„Flickenteppich“ Digitalisierung (Oder: Warum Deutschland einen Digitalpakt 2.0 braucht)

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WIESBADEN. Schulleitungen wollen mehr Mittel für die schulische Digitalisierung, als der nun auslaufende Digitalpakt Schule zur Verfügung gestellt hat. Darauf verweist eine aktuelle Forsa-Umfrage im Auftrag des Lehrkräfteverbands VBE (News4teachers berichtete). Doch die Zukunft des von der Bundesregierung angekündigten Digitalpakts 2.0 ist nach bisher schleppenden Verhandlungen zwischen Bund und Ländern ungewiss. Wie nötig die weitere finanzielle Unterstützung der schulischen Digitalisierung ist – sowohl mit Blick auf die Ausstattung als auch hinsichtlich der Förderung von Digitalkompetenzen – zeigt das Beispiel Hessen.

Die Schere geht bei der Digitalisierung zwischen Schulen auseinander. Symbolfoto: Shutterstock

Schlechtes WLAN, mangelnde Technik, fehlende passende Lernkonzepte: Auch vier Jahre nach Ausbruch der Corona-Pandemie beklagen Experten eine nur lückenhafte Digitalisierung der hessischen Schulen. Mit der bloßen Anschaffung von Tablets und Notebooks sei es bei Weitem nicht getan, sagt etwa der Landesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung Hessen, Stefan Wesselmann. Grundproblem sei „ein riesiger Flickenteppich“ mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen an den Schulen, der auch für ungleiche digitale Bildungschancen der Kinder sorge.

Erleben konnten viele Schülerinnen und Schüler und auch Eltern das erst kürzlich wieder, als zahlreiche hessische Schulen wegen Eisregens für ein bis zwei Tage schlossen und – zumindest nach Angaben vieler Kreisverwaltungen – in den Distanzunterricht wechselten. Wesselmann, der als Rektor eine Grundschule in Rödermark im Landkreis Offenbach leitet, spricht von „Feigenblatt“ und „Vortäuschung falscher Tatsachen“: Den politisch Verantwortlichen sei sehr wohl klar, dass in vielen Fällen allenfalls schriftliche Arbeitsaufträge per E-Mail übermittelt würden – „wenn überhaupt“, sagt Wesselmann. Videokonferenzen und interaktive Lern-Tools könnten in solchen Situationen helfen, seien aber noch zu wenig nutzbar.

Kritik am fehlenden IT-Support

Es beginne schon damit, dass behördliche Ansagen zu solchen Schulschließungen zu kurzfristig übermittelt oder die Entscheidungen gleich ganz den Schulen überlassen würden. Den Lehrerinnen und Lehrern fehlten Möglichkeiten, mit den Schülern in Kontakt zu treten und digitalen Unterricht zu starten. Zwar gebe es das Schulportal, „aber letztlich muss ich da ja auch einen Zugang dazu haben, also auch einen Internetzugang und ein digitales Endgerät, mit dem ich das bedienen kann“, sagt Wesselmann. Längst nicht alle Schulen stehe ein ausreichender technischer Support zur Verfügung, obwohl die Geräte gewartet und Software und Virenschutz auf dem neuesten Stand gehalten werden müssten. Teils berichteten auch Kolleginnen oder Kollegen, die neu an Schulen kommen, dass sie gar nicht erst Computer erhalten – mit der Begründung, es seien schon alle Geräte verteilt, die über den Digitalpakt Schule angeschafft wurden – neue gebe es nun nicht mehr.

Ingo Radermacher vom Landeselternbeirat Hessen führt die Probleme auch darauf zurück, dass nach der Pandemie wieder auf Präsenzunterricht umgeschaltet und der Distanzunterricht praktisch zu den Akten gelegt wurde. „Damit ist auch ein gewisses technisches Know-how wieder ein Stück weit verloren gegangen“, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Landeselternbeirates. Die Eisregen-Situation habe gezeigt, wie unterschiedlich die Schulen aufgestellt sind: An manchen Schulen sei das schnelle Umschalten gut gelungen, an anderen jedoch gar keine Option gewesen und der Unterricht schlicht ausgefallen. „Wir haben ein komplett heterogenes Bild“, sagt Radermacher. Falls es zu einer ähnlichen Situation wie während der Pandemie auch durch andere Ereignisse kommen würde, wären die Schulen „ganz sicher nicht“ darauf vorbereitet, fürchtet er.

Forderung: Distanzunterricht in den Lehrplan integrieren

Dabei gäbe es schon jetzt regelmäßig Bedarf und Einsatzmöglichkeiten für das digitale Klassenzimmer. Warum die Möglichkeiten nicht nutzen, wenn beispielsweise mehrere Lehrkräfte gleichzeitig erkranken? Nach einer Art Hörsaal-System könnten die verbleibenden Pädagoginnen und Pädagogen mehrere Klassen eines Jahrgangs etwa in Mathe, Englisch oder Deutsch gleichzeitig unterrichten – und Unterrichtsausfall so vermeiden. Dafür müsse der Distanzunterricht aber fest in den Lehrplan integriert, immer wieder eingeübt und weiterentwickelt werden, um dann im Fall der Fälle auch zu funktionieren, sagt Radermacher. Problem sei allerdings auch das Fehlen von digitaltauglichem Unterrichtsmaterial. Es genüge nicht, Schulbücher nur per PDF einzuscannen. Hier hätten die Verlage bisher zu wenig zu bieten, so Radermacher.

Das hessische Kultusministerium erklärte die Schwierigkeiten während des Eisregens mit witterungsbedingten technischen Problemen. „An den beiden Tagen während des Wintereinbruchs war die gesamte IT-Infrastruktur in Hessen kurzfristig großen Belastungen ausgesetzt“, erklärte ein Ministeriumssprecher. Das habe sich auf die Infrastruktur an Schulen, in der häuslichen Umgebung sowie auf das Schulportal Hessen ausgewirkt. Insgesamt sei die digitale Ausstattung der Schulen «auf einem guten Weg». Zwischenzeitlich stünden 168.000 mobile Endgeräte zum Verleih an Lehrkräfte und bedürftige Schülerinnen und Schüler zur Verfügung. Auch die Ausstattung der Unterrichtsräume mit Präsentationstechnik sowie die WLAN-Ausleuchtung habe sich mit dem Digitalpakt „enorm verbessert, wenn gleich noch nicht flächendeckend an allen Schulen. Daran wird weiter gearbeitet“, so das Ministerium.

Kultusministerium verspricht Einsatz für Digitalpakt 2.0

Generell handele es sich um eine komplexe Herausforderung, die neben der technischen Ausstattung auch pädagogische Konzepte und dazu passende Qualifizierungsangebote erfordere, die aufeinander abgestimmt werden müssten. Hinzu kämen rechtliche Belange wie der Datenschutz. Die Beschaffung digitaler Technik und der Infrastrukturausbau bei den Schulträgern werde auch nach Auslaufen des Digitalpaktes im Mai dieses Jahres weitergehen, da Mittel aus dem Pakt noch bis ins kommende Jahr ausgegeben werden können. Zudem werde sich Hessen in den weiteren Verhandlungen mit dem Bund für den Digitalpakt 2.0 einsetzen.

Schülervertreter bleiben vorerst skeptisch. Auch zuletzt hätten Mitschülerinnen und -schüler berichtet, dass sie während Phasen des Distanzunterrichts kaum „ordentliche Arbeitsaufträge“, sondern eher Materialien „zum Zeitvertreib“ erhalten hätten, sagt Landesschulsprecher Gaston Liepach. Zudem fehle häufig das Feedback der Lehrer bei digital vergebenen Aufgaben. „Also da sind wir seit den Lockdowns nicht weitergekommen.“ Nötig sei ein stetiges Arbeiten mit den Programmen, die mittlerweile neue Funktionen böten – schon, um in Übung und auf dem Laufenden zu bleiben. „Das funktioniert nicht mit einem Schnipser von heute auf morgen“, sagt Liepach. Eine wesentliche Voraussetzung seien verpflichtende Fortbildungen für alle Lehrkräfte zur Didaktik im digitalen und Distanzunterricht. News4teachers / mit Christine Schultze (dpa)

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