WASHINGTON. Die Selbstmordrate unter US-College-Sportlern hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt, offenbart eine alarmierende Studie. Soziale Medien könnten eine Rolle spielen.
Die Zahl der US-College-Sportlerinnen und -sportler, die durch Selbstmord starben, hat sich zwischen 2002 und 2022 verdoppelt. Dies geht aus einer aktuellen Studie eines Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der University of Washington School of Medicine um die Familienmedizinerin Bridget Whelan hervor. Selbstmord war damit in diesem Zeitraum nach Unfällen die zweithäufigste Todesursache der Sportlerinnen und Sportler. “Wir haben festgestellt, dass die jährliche Sterblichkeitsrate in dieser Bevölkerungsgruppe in den letzten 20 Jahren ziemlich gleich geblieben, aber der Anteil der Selbstmordtode an der Gesamtzahl gestiegen ist”, stellt Whelan fest.
Gemeinsam analysierten Whelan, Stephanie Kliethermes, Kelly Schloredt, Ashwin Rao, Kimberly Harmon und Bradley Pete Todesfälle, die sich zwischen dem 1. Juli 2002 und dem 30. Juni 2022 unter Athleten ereigneten, die in mindestens einer Sportart der ersten, zweiten oder dritten Division der NCAA antraten. Über die NCAA (National Collegiate Athletic Association) organisieren rund 1.300 US-amerikanische und kanadische Hochschulen ihre Sportprogramme. Die Divisionen I und II umfassen dabei Hochschulen, die Sportstipendien anbieten und entsprechend professionelle Bedingungen vorhalten. Die Todesfälle wurden grob in die Kategorien Unfall, Mord, Selbstmord, unbeabsichtigte Drogen-/Alkoholüberdosierung oder medizinische Ursache eingeteilt.
Während des 20-jährigen Untersuchungszeitraums starben insgesamt 1.102 Athletinnen und Athleten, davon 128 (11,5 %) durch Selbstmord, berichten die Autorinnen und Autoren. Sportlerinnen und Sportler, die durch Selbstmord starben, waren im Durchschnitt 20 Jahre alt. Der Anteil der Selbstmordtodesfälle verdoppelte sich von den ersten 10 Jahren der Studie (knapp über 7,5 %) auf die zweiten 10 Jahre (knapp über 15 %), während andere Todesursachen unter den jungen Erwachsenen zurückgingen.
77 % der Todesfälle durch Selbstmord betrafen Männer. Bei ihnen hatte sich die jährliche Inzidenz von Selbstmord während des Untersuchungszeitraums mehr als verdoppelt, von 31 in den ersten 10 Jahren auf 67 in den zweiten 10 Jahren. Bei den weiblichen Athleten stieg die Zahl der Selbstmorde ab 2010/11 von neun auf 21. Die Forscherinnen und Forscher räumen ein, dass die Analyse auf Berichten von Dritten beruht, da es kein obligatorisches Meldesystem für Todesfälle bei Sportlern gibt, sodass die tatsächliche Häufigkeit von Selbstmorden höher sein könnte.
Die Todesursache der einzelnen Athleten sowie Angaben zu Alter, sozialer Herkunft und Sportart wurden anhand von Online-Medienberichten, Nachrufen, Obduktionsberichten und anderen offiziellen Dokumenten ermittelt. “Athleten gelten im Allgemeinen als eine der gesündesten Bevölkerungsgruppen in unserer Gesellschaft, doch der Druck, interne und externe Leistungserwartungen, zeitliche Anforderungen, Verletzungen, die sportliche Identität und körperliche Ermüdung können zu Depressionen, psychischen Problemen und Selbstmord führen”, fasst Bridget Whelan zusammen.
“Wir hatten nicht erwartet, dass wir einen derartigen Anstieg der Selbstmordrate feststellen würden”, so Whelan. Zumindest College-Sportler der Division I hätten oft nicht nur Zugang zu Trainerinnen und Trainern, sondern auch zu Ärztinnen und Ärzten sowie zu Sportpsychologinnen und -psychologen. Offenbar hätten sie die schützende Wirkung dieser breiteren Netze an Unterstützung überschätzt, so die Forscherinnen und Forscher.
Das Team zeigte sich außerdem von der Feststellung überrascht, dass die beiden Gruppen, die am stärksten von Selbstmord betroffen waren, Langläuferinnen und Langläufer sowie Leichtathletinnen und Leichtathleten waren. Whelan vermutet, dass der individuelle Charakter dieser Wettkämpfe im Gegensatz zu eher mannschaftsorientierten Sportarten wie Fußball und Football das Gefühl der persönlichen Enttäuschung bei einer Niederlage verstärken könnte.
Einen weiteren Einfluss sieht Whelan in der zunehmenden Verbreitung von Social-Media-Apps, die möglicherweise zum Anstieg der Selbstmordrate bei Sportlern beiträgt. Diese Kommunikationsmechanismen ermöglichen es den Sportlern, sich in der Öffentlichkeit viel mehr zu zeigen als noch 2001 – und das nicht immer zum Besseren. “Die Menschen feiern die Siege, aber die Leistungen der Sportler können auseinandergenommen werden. Ein einziger negativer Kommentar kann mehr als tausend positive Kommentare ausmachen”, sagte sie.
Colleges und Universitäten wie auch die NCAA selbst hätten in den letzten Jahren Anstrengungen unternommen, um die psychische Gesundheit von Sportlerinnen und Sportlern unter ihren Studierenden zu verbessern, indem sie Untersuchungen anregten und versuchten, psychische Aspekte mit dem körperlichen Wohlbefinden gleichzustellen. “Aber wir erleben immer noch, dass Athleten dieses extreme, unglückliche Ende nehmen. Jeder dieser Athleten ist ein Mensch, der bei besserer Unterstützung vielleicht noch hier wäre”, so Whelan. “Die Aufgabe, die Prävention zu verbessern, ist definitiv noch nicht erledigt.“ Fügte sie hinzu (zab, pm)
- Die Originalstudie ist im British Journal of Sports Medicine erschienen:
“Suicide in National Collegiate Athletic Association athletes: a 20-year analysis”
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