„Hochschullehrer des Jahres“: Professor vermittelt Wissenschaft (auch) im Fernsehen

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CHEMNITZ. Der neue «Hochschullehrer des Jahres» kommt aus Chemnitz. Dort forscht Bertolt Meyer etwa zur Verschmelzung von Mensch und Technik. Das ist eng mit seiner eigenen Biografie verwoben.

Prof. Dr. Bertolt Meyer ist Inhaber der Professur Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie und Sprecher des Sonderforschungsbereichs „Hybrid Societies“ an der TU Chemnitz. Foto: Jacob Müller / TU Chemnitz

Wie neue Technik den Umgang von Menschen miteinander verändert, hat Bertolt Meyer am eigenen Leib erfahren. Ohne Hand geboren, wuchs er mit einer sichtbaren Körperbehinderung auf. Ständig sei ihm ungefragt Hilfe angeboten worden, erzählt der Wissenschaftler. «Das nervt total.» Zum Beispiel wurde ihm im Restaurant als einzigem das Fleisch klein geschnitten serviert – wohl in der Annahme, er könne das nicht selbst. Mit seiner neuen Handprothese habe sich das massiv geändert. «Die sieht mehr nach Hightech-Gadget als nach Sanitätshaus der 70er-Jahre aus.» Seither würden Menschen anders mit seiner Behinderung umgehen, sagt der Psychologie-Professor der Technischen Universität Chemnitz.

Schnürsenkel binden – kein Problem. Ebenso Autofahren oder Kochen. «Das ist ein großer Zuwachs an Lebensqualität.» Nur fürs Tippen am Computer oder Klavierspielen ist die mit sechs Elektromotoren ausgestattete Prothese zu langsam. Dafür legt er regelmäßig bei Partys auf und produziert selbst elektronische Musik. Eines seiner Videos auf Youtube hat fast 900.000 Klicks. «Ich bin der Typ, der seinen Arm an den Synthesizer anschließt.»

«Unsere Studien zeigen: Einen behinderten Körper aufzurüsten in Richtung einer gesellschaftlichen Norm – etwa mit einer schicken Armprothese oder Hörimplantaten – hat auch einen psychologischen Nutzen», erklärt Meyer. «Das kompensiert ein Stigma.» Doch wie verhält es sich, wenn der Mensch dabei andere ohne Behinderung übertrifft? Etwa wenn ein körperbehinderter Sportler mit Prothese weiter springt als ein Sportler ohne Behinderung? Dann ändere sich das Bild, sei von Techno-Doping die Rede, schildert Meyer. Denn andere sähen plötzlich ihren Status bedroht. Und wie verhält es sich, wenn gar ein gesunder Körper technisch aufgerüstet wird?

Zu Fragen der Vielfalt am Arbeitsplatz und der Verschmelzung von Mensch und Technik forscht Meyer mit seinem Team am Institut für Psychologie in Chemnitz. Er behandelt unter anderem den Einsatz von sogenannten Exoskeletten, die Pflegekräften bei schweren körperlichen Arbeiten helfen sollen. «Was macht das mit der Selbstwahrnehmung der Pflegekraft? Und mit den alten Menschen im Heim?» Derzeit werde versucht, viele gesellschaftliche Probleme durch technische Mittel zu lösen, erklärt er. «Dadurch geraten andere Ansätze aus dem Blickfeld.»

Doch Meyer lebt seinen Drang zu forschen und zu lehren nicht nur in Hörsaal und Universität aus. Als Moderator geht er für den Fernsehsender Arte aktuellen Themen nach und holt verschiedene Meinungen von Wissenschaftlern ein. «Agree to Disagree!» heißt die Reihe, mit der er auch mehr Verständnis für die Arbeit von Wissenschaft schaffen will. «Ich will zeigen, dass es normal ist, dass Wissenschaftler zu unterschiedlichen Erkenntnissen kommen.» Dabei geht es um Themen wie Gentechnik am Menschen, ob Automatisierung Arbeitsplätze vernichtet oder Nutzen und Gefahren von Social Media. Er wolle auch zeigen, was seine Wissenschaftskollegen antreibe, erzählt der Psychologe.

In Meyers Forschung gehe es häufig darum, Stereotype abzubauen und Barrieren zu überwinden, lobt der Deutsche Hochschulverband. Mit seinen Wissenschaftsformaten wie dem bei Arte führe er zudem Menschen mit unterschiedlichen Haltungen und konträren Positionen zusammen. Daher hat ihm der Verband den mit 10 000 Euro dotierten Preis «Hochschullehrer des Jahres» zuerkannt. Er wird am Montagabend (25. März) bei der Gala der Deutschen Wissenschaft in Berlin überreicht.

Der Preis wird seit 2006 jährlich von dem Verband vergeben – einer Berufsvertretung von Wissenschaftlern mit mehr als 33 000 Mitgliedern. Geehrt werden Forscher, die durch außergewöhnliches Engagement das Ansehen ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit gefördert haben. Zu den bisherigen Preisträgern gehören der Virologe Christian Drosten, der Ökonom Hans-Werner Sinn, die Gründer des Biotechnologie-Unternehmens Biontech, Uğur Şahin und Özlem Türeci, und die Meeresbiologin Antje Boetius.

«Es erfüllt mich mit ein wenig Scham, meinen Namen in der Liste mit Forschern wie Uğur Şahin und Özlem Türeci zu lesen, die einen krassen Impfstoff entwickelt haben», bekennt Meyer. Dennoch freue er sich sehr über die Auszeichnung. Denn 2023 musste er auch einen beruflichen Tiefschlag hinnehmen, von dem er sich bisher nicht erholt habe, wie er bekennt. Denn der Sonderforschungsbereich «Hybride Gesellschaften: Menschen in Interaktion mit verkörperten Technologien», dessen Sprecher er ist, wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft nicht verlängert. «Das ist der größte Misserfolg meiner Karriere.»

Aktuell hat Meyer ein Forschungsfreisemester und will die Zeit nutzen, um an einem populärwissenschaftlichen Buch zu schreiben. Der Arbeitstitel: «Umgang mit Unterschiedlichkeit». Beruflich sieht der gebürtige Hamburger trotz des jüngsten Rückschlags weiterhin seine Zukunft an der TU Chemnitz: «Ich fühle mich hier wahnsinnig gut aufgehoben.» News4teachers / mit Material der dpa

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Alx
1 Monat zuvor

Sie hätten gerne den Namen des Restaurants veröffentlichen können.
Ich finde es sehr umsichtig, freundlich und inklusiv, dass das Fleisch geschnitten serviert wird. Das spricht für ein sehr engagiertes und aufmerksames Serviceteam. Dort würde ich auch gerne essen wollen.