FRANKFURT AM MAIN. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schlägt Alarm: Schulleitungen stünden „hochgradig unter Druck, sind aber sehr motiviert“ – das sei eine „explosive Mischung“, die die Gesundheit gefährde. Die Gewerkschaft bezieht sich auf das Ergebnis einer aktuellen Online-Befragung von fast 800 Schulleitungsmitgliedern in den Bundesländern Hamburg und Rheinland-Pfalz.
Um die spezifischen Belastungen der Schulleitungen zu erheben, hatte der GEW-Hauptvorstand in Kooperation mit dem städtischen Landesverband Hamburg und dem Landesverband des Flächenlandes Rheinland-Pfalz eine Pilot-Untersuchung zu deren Belastungen auf Grundlage des COPSOQ-Fragebogens initiiert (siehe “Hintergrund” unten). Deren Ergebnisse liegen jetzt vor.
„Die Daten belegen, dass die Leitungskräfte an Schulen hochgradig belastet sind. Sie weisen im Vergleich zu anderen Berufsgruppen in unserer Datenbank deutlich erhöhte Anforderungen auf, aber nur wenige kompensierende günstige Faktoren“, sagt Matthias Nübling, Geschäftsführer der Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften (FFAW) und Studienleiter. Ausgewählte Befragungsergebnisse:
- So erklärten 83,6 Prozent der Leitungskräfte, dass sie „oft“ oder „immer“ mit hohem Tempo arbeiteten. 71,8 Prozent gaben an, „selten“ oder „nie“ Pausenzeiten einhalten zu können.
- Die Gesamtskala „Quantitative Anforderungen“ liegt mit 74 Punkten rund 20 Punkte über dem deutschen Durchschnitt aus allen Berufen (55) bzw. über den Berufen in der öffentlichen Verwaltung (54) und zehn Punkte über dem Durchschnitt an Schulen (64).
- Für 86,5 Prozent ist die Arbeit „in hohem Maß“ oder „in sehr hohem Maß“ emotional fordernd – auch dies sei ein sehr deutlich erhöhter Wert gegenüber dem Durchschnitt aller Berufe.
- Bei den leitungsspezifischen Fragen gaben 80,8 Prozent an, dass „ziemlich oder sehr“ zutreffe, dass die Leitungsaufgaben keinen Freiraum für eine gründliche Vor- und Nachbereitung des Unterrichts ließen.
- 54,1 Prozent meldeten zurück, dass sie „oft“ oder „immer“ körperlich erschöpft seien. 44,6 Prozent kommen „oft“ oder „immer“ in die Schule, obwohl sie krank sind, weitere 30,6 Prozent sagten, dass sie dies „manchmal“ täten. Trotzdem antworteten 55,8 Prozent, dass sie „oft“ oder „immer“ von ihrer Arbeit begeistert seien.
„Viele Schulleitungsmitglieder können nicht abschalten. Deutlich über 40 Prozent überschreiten zudem oft bzw. immer die vorgegebene Arbeitszeit. Wir sind sehr besorgt darüber, dass so viele Leitungskräfte kurz vor dem Burnout stehen oder wegen der Belastungen an einen Stellenwechsel denken. Es müssen sofort Präventionsmaßnahmen ergriffen werden. Die angespannte Situation an den Schulen darf nicht länger ignoriert werden. Wir brauchen mehr finanzielle und personelle Ressourcen für Schulen – und zwar umgehend“, betonte GEW-Vorstandsmitglied Anja Bensinger-Stolze.
“Viele Leitungskräfte gehen ihrem Traumjob nach, müssen dafür tagtäglich jedoch so viele Hürden nehmen, dass nicht wenige resignieren”
Und weiter: „Deshalb schlagen wir ein Maßnahmenbündel gegen die starke Gesundheitsgefährdung und das hohe Burnout-Risiko vor, denen Schulleitungen ausgesetzt sind (siehe Kasten unten, d. Red.). In allererster Linie müssen sich die Arbeitgeber verpflichten, Schulleitungskräften regelmäßige Belastungsstudien und Präventionsmaßnahmen anzubieten. Denn was angesichts der Arbeitszufriedenheit nach Traumjob klingt, entpuppt sich wegen der hohen Arbeitsbelastung und der Entgrenzungswerte als gesundheitsgefährdend.“
Ralf Becker, im GEW-Vorstand für Berufliche Bildung und Weiterbildung verantwortlich, erklärte: „Wir beobachten an vielen Schulen eine hohe Belastung der Leitungskräfte. Dies ist jetzt empirisch und anonymisiert durch die Befragung bestätigt worden. Die Ergebnisse sind alarmierend. Viele Leitungskräfte gehen ihrem Traumjob nach, müssen dafür tagtäglich jedoch so viele Hürden nehmen, dass nicht wenige resignieren. Viele Kolleginnen und Kollegen gefährden ihre Gesundheit durch die hohe Arbeitsbelastung. So kann es nicht weitergehen“, sagte Becker.
Hintergrund: Die Freiburger Forschungsstelle für Arbeitswissenschaften GmbH (FFAW) hat die Studie im Auftrag der GEW erstellt. Sie nutzte den „Copenhagen Psychosocial Questionnaire“ (COPSOQ), einen breit erprobten Fragebogen zur Messung psychosozialer Faktoren am Arbeitsplatz, der anonym ausgefüllt wird. Die FFAW hat damit bereits über 1.500 Projekte mit über 600.000 Befragten absolviert. Die GEW hat in Zusammenarbeit mit der FFAW und Schulleitungsmitgliedern den Fragebogen für Lehrkräfte um schulleitungsspezifische Fragen ergänzt. Das Verfahren sei ein Projekt, das auch in anderen Bundesländern zur Befragung der Schulleitungen angewendet werden kann, so heißt es.
Von März bis Mai dieses Jahres beteiligten sich 796 Mitglieder von Schulleitungen. Zwei Drittel davon Frauen, ein Drittel Männer. 47,7 Prozent arbeiten an Grundschulen, 14,9 Prozent an Gymnasien, 8,1 Prozent an Stadtteilschulen (nur Hamburg), 4,3 Prozent an Realschulen, 3,4 an integrierten Gesamtschulen (nur Rheinland-Pfalz) sowie jeweils 9,6 Prozent an Beruflichen Schulen und Förderschulen. News4teachers
Hier lassen sich die vollständigen Ergebnisse der Online-Befragung abrufen.
Als Konsequenz aus der Umfrage schlägt die GEW folgende Punkte vor:
- Regelmäßige Belastungsstudien durch die Arbeitgeber.
- Verpflichtende Präventionsmaßnahmen durch den Arbeitgeber.
Politische Maßnahmen:
- Ressourcen für Bildung stärken.
- Die schlechte Ausstattung der Schulen sorgt für eine wachsende Arbeitsbelastung der Schulleitungen. Deshalb ist eine gesicherte, nachhaltige Ausstattung der Schulen ein wichtiger Faktor, um Belastungsfaktoren zu verringern.
- Entlastung durch zusätzliches Personal (auch IT-Administratoren und Verwaltungsfachkräfte).
- Entlastungsstunden für Leitungskräfte und zusätzliche Funktionsstellen.
- Bessere Bezahlung.
- Maßnahmen gegen den Lehrkräftemangel (siehe 15-Punkte-Programm der GEW, News4teachers berichtete).
- Die mangelhafte Ausstattung der Schulen ist für die Leitungskräfte eine große Belastung. Deshalb müssen das Startchancenprogramm, der Digitalpakt 2.0 und der Pakt für die Berufsbildenden Schulen, aber auch die bauliche, energetische und pädagogische Sanierung der Schulen umgehend angegangen werden.
Viele Schulleitungen setzen aber sich (und ihr Kollegium!) selbst unter Druck, da sie über jedes Stöckchen springen, dass ihnen die Schulbehörde hinhält.
Der Traum, es in die Schulbehörde zu schaffen, und Dezernent zu werden, ist eben bei vielen Schulleitungen vorhanden, obwohl es nur die wenigsen schaffen… also oft: Selber schuld.
Unliebsame Schulleiter, die den Dezernenten Gegenwind bringen, haben es nicht leicht. Egal wie erfolgreich sie in ihrem Tun sind.
Die Schulleiterin aus Haltern.
Der Frontalunterricht-Schulleiter aus Berlin.
Das beobachte ich auch so an unserer Schule. Übertriebener Ehrgeiz, maßloses Verantwortungsbewusstsein, eigene Grenzen nicht erkennen, Perfektionismus, unbedingt Lob einkassieren wollen, Unterwürfigkeit … viele ungünstige Eigenschaften sich selbst und!!! das Kollegium in den Burnout o.ä. zu treiben. Seltsam dieses Verhalten, beobachte ich auch bei vielen Kolleginnen und letztlich auch oft bei mir. Für Außenstehende in der freien Wirtschaft oft nicht nachvollziehbar. Die sagen dann: Warum macht ihr das? Euch kann doch nicht gekündigt werden..? Und so ist es. Einfach einen Gang runterfahren und sich selbst schützen. Schule ist auch so schon anstrengend genug.
Dieses. Richtige und wichtige Differenzierung. Die Unterschiede können enorm sein.
Das ist natürlich sehr einfach, wenn man in Unkenntnis des Drucks ist, der durch die Schulbehörde ausgeübt wird auf Schulleitungen.
…mag ja sein, aber es sind die “Stöckchen”, die Probleme machen. Ignoriert eine SL diese, gibt’s Ärger, also Mehrarbeit! Springt sie drüber: Mehrarbeit! Egal, was man macht, es ist falsch bzw. arbeitsaufwändig!
Realist, Sie machen es sich ein bisschen zuuuu einfach.
In Sachsen gibt es es eine Menge freier Stellen als Schulleitung und Stellvertretung….warum wohl?
Sehe ich auch so. Blöderweise müssen die ganz normalen Lehrer ohne Leitungsambitionen, aber umso mehr Einsatz für ihre Schüler das hauptsächlich ausbaden in Form von Mehrarbeit ohne nennenswerten Nutzen.
„Viele Schulleitungen setzen aber sich (und ihr Kollegium!) selbst unter Druck, da sie über jedes Stöckchen springen, dass ihnen die Schulbehörde hinhält.“
Ist das so? Kann ich nicht beurteilen, denn ich kenne alle anderen Schulen nur von außen und über wirkliche Interna wird in SL-Kreisen nicht gesprochen. Glückwunsch dass Sie das so in Gänze beurteilen können.
Ich persönlich springe über keine Stöckchen, aber es gibt Vorgabestöckchen, über die man springen muss, wenn man nicht Mecker kassieren möchte.
Ansonsten suchen wir unsere Stöckchen selber, über die wir dann quasi freiwillig springen.
„Der Traum, es in die Schulbehörde zu schaffen, und Dezernent zu werden, ist eben bei vielen Schulleitungen vorhanden, obwohl es nur die wenigsen schaffen… also oft: Selber schuld.“
Ganz ehrlich, ich kenne gefühlt 100 SL-Kollegen und niemand, wirklich niemand strebt in die Schulbehörde…..das ist so ziemlich der letzte Job, den zumindest ich und die Bekannten machen würden….
Viele könnten sich vorstellen auf den letzten Metern vor der Pensionierung in die QA zu gehen….Homeoffice, oft freie Zeiteinteilung,…..und so….
…, wenn man nicht Mecker kassieren möchte. Genau das ist doch der Punkt! Und weil eben niemand laut meckert, gehts so weiter. Es gibt Zusammenschlüsse von SL und auch einzelne mutige SL, die den Ministerien die Stirn bieten. Mein Respekt! Es gibt aber eben auch genug von denen, die eben keinen Mecker kassieren wollen.
Naja, das sagt sich so locker flockig.
Widersetzen Sie sich doch mal einer Anordnung eines Dezernenten als Schulleitung.
Dann werden Sie vom Ministerium einbestellt und Ihnen wird unmißverständlich klar gemacht, dass Sie diese Anordnung zu befolgen haben.
Keine Ahnung, wie oft man das machen kann, bis es verhältnismäßig erscheint, so jemandem aus dem Dienst zu entfernen.
Ich glaube nicht, dass man von den Leuten verlangen kann, hier den Helden zu spielen.
Ich kenne es eigentlich eher so, dass man, wenn man etwas nicht umsetzen will, Vorgaben ignoriert oder nur teilweise/anders umsetzt. Das kommuniziert man aber nicht offen nach außen und es ist je nach Vorgabe auch nicht immer möglich.
Ich sage das nicht locker flockig. Trotzdem gibt es ja SL, die sich organisieren und mutig die Missstände nach oben kommunizieren. Es wäre ja schon mal ein Anfang, wenn Vorgaben zumindest ignoriert werden, anstatt der Profilierung wegen auf jeden Zug zu springen. Ich bin nicht SL geworden. Bewusst nicht! Wer das aber wird, hat Personalverantwortung und dann braucht es Mut, nach oben zu treten. Um das Kollegium zu schützen!
Dann haben Sie von meiner Arbeit auch nicht die Spur einer Ahnung.
Was mich am meisten kaputt macht ist, wenn Kollegen ihren Hass auf das System, das sie sehr gut bezahlt, an mir auslassen, weil sie nicht sehen, dass ihr Hass auf dem System liegt.
Ich kenne die Belastung der SL und wollte nicht mit Ihnen tauschen. Es ist unverantwortlich was Ihnen da an Arbeit aufgetragen wird, die eigentlich Verwaltungskräfte erledigen sollte. Pädagogische Arbeit kommt viel zu kurz. Dennoch vermisse ich von vielen SL klare Statements, dass es so nicht weitergehen kann. Wer kann das denn nach oben weitergeben, wenn nicht die SL? Die Lehrer wohl kaum. Stattdessen wird der Druck nach unten weitergereicht.
Jede*r Lehrende ist verpflichtet eine sog. Überlastungsanzeige “nach oben” einzureichen:
https://www.gew-berlin.de/arbeitsbedingungen/ueberlastungsanzeigen
Schlimm, dass sowas nötig ist!
Kommt drauf an, wie man eben als Schulleitung im System handelt und behandelt. Selbiges gilt natürlich für Lehrkräfte gegenüber den Schulleitungen ebenfalls.
Auch ich würde um kein Geld der Welt Ihren Job machen wollen. Er ist zudem lausig bezahlt.
Aber in meinem konkreten Fall habe ich eine SL, die während Corona sogar acht Wochen Burnout hatte. Sie kam wieder und machte genau da weiter, wo sie zuvor aufgehört hatte. Wer nicht das gleiche Maß an intrinsischer Bereitschaft zur Selbstausbeutung besaß, wurde in die Faulenzer-Ecke gestellt. Gerne pauschal auch junge Mütter. Oder junge Väter. Wie bekloppt wird “Schulentwicklung” betrieben, ohne zu sehen, dass weite Teile des Kollegiums am Limit sind und erstmal ihren Alltag bewältigen. Wenn der Personalrat diesen Sachverhalt direkt anspricht, kommt eine Antwort wie von Ihnen (“System, das sie sehr gut bezahlt”). Da kann schon Hass aufkommen – und zwar auf ein System, das solche Leute in ein derartiges Amt befördert.
Läuft wie geschmiert für den übergeordneten Bereich: in Hessen ist die Studienleitung (Schulleitungsmitglied zuständig für die gymnasiale Oberstufe) die höchstbezahlte Kopierkraft des Landes, die mit A 15 die Abituraufgaben in Prüfungsgruppenstärke (wegen Auswahlmöglichkeit mehrere Sets) kopiert.
Die restlichen A 15 (außer Stellvertretung) klicken wochenlang umständlich Kurse und Lerngruppen in der verpflichtenden hessenweiten Datenbank zusammen. Bestbezahlte Sachbearbeitertätigkeit.
Im HKM haben die für sowas auch Sachbearbeiter, da stellt sich keiner mit A15 für sowas hin.
Unsere Schulleitung hat sich während Corona schön in ihren Büros verschanzt und die Kollegen verheizt. Am Abend hat man dann die neuen Hygienevorschriften vom Ministerium durch die SL einfach 1 zu 1 per Mail weitergeleitet bekommen…einfach ein menschenverachtender Umgang! Oberstes Ziel unserer SL ist Hauptsache kein Ärger mit Presse, ADD oder wichtigen Eltern der Gemeinde. Und wer etwas kritisiert wird gemobt, z.B. durch Stundenpläne mit viel Nachmittagsunterricht, bekommt „bevorzugt“ Vertretungen usw.
Die Schulleitungen haben kein Problem, die machen Probleme!
Werd doch selbst einer.