deren Eltern nicht helfen können, weil sie z.B. selbst nicht lesen können, unsere Schrift nicht lesen können, kein Deutsch sprechen, arbeiten müssen usw.

Im 2. Fall sind ehrenamtliche Lesepaten hilfreich, die halt in großer Zahl an Brennpunktschulen kommen müssen. Dort ist die Zahl der Kinder, die keine häusliche Unterstützung haben, viel höher.

Beispiel:
An unserer Schule haben im letzten Jahr nur 5 von 82 SuS das Basis-Leseniveau in Klasse 4 nicht erreicht, 3 davon I-Kinder, deren Lesefähigkeit etwa dem der 2. Klasse entsprach. (Neu angekommene Flüchtlingskinder nicht mitgerechnet!)
32% der SuS haben sogar die höchste Kompetenzstufe 4 erreicht, weshalb auch das Tandemlesen recht gut funktioniert.
Und die VHS bietet kostenlose LRS-Kurse an, die auch gut angenommen werden!

An vielen Brennpunktschulen sieht das wohl viel dramatischer aus.

Dass die Unterstützung allerdings ehrenamtlich geleistet werden muss, finde ich auch armselig!

Anvi
1 Jahr zuvor
Antwortet  GS in SH

Theoretisch sollte es für die I-Kinder ja Integrationshelfer geben, die dann auch beim Lesen üben helfen könnten. Wie sieht das denn in der Praxis aus?

Marie
1 Jahr zuvor
Antwortet  Anvi

Integrationshelfer?? Selten so gelacht. Den haben wir nicht mal für das autistische Kind bekommen. Begründung? Kein Geld da.

Bla
1 Jahr zuvor
Antwortet  Marie

Und kein Personal da. Zumindest bei uns. Obwohl die KJF und das Jugendamt bei uns sehr gewillt sind, ist das auch hier nicht sooo einfach. Jedoch wird alles versucht. Ansonsten beschulen wir jedoch auch bestimmte I-Kinder eben nicht. Das ist meiner Meinung nach eben ein Vorteil von/der Privatschulen. Kann man jetzt gerne drauf rumreiten “Privilegien buuuuh”. Ist so. Sehe ich als sinnvoll an.

Unverzagte
1 Jahr zuvor
Antwortet  Anvi

Es ist leider keine Frage des Willens, es muss gekonnt werden. Da sind durchaus einige Qualifikationen ganz entscheidend: Viele Eltern, auch deutscher Herkunft, sind nicht in der Lage, ihre Kinder diesbezüglich zu fördern. Unterrichten Sie in Bullerbü?

Realist
1 Jahr zuvor

Ein weiterer Baustein auf dem Weg zur Deprofessionalisierung des Lehrkräfte-Berufs…

“Wie? Sie wollen Geld und gute Arbeitsbedinungen für eine Tätigkeit, die andere ehrenamtlich in ihrer Freizeit machen?”

Anvi
1 Jahr zuvor
Antwortet  Realist

Ich hatte bisher den Eindruck, dass Lehrkräfte mehr als genug Aufgaben haben. Das Lesen üben benötigt (wenn man Behinderungen ausnimmt) m.E. keine besondere Qualifikation, aber viel Zeit. Eine schlecht lesende Bekannte mit Sprachbarriere hat ihr Kind dennoch gut fördern können. Hauptsache man liest gemeinsam. Das Kind liest mittlerweile wesentlich besser als sie.
Ein Lehrer muss einer ganzen Klasse das Lesen und noch vieles mehr beibringen. Ein Lesepate übt mit nur einem Kind.

Indra Rupp
1 Jahr zuvor

Wäre nett, wenn es wenigstens Mindestlohn dafür gäbe, dann käme ich jeden Vormittag in die GS. So ist nicht mehr als einmal pro Woche drin, muss ja schließlich auch noch von was leben.
Eklatanter Arbeitskräftemangel und so – aber nicht mal ein paar Euro dafür bezahlen? Ziemlich makaber und demütigend! Der Hungerleider darf nur für umsonst arbeiten. Gehe dann halt in die Fußgängerzone und mache Straßenmusik, weil ich für die Arbeit in der GS nicht bezahlt werde.

Bla
1 Jahr zuvor
Antwortet  Indra Rupp

Definitiv. Das sollte besoldet werden, wenn man darauf angewiesen ist oder einen Bedarf hat. Ansonsten wäre es gut, wenn Menschen, welche es sich “auch so” leisten können UND WOLLEN das Geld spenden könnten oder einfach so unentgeltlich (ehrenamtlich) das machen dürften. Die Norm sollte aber zumindest das Angebot an “Aufwandsentschädigung” (wie bei bspw. Blutspende – Steuerbefreit) oder sowas sein. Gerne auch als Wahloption mit Geld (weniger) oder Gutscheinen (etwas mehr).

Unverzagte
1 Jahr zuvor

Ihr Einwand ist absolut nachvollziehbar. Ebenso wie das großartige Engagement aller Leseunterstützenden erhellend auf das Versäumnis des Bildungsministeriums einwirkt und so gesehen durchaus als Lichtblick bezeichnet werden kann.

Lisa
1 Jahr zuvor

Finde ich sehr nützlich. Nicht nur unterm Lese-Aspekt, sondern auch unter ” Positive Erfahrungen mit Deutschland”. Mir fällt auf, dass viele ausländische Familien gar nicht viel Kontakte mit den Leuten haben, unter denen sie leben. Aus vielerlei Gründen. Aber die Kinder, die wollen gerne postiv gesehen werden, anders kann ich es nicht ausdrücken. Da gibt es Herzchen für die Lehrerin.