MÜNCHEN. Schwieriger Start mit Ansage – mit einem flächendeckenden Sprach-Screening vor der Einschulung will Bayern ab diesem Jahr sprachliche Defizite von Kindern aufdecken. Doch schon nach den ersten Tagen der Sprachstandserhebung wird deutlich: Der Freistaat bietet aktuell ein Lehrstück, wie es besser nicht laufen sollte, wenn die bundesweite Pflicht für Sprach- und Entwicklungstests bei Vierjährigen kommt.

Lehrervertreter haben massive Kritik an der Umsetzung der neuen Sprachtests für angehende Vorschulkinder geübt und Verbesserungen angemahnt. Es sei schade, «dass ein pädagogisch so wertvolles Instrument so in den Sand gesetzt wird», sagte die Präsidentin des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), Simone Fleischmann, in München. Rückmeldungen aus der Praxis zeigten, dass es neben massiver Mehrarbeit für die Lehrkräfte zu großer Verunsicherung und Verwirrung bei den betroffenen Familien komme.
«Die diagnosegeleitete Förderung ist der Schlüssel zum Bildungserfolg aller Kinder in Bayern», betonte auch Fleischmann die Vorzüge des flächendeckenden Sprach-Screenings. Doch die per Schnellschuss eingeführte Art und Weise sei nicht sinnig. Außerdem müssten auch zwingend ausreichende Kapazitäten für die anschließend vorgesehene Sprachförderung zur Verfügung gestellt werden. «Jegliche Diagnose bringt nichts, wenn keine Förderung folgt.»
Kritik von Opposition und Gewerkschaft
CSU und Freie Wähler hatten sich in ihrem Koalitionsvertrag auf die Einführung der Sprachtests verständigt. Seit diesem Jahr wird in Bayern erstmals lückenlos der Sprachstand aller Kinder erhoben, die in eineinhalb Jahren in die Schule kommen. So soll frühzeitig vor der Einschulung auf etwaige sprachliche Defizite reagiert werden können. Wer keine Bestätigung über bereits vorhandene gute Sprachkenntnisse von einer staatlich geförderten Kita vorlegt, muss mit seinem Kind deshalb in diesen Wochen zu einem verpflichtenden Sprachtest in die örtliche Grundschule kommen und sein Kind bei Defiziten in einer Kita mit einem integrierten Deutsch-Kurs anmelden.
Schon vor der Einführung des Sprachtests hatte es viel Kritik am Vorhaben gegeben (News4teachers berichtete). Die Opposition kritisierte es als nicht ausgereift, zudem gebe es für die Deutsch-Kurse zu wenig Geld und Personal. In die gleiche Kerbe schlug damals auch bereits die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Bayern. Der stellvertretende Vorsitzende Florian Kohl betonte: „Wir haben in den Kitas kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Personalproblem. Es fehlt an allen Ecken und Enden qualifiziertes Fachpersonal, um die Kinder entsprechend zu fördern.“ Erst vor wenigen Tagen bilanzierte auch die GEW: «Die völlig überhastete Einführung hat nur Chaos verursacht und zu einer Mehrbelastung aller Beteiligten – also Eltern, Erzieher*innen, Schulleitungen und Lehrkräften – geführt.»
Familien zeigen sich verunsichert
Die Kritik der Lehrervertreter bezieht sich auf verschiedene Aspekte: Zum einen auf den erheblichen bürokratischen Aufwand, der den Schulen durch das Verfahren entstehe. Dann auf den Zeitaufwand für die Tests selbst, der den zuständigen Beratungslehrkräften sowie Schulpsychologinnen und -psychologen laut BLLV oft nicht angerechnet wird. In der Folge leisteten viele die Testungen in ihrer Freizeit oder müssten ihre eigentlichen Aufgaben – darunter auch die Sprachförderung älterer Kinder – vernachlässigen.
Zum anderen aber, und das betonen BLLV und GEW unisono, schaffe das Verfahren viel Verunsicherung bei den Familien der Kita-Kinder. Viele Eltern seien mit den bürokratischen Anschreiben überfordert und kämen gar nicht erst zum Test-Termin. Andere verstünden den Hintergrund des Tests nicht und fürchteten etwa, dass ihr Kind bei Nicht-Bestehen nicht in die Schule dürfe. Außerdem werde der Test oft als «Leistungsüberprüfung» wahrgenommen, ein schlechter erster Eindruck von Schule.
Ministerium will Verfahren verbessern
Das Kultusministerium verwies darauf, dass die Informationen zur Sprachstandserhebung auch in einfacher Sprache sowie in 18 weiteren Sprachen zur Verfügung stehen. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) kündigte an, die Abläufe verbessern zu wollen. «Wir sammeln aktuell ganz konkret bayernweit Rückmeldungen ein, wie wir das Verfahren optimieren können. Und damit werden wir uns auch ganz selbstkritisch auseinandersetzen.»
«Statt mit einem realitätsfernen ‘Kindergarten-Abitur’ neue Hürden zu schaffen, sollte die Staatsregierung lieber dafür sorgen, dass jedes Kind in Bayern frühzeitig und kontinuierlich Sprachförderung erhält», kommentierte die Kita-Expertin der Grünen-Landtagsfraktion, Julia Post, mit Blick auf fehlendes Personal und fehlende Plätze bei den Deutschkursen in den Kitas. Auch die bildungspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Simone Strohmayr, forderte: «Wenn ein Kind Förderbedarf hat, müssen dafür auch die Möglichkeiten vorhanden sein.»
Neue Regierung plant bundesweite Sprachtests
Bleibt nur zu hoffen, dass die massive Kritik an der Umsetzung in Bayern Union und SPD auf Bundesebene erreicht. Angesichts schlechter werdender Lese-, Schreib- und Rechenleistungen bei Grundschüler*innen planen die voraussichtlichen Regierungsparteien nämlich, eine bundesweite Pflicht für Sprach- und Entwicklungstests bei Vierjährigen einzuführen.
«Für gutes Aufwachsen und Chancengerechtigkeit für alle Kinder in Deutschland werden wir die verpflichtende Teilnahme aller Vierjährigen an einer flächendeckenden, mit den Ländern vereinbarten Diagnostik des Sprach- und Entwicklungsstands einführen», heißt es dazu im Koalitionsvertrag, auf den sich die Parteien geeinigt haben. Sollten solche Tests einen Förderbedarf zeigen, erwarte man von den Ländern verpflichtende Fördermaßnahmen und -konzepte, heißt es weiter. Da Bildung und Kitas Ländersache sind, kann der Bund allerdings keine einheitlichen Regeln vorschreiben. Die künftige Koalition kann dies nur in Zusammenarbeit mit den Ländern umsetzen. News4teachers / mit Material der dpa
Deutschkenntnisse: Pflichttest bei Vierjährigen – doch wer fördert im Bedarfsfall?
Ich finde es sehr wichtig, dass da
” Verunsicherung ” aufkommt.
Nicht bei den deutschlernenden Kindern ( das scheint noch arg verbesserungswürdig zu sein ) sondern bezogen auf die Erziehungsberechtigten der kleinen Muttersprachler. Die Rückstände sind auch bei diesen oft gravierend, – meine Erfahrung und aus dem Gespräch mit den Schwerarbeitern in KiTa/KiGa zu entnehmen.
Mit 4 geht noch mehr spielerisch nachzuholen als mit 6. Wenn die GS schon, weil die Mäuse ( meist daheim ) nicht gefördert werden zur Frusterfahrung wird, vorprogrammiert, unterhalten wir uns nicht erst über psychische Probleme bei 12, 13 + jährigen. Bisher wird diese Thematik gut gedeckelt ( Verunsicherung durch /Nachwirkungen von corona, muss sich alles erst wieder einspielen, Alltag werden, – von wegen ):
Na ja, mit 1 in die KiTa von morgens bis abends – weil dies jahrelang als der Heilsbringer verkauft worden ist. Dort in zu großen Gruppen von teils schlecht ausgebildetem Personal (und beides geht nicht gegen die Kräfte vor Ort) findet dann das “Sprechlernen” statt. Mit durchschlagendem Erfolg wie man sieht. Man sollte endlich anerkennen, dass die Familie bei der Bildung und Erziehung eine wichtige Rolle spielt und das entsprechend wertschätzen. Entsprechende Investitionen in Bildung, die einen Mangel auffangen könnten, werden immer nur versprochen und nicht umgesetzt. Dafür – wie man hier sieht – immer mehr und mehr Druck auf die Familien ausgeübt.
Absolut richtig, denke ich jeden Tag mehrmals….
“Man sollte endlich anerkennen, dass die Familie bei der Bildung und Erziehung eine wichtige Rolle spielt und das entsprechend wertschätzen.”
…..und erfahre/erlebe jeden Tag zu häufig, dass dies ein schöner Wunsch bleibt.
Leider auch, weil Erwachsene Familie nicht mehr leben und kennen.
Kein Stress.
Jetzt wird erstmal abgewartet wie die anderen 15 Länder eine Überprüfung umsetzen, um dann überraschend am eigenen Konzept als dem “Besten” festzuhalten – dies gilt für jedes jeweilige Bundesland.
Bis dahin heißt es in Bayern dann wohl mehr “Oigenveranwoatung!” für Eltern, Erzieher*innen fehlen ja 🙁
“Sprachtest-Chaos belastet Lehrkräfte und Sprachförderung (Land zeigt, wie es nicht geht)”
Land zeigt, wie es nicht geht …
…
Jeder kann was!
Brot kann schimmeln. … Was könnt ihr (Länder)?!