Vorbereitungsdienst: So überlastet, dass sie ihre sozialen Kontakte einschränken

1

FRANKFURT AM MAIN. Junge Lehrkräfte fühlen sich laut einer aktuellen Umfrage der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Hessen massiv überlastet. Wie aus der Erhebung hervorgeht, sind 90 Prozent der angehenden Lehrerinnen und Lehrer im Land körperlich und emotional erschöpft. Fast ein Drittel bezeichnet den Vorbereitungsdienst – früher Referendariat genannt – als zu belastend, jede fünfte Lehrkraft denkt sogar an einen Abbruch. „Die Ergebnisse sind eindeutig: Die große Mehrheit der LiVs (Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst) ist überfordert, emotional und körperlich erschöpft und kann den Leistungsdruck nur schwer bewältigen“, fasste die GEW Hessen die Resultate zusammen.

An der Grenze. Illustration: Shutterstock

1.009 Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst beteiligten sich an der Umfrage, die vom 1. Mai bis 12. Juli 2025 lief. Sie arbeiten im Schnitt deutlich mehr, als es ihre Ausbildung vorsieht: 45 Prozent gaben an, 36 bis 50 Stunden pro Woche zu leisten, weitere 31 Prozent sogar über 60 Stunden. Rund 93 Prozent fühlen sich durch Unterrichtsbesuche stark belastet, 86 Prozent haben ihre sozialen Kontakte wegen des Vorbereitungsdienstes reduziert.

68 Prozent sagen, die Ausbildung trage „voll“ zu ihrer körperlichen und emotionalen Erschöpfung bei – nur zwei Prozent widersprechen. 81 Prozent geben an, keine ausreichende Zeit zur Erholung zu haben, und 82 Prozent berichten von negativen Auswirkungen auf ihre mentale Gesundheit. Knapp 70 Prozent stimmen der Aussage zu, sie seien durch den Vorbereitungsdienst überfordert. Sechs Prozent erwägen einen vorzeitigen Abbruch, 14 Prozent teilweise – zusammen also jeder Fünfte. Fast ein Drittel der Befragten (29 Prozent) zweifelt zudem, ob sie den Lehrberuf tatsächlich ausüben möchten.

„Die extreme Belastung kommt durch Vertretungsstunden und Druck“

„Über 90 Prozent der Teilnehmenden haben angegeben, dass sie körperlich und emotional erschöpft sind“, sagte Marisa Freibott, Sprecherin der Jungen GEW. „Gleichzeitig klagen 82 Prozent darüber, dass sich der Vorbereitungsdienst negativ auf die mentale Gesundheit auswirkt. Alleine diese beiden Werte zeigen deutlich: Die meisten Lehrkräfte in Ausbildung sind sehr stark belastet.“

Gleichzeitig lobten die meisten Befragten die Unterstützung durch Mentorinnen, Mentoren und Schulleitungen: 77 Prozent fühlen sich von ihren Ausbilder:innen gut betreut, 90 Prozent von ihren Mentor:innen. Freibott betonte, die Hauptursache für die Erschöpfung seien nicht mangelnde Betreuung, sondern strukturelle Probleme: „Die extreme Belastung kommt vor allem durch die zu haltenden Vertretungsstunden und praktischen Anforderungen des Vorbereitungsdienstes.“

GEW: Verkürzung des Vorbereitungsdienstes wäre „fatal“

Besorgt zeigt sich die GEW über Pläne der hessischen Landesregierung, die Dauer des Vorbereitungsdienstes von 21 auf 18 Monate zu verkürzen, ohne den Ausbildungsumfang zu reduzieren. „Gleichzeitig sollen die Ausbildungsstunden auf gleichem Niveau bleiben, und Ausbilder:innen sollen mehr Nachwuchslehrkräfte betreuen. Setzt das Kultusministerium diese Sparmaßnahmen um, führt das zu Einschnitten in der Ausbildungsqualität und zu einer steigenden Arbeitsbelastung für alle Beteiligten“, warnte GEW-Landesvorsitzender Thilo Hartmann.

Auch Susanne Nissen, Mentorin und Mitglied des Hauptpersonalrats, kritisierte die Pläne scharf: „Eine fundierte Ausbildung braucht Zeit, gute Betreuung und verlässliche Rahmenbedingungen – nicht weniger davon. Bereits die letzte Novellierung des Hessischen Lehrkräftebildungsgesetzes führte zu massiver Arbeitsverdichtung. Es gibt schlichtweg keinen weiteren Spielraum für zusätzliche Verschärfungen!“

„Qualität der Ausbildung entscheidet über den Lehrkräftemangel“

Die GEW betont, dass in Hessen derzeit rund 20.000 Lehramtsstudierende eingeschrieben sind, davon etwa 3.600 im Vorbereitungsdienst. Im Laufe der Ausbildung entscheidet sich laut Hartmann etwa jede zweite angehende Lehrkraft, die Berufslaufbahn nicht fortzusetzen. „Wenn das Land den Lehrkräftemangel beseitigen will, ist die Ausbildung neuer Lehrerinnen und Lehrer die Stellschraube“, sagte er. „Die Ergebnisse zeigen klar: Wer die Qualität der Ausbildung weiter verschlechtert, riskiert, dass noch mehr junge Menschen den Lehrerberuf aufgeben.“

Die GEW fordert deshalb eine Stärkung der Lehrkräftebildung, etwa durch mehr Ausbildungskapazitäten, Entlastung der Seminarausbilder:innen, eine verlässliche Unterrichtsreduktion während des Vorbereitungsdienstes sowie mehr psychologische Unterstützungsangebote. „Statt Sparmaßnahmen braucht Hessen endlich eine verlässliche Stärkung der Lehrkräftebildung, die den wachsenden Herausforderungen im Schulalltag gerecht wird“, so Nissen abschließend. News4teachers / mit Material der dpa

“Praxisschock ist ein Mythos”: Die meisten angehenden Lehrkräfte gehen gar nicht im Referendariat verloren (sondern…)

 

Anzeige

Info bei neuen Kommentaren
Benachrichtige mich bei

1 Kommentar
Älteste
Neuste Oft bewertet
Inline Feedbacks
View all comments
Wunschdenkerin
3 Stunden zuvor

Dazu fällt mir spontan ein: Eine bekannte Lehrkraft, die damals ihr Referendariat in Bayern absolvierte, berichtete davon, dass ihr Seminarlehrer/Mentor in der Schule sie in der Lehrerküche Töpfe etc. reinigen ließ…