„Ohne Fachlichkeit“: Vermitteln Schulbücher ein einseitiges Bild der Wirtschaft?

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SIEGEN. Schulbuchautorinnen und -autoren fehle die fachliche Qualifikation – und ausgerechnet im Wirtschaftsunterricht ökonomisches Denken. Studie eines Siegener Forschungsinstituts kommt zu dem Schluss, dass ökonomischer Sachverstand an deutschen Schulen nur ungenügend vermittelt wird.

Das Bild von der Wirtschaft ist verzerrt… (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Das (Teil-)Fach Wirtschaft ist ein Fach ohne ökonomische Fachlichkeit“. Nils Goldschmidt, Romina Kron und Marco Rehm vom Zentrum für Ökonomische Bildung an der Universität Siegen (ZÖBIS) kommen zu einem harschen Urteil. Ökonomischer Sachverstand werde an deutschen Schulen nur ungenügend vermittelt.

Welches Bild von Wirtschaft bekommen Schülerinnen und Schüler im Unterricht vermittelt? Erlangen sie in der Schule ausreichend ökonomische Kenntnisse? Diese Fragen leiteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in ihrer Studie, erstellt im Auftrag des Verbands der Jungen Unternehmer und der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Um sie zu beantworten, untersuchten Goldschmidt, Kron und Rehm 40 Schulbücher der Fächergruppen Wirtschaft-Politik, Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Geschichte und Geografie der Sekundarstufen I und II sowie deren zugehörige
Lehrkräftebände. Dabei unterschieden sie explizit zwischen Darstellungs- und Positionstexten und unterzogen die jeweiligen Aufgaben in den Büchern einer Analyse.

Insgesamt bestehe deutlicher Nachholbedarf in der Förderung ökonomischen Sachverstands an deutschen Schulen. So kommen laut Studie etwa unternehmerisches Denken und Unternehmerpersönlichkeiten nur flüchtig vor, Globalisierung werde vor allem aus negativer Perspektive betrachtet, in der Lohndumping und Klimawandel im Vordergrund stehen. Frauen kämen wenn überhaupt meist in stereotypen Rollen vor, aber fast nie als Unternehmerinnen oder Managerinnen.

Das Material und die Aufgaben für Schülerinnen und Schüler seien im Wesentlichen textzentriert. Datenaufbereitung, Grafik- und Datenanalysen, Simulationen und ähnliche fachliche Methoden kämen kaum vor. Wirtschaftsunterricht unterscheide sich außer durch den Gegenstand so kaum vom Deutschunterricht. Als besonders problematisch seien die Bücher des Fachs Gesellschaftslehre aufgefallen. In diesen Schulbüchern finde sich eine unheilvolle Allianz von fachlicher Oberflächlichkeit und thematischer Beliebigkeit.

Ursächlich für das einseitige Bild von Wirtschaft im Unterricht sei nicht zuletzt der fachliche Hintergrund der Autorinnen und Autoren von Schulbüchern, die in der Regel Lehrkräfte, aber keine Vertreterinnen und Vertreter der Wirtschaftswissenschaften und der Wirtschaftsdidaktik seien. Schulbuchverlage betrachteten Details zur Autorschaft als Geschäftsgeheimnis. Außer den Namen sei über die Autorinnen und Autoren in der Regel nur wenig bekannt.

„In den Schulbüchern wird zwar viel über Wirtschaft geschrieben, jedoch nicht aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive“, so Nils Goldschmidt. „Es ist wichtig, Schülerinnen und Schülern zu vermitteln, wie Wirtschaft funktioniert, wie Ökonomen denken und wie uns Ökonomie helfen kann, bestimmte Probleme zu lösen.“ Ferner würden Schülerinnen und Schüler kaum dazu motiviert, sich selbst mit ihren eigenen Ideen in die Wirtschaft einzubringen als Unternehmerinnen oder Unternehmer.

Ein Lösungsansatz ist laut den Wissenschaftlern die Zulassung von Schulbüchern, die für den Wirtschaftsunterricht oder entsprechende Integrationsfächer eingesetzt werden, unabhängigen Kommissionen zu übertragen. Die Prüfung ökonomischer Inhalte müsse generell durch ausgebildete Ökonominnen und Ökonomen erfolgen.

„Ökonomische Methoden müssen stärker gemacht werden. Wir müssen Aufgaben so gestalten, dass Schülerinnen und Schüler wirklich lernen wie Wirtschaft funktioniert“, so Goldschmidt. „Natürlich brauchen wir aber auch Lehrkräfte, die entsprechend ausgebildet sind, denn große Teile des Wirtschaftsunterrichts werden fachfremd unterrichtet.“

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19 Kommentare
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Unfassbar
1 Monat zuvor

Einzige Lösung: Erhöhung des Mathematikanteils in den wirtschaftlichen Fächern. Die Lehrer und Schüler werden sich bedanken.

PaPo
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Hmmm…

… eines meiner Fächer mutierte von „Politik“ zu „Politik-Wirtschaft“ zu „Wirtschaft-Politik“, wo inzwischen Demokratiebildung, das Wissen um polit. Systeme, Politiken, internationale Beziehungen, Ideen- und Theoriengeschichte des Politischen immer mehr ‚ökonomischer Bildung‘ weichen musste (und ich inzwischen bspw. Neuntklässler unterrichten soll, wie die Gründung eines Startup-Unternehmens funktioniert);

… das andere (resp. der Teil des Faches in der Oberstufe) heißt zwar immer noch „Sozialwissenschaften“, umfasst aber von mind. über 2 1/2 Dutzend Fachdisziplinen insb. nur noch Wirtschaft, Politik und Soziologie (essenzielle Inhalte werden jetzt eher in bspw. Pädagogik, Philosophie und Geschichte unterrichtet), aber politikwissenschaftl. und soziologische Phänomene werden insb. unter wirtschaftswissenschaftl. Fragestellungen resp. als der Wirtschaftswissenschaft subsidiär behandelt;

… und „Geschichte“ ist eigtl. immer noch Geschichte und nicht Wirtschafts- und Sozialgeschichte, was i.d.R. nicht grundlos einen eigenen Studiengang benötigt.

Kurz:
Der Mathematikanteil, der in meinem Wirtschaft-Politik-, Sozialwissenschaften- und Geschichtsunterricht vorkommt, der ist bei praktisch Null. Und da muss er auch bleiben, denn dafür bin ich gar nicht qualifiziert. Und es ist auch nicht notwendig. Mein Unterricht ist kein wirtschaftswissenschaftl. Propädeutikum. Es genügen zum verständnis der diskutierten Phänomene einfach basale Kenntnisse in Subtraktion, Addition, Division und Multiplikation. Etwas Stochastik wäre auch wünschenswert, ist aber eigtl. nicht notwendig (da Methoden und Tehcniken empirischer Forschung etc. ohnehin nicht auf dem Lehrplan stehen, was aber einmal ein sinnvolles Propädeutikum wäre…); die Graphen, Diagramme, Statistiken und Co., mit denen wir arbeiten, sind relativ selbsterklärend, Phillips-Kurve, Gini-Koeffizient und Co. gilt es zu verstehen, nicht zu kalkulieren.

Und btw finde ich es auch notwendiger, Schülern eine fundierte politische, soziologische und historische Bildung zu vermitteln, als eine vertiefte ökonomische Bildung.

Der Zauberlehrling
1 Monat zuvor
Antwortet  Unfassbar

Im Fach Wirtschaft (sei es nun BWL bei den Einzelhändlern, bei den Industrie- oder sonstigen Kaufleuten) braucht es den Dreisatz als mathematisches Konstrukt. Prozent- und Zinsrechnen als Ausformung desselben. Viel mehr ist es in der Berufsschule oder in Baden-Württemberg am Wirtschaftsgymnasium oder am kfm. Berufskolleg nicht. Aber das reicht dann schon aus, um die Schüler an den Rand zu führen. Der Bruttopreis eines Küchengeräts beträgt 119 EUR. Der Handel „verzichtet“ auf das Erheben der Mehrwertsteuer bzw. räumt einem Rabatt in gleicher Höhe ein. Wie hoch ist der Rabatt? Ein Klassiker.

Wer BWL studiert hat, kann auch etwas Mathe 🙂 Nur ist Mathe halt nicht Rechnen.

Nele
1 Monat zuvor

Also Hausaufgabe, Demoaccount beim Broker eröffnen und nächstes Klassenarbeitsthema Daytrading, oder was? Neenee, nicht das die Kinder noch lernen, mit ein paar Mausklicks ihr Geld zu verdienen.

Aber Ernsthaft. Was genau soll die Ökonomie beitragen? Da geht es, eigentlich, um Politik und Kinder dürften ein wenig überfordert damit sein, die zumeist unausgesprochenen politischen Absichten hinter ökonomischen Modellen zu begreifen. Fundierte Kenntnisse in Geschichte und Politik sind die Grundlage.

Auf einer anderen Ebene jedoch spricht viel für den Vorschlag, die Ökonomie in die Schulen zu bringen. Die meisten Kinder in Deutschland kommen überhaupt nicht mehr mit Arbeit oder zumindest nicht mit Produktion in Berührung, weil Made in China.

Überwiegend scheitert schon der kleine ökonomische Ansatz, die Gören mal die Flure fegen zu lassen. Unzumutbar, ökonomisch gesehen.

Pober
1 Monat zuvor
Antwortet  Nele

Ab der Oberstufe ist WL angewandte Mathematik, ca 1/2 Jahr hinter den Matheunterricht her. In Klasse 11 differenzieren wir Funktionen, ermitteln Kosten, Durchschnitts- und Grenzkosten usw. Im Prinzip 1./2. Semester an der Uni.

447
1 Monat zuvor
Antwortet  Nele

Tjoah, im ersten Absatz bringen Sie es auf den Punkt.
Könnte ich unterrichten – bin da erfolgreicher Autodidakt.

Nur:
Ist nicht erwünscht.

Wirtschaft = böse, die antikapitalistische Ideologie schimmert extrem durch…also passt auch das von der Redaktion gewählte Bild extrem gut: Das ist die Kernbotschaft.
Dass man mit so einer Kernbotschaft furch das Anstacheln von (sinnlosem) Neid halt einfach nur Arme arm und damit Reiche reich hält…ist schon Realsatire.

Über die fachlichen Träumereien brauchen wir garnicht reden – das Zeug fliegt hoch, weit oben über den Köpfen von 90% der SuS. (Na gut, 70%)

Nele
1 Monat zuvor
Antwortet  447

Dito, während Corona im Homeoffice damit angefangen.

Es wäre ja immerhin mal etwas Praktisches, anwendungsorientiertes, ein eigenes Handeln. Selbstwirksamkeit und so.

Da die Ökonomie sich im ursprünglichen Sinne auf den Oikus, das Wirtschaften im eigenen Haus bezieht, ist mein Vorschlag zunächst ganz niederschwellig anzusetzen und die Kinder die Räume, auch die Toiletten, putzen zu lassen, ein unabdingbares Teilgebiet der Ökonomie.

Der Zauberlehrling
1 Monat zuvor

Nicht jeder, der ein Buch zu einem Fach schreibt, hat das Fach auch studiert. Ist keine Voraussetzung mehr, denn nicht jeder Wirtschaftsminister hat irgendwas mit Wirtschaft studiert.

Wirtschaftswissenschaft ist die einzige Disziplin, in der jedes Jahr auf dieselben Fragen andere Antworten richtig sind (Danny Kaye).

Nicht jeder, der Wirtschaft unterrichtet, hat BWL/VWL als „Hauptfach“ studiert. Für die Fakultas reicht auch ein Semesterschein BWL als Ingenieur. Mich wundert da nichts mehr.

Wirtschaftspädagogik heißt da der fachbezogene Studiengang. Kommt häufiger an beruflichen Schulen zum Einsatz, seltener an allgemeinbildenden Schulen und daher dürfte die Erkenntnis der Studie resultieren.

https://www.uni-mannheim.de/media/Fakultaeten/bwl/Dokumente/Broschueren/MSc_Wipaed_deutsch.pdf

https://www.uni-bamberg.de/ma-wipaed/

JoS
1 Monat zuvor

„So kommen laut Studie etwa unternehmerisches Denken und Unternehmerpersönlichkeiten nur flüchtig vor, Globalisierung werde vor allem aus negativer Perspektive betrachtet, in der Lohndumping und Klimawandel im Vordergrund stehen.“

Wie bitte? Schulen versuchen also immer noch manchmal, die Schüler*innen zum kritischen Denken über problematische Aspekte anzuregen, anstatt sie vom vollumfänglich segensreichen Wirken des Kapitalismus zu überzeugen? Ein Skandal!

Polemik beiseite: Ich denke, man könnte 80% des Wirtschafts-Teils von „Politik und Wirtschaft“ ohne merklichen Verlust streichen. Insbesondere in Jahrgang 11, wo das KC schon sehr stark aus BWL-Sicht geprägt scheint.

447
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Von den „segensreichen“ Auswirkungen nicht-kapitalistischer Systeme kann man sich weltweit leicht ein gutes Bild machen. Man folgt einfach den Fluchtrouten in umgekehrte Richtung.

Nachteile kann man natürlich trotzdem ansprechen.

JoS
1 Monat zuvor
Antwortet  447

Das ist mir jetzt ein bisschen arg verkürzt, merken Sie sicher selbst. Oder kommen die Geflüchteten mehrheitlich aus Kuba und Nordkorea?

447
1 Monat zuvor
Antwortet  JoS

Haben Sie schon recht.

Nordkorea wird das „Verlassen“ allerdings auch gefährlich, Kuba…dürfen die ausreisen? Weiß ich garnicht.

Aber wie gesagt: Haben Sie recht,war verkürzt.

Wutbürger
1 Monat zuvor
Antwortet  447

Wenn es so wäre, würden viele den Weg per Flugzeug nach Florida wagen und nicht per Schlauchboot.

Arno
1 Monat zuvor

Auch bei Schulbüchern anderer Fächer wird die fachliche Richtigkeit nicht von Vertretern dieser Fächer überprüft. Autoren sind in der Regel Lehrer, die zwar ein Lehramtsstudium hinter sich haben, aber dennoch nicht typische Fachexperten für Physik, Chemie, Biologie, Mathematik usw. sind. Die Herstellung der Schulbücher ist ein hektischer Anpassungsprozess geworden mit Anpassung an die sich in schneller Abfolge ändernden Vorschriften aus den Schulministerien. So äußerten sich Verlagsvertreter auf der Didacta. Und deshalb schafft man es nicht einmal, Druckfehler in höheren Auflagen zu eliminieren: Die Texte werden zu häufig umgeschrieben. Bei digitalen Materialien wird das kaum anders sein. Und dann gibt’s die Bücher auch immer noch in mehreren Versionen für einzelne Bundesländer oder Gruppen von solchen. Das ist ein Föderalismus-Wahnsinn, der auch noch die Preise hochtreibt.
Es wäre besser, die Bücher mal zehn Jahre ungeändert zu lassen und in weiteren Auflagen nur noch Druckfehler zu korrigieren oder Abbildungen zu verbessern oder ähnliches.

Pober
1 Monat zuvor

Offenbar haben die Herren PoWi mit WL bei ihrer Untersuchung verwechselt.
In WL machen wir genau die Dinge, die gefordert werden: Von Kostenfunktionen, Unternehmensformen zu Deckungsbeitragsrechnung zu Finanzierung, Kapitalerrtmethode und Keynes vs Friedman & Quantitätsgleichubg. Matheanteil je nach Sxhwerpunkt: 30-70%.

Ale
1 Monat zuvor

Irgendwoher kenne ich diese Behauptung, ganz neu ist diese also nicht. Aber schauen wir mal, wer in BW an beruflichen Schulen idR die wirtschaftswissenschaftlichen Fächer unterrichtet. Es sind Dipl. Handelslehrer und deren MasterNachfolger. Ja da steht „Lehrer“ drin, aber faktisch ist es ein BWL Studium, ergänzt um Inhalte der wirtschaftspädagogischen Didaktik und VWL Anteile, ebenso muss ein Zweitfach besucht werden. Diese Kollegen mwd sind alles andere als „keine studierten Wirtschaftswissenschaftler“. Das Problem ist vielmehr, wie stellt man sich denn das ganze vor. Ich lese hier von Simulationen, diese brauchen viel Zeit, brauchen oft auch räumliche und technische Gegebenheiten => alles das, was wir nicht haben. Und dann lese ich immer so aus der Forderung raus, dass wir Schüler beibringen könnten, ein erfolgreicher Unternehmer zu sein => so als ob das wie Mathe einfach auszurechnen wäre. Siehe Sigma, siehe DB, siehe VW Konzern. Ähm halt, wirklich erfolgreich sind unsere HiddenChampions. Und gerade diese halten sich oft nicht an die Theorie sondern handeln situativ gegenteilig. Seitens der Uni Siegen hätte ich da gern ein paar Materialen, die könnte man ja zur freien Verfügung für Lehrer online stellen.

Geowawa
1 Monat zuvor

Schaut man sich an, woher die Forderung kommt, wird schnell klar, welches Wirtschaftsbild hier vermittelt werden soll. Der Heuschrecken-Raubtier-Kapitalismus soll hier schon früh indoktriniert werden. Die Ökonomie selbst hat im Grunde mit harter Wissenschaftlichkeit nichts zu tun, denn jede ökonomische Theorie behauptet von sich, die Welt erklären zu können und dabei versagen sie alle (die hier geforderte neoliberale Ausrichtung hat am allerwenigsten mit der Realität zu tun). Wenn Physik, Chemie oder Ingenieurwissenschaften so wissenschaftlich wären wie die Ökonomie, würde nichts funktionieren, was wir so kennen.

Wutbürger
1 Monat zuvor
Antwortet  Geowawa

Na, da fallen mir noch ganz andere Wissenschaftsbereiche ein, die sogar noch viel weniger mit Wissenschaft zu tun haben… 😉

GriasDi
1 Monat zuvor

Fachlichkeit wird überbewertet, so legen es zumindest manche Kommentare hier im Forum nahe.