BERLIN. Es es nur ein bisschen Stoff, entfaltet aber politische Wucht: Die Deutschlandflagge weht inzwischen dauerhaft vor etlichen Schulgebäuden in Sachsen-Anhalt – auf Anweisung der Landkreise, durchgesetzt mit Stimmen von AfD und CDU. Was wie ein harmloses Stück Heimatliebe erscheinen mag, ist in Wahrheit ein Projekt, das die Schulen bundesweit in den Mittelpunkt eines kulturkämpferischen Schauspiels rückt. Aktuell wird das Thema durch die Landtage getragen, zuletzt in Rheinland-Pfalz.
Angefangen hat alles in Sachsen-Anhalt. Dort beschloss etwa der Kreistag des Jerichower Landes auf Antrag der AfD mit den Stimmen der CDU, dass alle öffentlichen Gebäude – einschließlich Schulen – dauerhaft mit der Deutschlandfahne beflaggt werden sollen. Die AfD in Sachsen-Anhalt wird vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft.
Am Roland-Gymnasium in Burg flattert Schwarz-Rot-Gold seitdem täglich im Wind. Der Schulleiter zeigte sich gegenüber der „Bild“-Zeitung wenig begeistert: „Zu Hause würde ich nicht flaggen. Ich habe das an unserer Schule gemacht, weil wir in Trägerschaft des Landkreises sind und ich eine entsprechende Anweisung bekommen habe.“ Er rechnet bereits mit dem halbjährlichen Verschleiß der 70-Euro-Flagge.
Auch in anderen Landkreisen wie Wittenberg, Harz oder Mansfeld-Südharz sind ähnliche Beschlüsse gefallen. Dort zeigen sich CDU-Verantwortliche immerhin geistesgegenwärtig genug, sich vom nationalistischen Unterton der AfD abzugrenzen: Sie lassen gleich die – bei Rechtsextremen verhasste – Europafahne vor den Schulgebäuden mit wehen.
„Das ist ein Versuch, unsere Schulen zu einer ideologischen Bühne einer nationalistischen Erziehungsagenda zu machen“
Doch vordergründig bleibt als Eindruck bestehen: ein symbolischer Schulterschluss mit einer Politik, die die Nation ins Zentrum der Erziehung rücken will. In den AfD-Anträgen ist die Rede von einer „Schicksals- und Bekenntnisgemeinschaft“, einem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ angesichts gesellschaftlicher Krisen – dieser Nenner sei: die Nation.
Die CDU – die sich eigentlich mit einer „Brandmauer“ von Rechtsaußen abgrenzen will – wird durch die Initiative getrieben. Völlig verwerfen kann sie die Idee nämlich schlecht. Schon 2019 beschloss die Bundespartei auf ihrem Parteitag, sich für eine bundesweite Dauerbeflaggung von Schulen mit der Deutschlandflagge einzusetzen – ergänzt um Landes- und Europaflagge. Ziel: die Stärkung des Nationalbewusstseins. Passiert ist seitdem wenig. Allerdings ist die CDU heute auf der Suche nach einem Ausweg aus der Symbolfalle, die sie damals selbst aufgestellt hat.
Die AfD hat Gefallen daran gefunden, die Christdemokraten tiefer hineinzutreiben – und geht nun noch weiter: Nicht nur die Flagge, sondern auch die Nationalhymne soll fester Bestandteil des Schulalltags werden. Sie sei regelmäßig im Klassenzimmer zu singen, forderten die Rechtsaußen in ihrem Antrag, den sie im rheinland-pfälzischen Landtag stellten.
Die Christdemokraten erteilten der Initiative (gemeinsam mit den Regierungsfraktionen) nun eine klare Absage. Die CDU-Abgeordnete Jenny Groß sprach von einem „Versuch, unsere Schulen zu einer ideologischen Bühne einer nationalistischen Erziehungsagenda zu machen“. Die Bundesflagge werde an den Schulen bereits zu feierlichen Anlässen gehisst und die Nationalhymne könne auch gesungen werden. In Hessen – wo die AfD im Landtag ebenfalls einen entsprechenden Antrag gestellt hatte – distanzierte sich CDU-Kultusminister Schwarz scharf: „Mir missfällt Ihr völkischer Ton.“
Wie albern die Initiative angesichts der real existierenden Bildungskrise ist, machte der Philologenverband Baden-Württemberg bereits 2019 deutlich, als die CDU dort mit ähnlichen Vorschlägen an die Öffentlichkeit ging. In einer scharfzüngigen Stellungnahme hieß es seinerzeit: „Natürlich könnte eine dauerhafte Beflaggung vor den Schulen das Zusammengehörigkeitsgefühl sowie den Stolz der Schüler- und Lehrerschaft auf ein funktionierendes demokratisches Gemeinwesen stärken – wenn denn sichergestellt wäre, dass dabei kein unerwünschter Nebeneffekt durch unfreiwillige Komik entsteht.“ Genau davor warnten die Philologen.
„Bei der Bildung der Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern sollten andere Prioritäten als eine symbolpolitisch motivierte Beflaggung gesetzt werden“
Die Realität an den Schulen – marode Gebäude, fehlende Digitalisierung, hohe Arbeitsbelastung – lasse das Symbol leicht zur Farce werden: „Solange es an vielen Schulen im Winter zu kalt und im Sommer zu warm ist, es durchs Dach regnet und die Bits aus dem Internet nur einzeln durch die Leitungen tröpfeln – von sonstigen Ausstattungsmängeln ganz zu schweigen –, könnte der Schuss leicht nach hinten losgehen und die Fahnen zum realsatirischen Ausrufezeichen staatlicher Vernachlässigung der Schulen werden.“
Die Philologen forderten stattdessen konkrete Verbesserungen: kleinere Klassen, weniger Unterrichtsverpflichtung, weniger Unterrichtsausfall. Und mehr Zeit und Ressourcen für echte Demokratiebildung: „Bei der Bildung der Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern sollten nach Ansicht des Philologenverbands andere Prioritäten als eine symbolpolitisch motivierte Beflaggung gesetzt werden.“
Auch der rheinland-pfälzische Bildungsminister Sven Teuber (SPD) befand nun: „Es ist nicht damit getan, eine Flagge aufzuhängen.“ Es gehe vielmehr darum, ein reflektierendes Bewusstsein zu schaffen, was hinter der Flagge stecke, wie er in der lebhaften Debatte im Mainzer Landtag betonte. Ein gesunder Patriotismus könne identitätsstiftend sein und es sei wichtig, eine gesunde Verständigung zu „unserem Land und den Werten, die dahinterstecken, zu vermitteln“, sagte Teuber. Die AfD sei aber nicht an Einigkeit, an Recht, der Freiheit und der Gleichheit des Menschen interessiert, sondern an Spaltung, Polarisierung.
Bleibt ein Punkt: Hochgerechnet auf rund 30.000 Schulen in Deutschland würde die bundesweite Umsetzung rund vier Millionen Euro kosten – im Jahr. Obendrauf kämen noch Kosten für die Errichtung von Fahnenmasten, die es nicht an jeder Schule gibt. News4teachers / mit Material der dpa
Deutschland-Flagge vor jeder Schule? Philologen: Unfreiwillig komisch!
