BERLIN. In Deutschland gibt es nach Auffassung des Deutschen Kinderhilfswerks bei Kinderrechten noch großen Nachholbedarf. Der Verband hat in Berlin seinen «Kinderrechte-Index 2025» vorgestellt, der zeigen soll, wie weit die einzelnen Bundesländer mit der Umsetzung der vor mehr als drei Jahrzehnten beschlossenen UN-Kinderrechtskonvention sind. Auch die Bildung rückt dabei in den Fokus. „Der Index zeigt ganz deutlich auf, dass die Chancen der jungen Menschen in unserem Land nicht nur aufgrund ihres Elternhauses, sondern auch regional sehr unterschiedlich verteilt sind“, betont Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes.

Der „Kinderrechte-Index 2025“ des Deutschen Kinderhilfswerkes zeigt, dass es bei der Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland noch großen Nachholbedarf gibt. Dabei handelt es sich um ein internationales Abkommen mit 54 Artikeln, in dem Kinderrechte völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben sind, vom Recht auf Bildung über Schutz vor Gewalt bis zu hin zur freien Meinungsäußerung.
Im Gesamtergebnis schneiden Berlin, Brandenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein und Thüringen überdurchschnittlich ab. Dies bedeutet, dass in diesen Bundesländern die Kinderrechte vergleichsweise am besten umgesetzt werden. Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Sachsen liegen im Durchschnitt. Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, das Saarland und Sachsen-Anhalt sind insgesamt unterdurchschnittlich eingeordnet.
Dem „Kinderrechte-Index 2025“ des Deutschen Kinderhilfswerkes liegen 101 Kinderrechte-Indikatoren zugrunde, die basierend auf der UN-Kinderrechtskonvention gemeinsam mit einem interdisziplinär zusammengesetzten Wissenschaftlichen Beirat auf der Basis des ersten Kinderrechte-Index 2019 fortgeschrieben oder neu entwickelt wurden. Dabei wurden sechs Kinderrechte in den Mittelpunkt gestellt:
- Das Recht auf Schutz, das neben dem präventiven Kinderschutz auch die Meldung und Behandlung von Kinderschutzfällen beinhaltet, setzen Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein vergleichsweise am besten um.
- In Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Sachsen und Thüringen wird das Recht auf Gesundheit, das im Kinderrechte-Index sowohl den Zugang zum Gesundheitssystem als auch Prävention und Gesundheitsförderung umfasst, am besten umgesetzt.
- Bei der Umsetzung des Rechts auf angemessenen Lebensstandard als eine Voraussetzung für die gute körperliche, geistige, seelische und soziale Entwicklung des Kindes schneiden Baden-Württemberg, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Thüringen vergleichsweise am besten ab.
- In Baden-Württemberg, Berlin, Hamburg, Niedersachsen und Sachsen wird das Recht auf Ruhe und Freizeit, Spiel und Erholung sowie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben als ein entscheidendes Kriterium für die Qualität der Kindheit und für eine optimale Entwicklung und die Förderung der Widerstandsfähigkeit, vergleichsweise am besten umgesetzt.
- Das Recht auf Bildung auf der Grundlage der Bildungsinfrastruktur, der Chancengleichheit sowie der Vermittlung von Bildungsinhalten und -zielen setzen Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen am besten um.
Zur Bildung hält die Studie ausdrücklich folgende Defizite fest:
- „Beim Zugang zu Bildung verletzen die meisten Bundesländer weiterhin klare völker- und europarechtliche Verpflichtungen. Nur Bremen und Hamburg garantieren Kindern und Jugendlichen mit Behinderung einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf inklusive Schulbildung ohne Ressourcenvorbehalte. In Baden Württemberg, Bayern, Rheinland Pfalz, Sachsen und Sachsen-Anhalt fehlt ein solcher Vorrang der gemeinsamen Beschulung sogar vollständig im Schulgesetz. Der Abbau von Förderschulen stagniert bundesweit mit Unterschieden zwischen den Ländern: Während in Bremen nur 0,8 Prozent der Schüler*innen Förderschulen besuchen, sind es in Sachsen-Anhalt 6,4 Prozent.“
- „Viele Länder halten weiter an Verfahren fest, die Bildungsschwierigkeiten einzelner Kinder primär als persönliche Defizite behandeln, anstatt systemische Ursachen wie Personalmangel, fehlende Unterstützung oder unflexible Strukturen zu untersuchen. Für die betroffenen Kinder bedeutet das Stigmatisierung und langfristige Benachteiligung.“
- „Auch die Bildungssituation geflüchteter Kinder ist vielerorts besonders prekär. In elf Ländern beginnt die Schulpflicht erst mit einer kommunalen Zuweisung oder frühestens nach sechs Monaten. Damit verstoßen die Länder gegen das gemeinsame Europäische Asylsystem, das den Zugang zur Regelschule spätestens nach drei Monaten vorschreibt.“
- „Die frühkindliche Bildung leidet unter einem strukturellen Fachkräftemangel. Zwar sind die Quoten frühkindlicher Bildungsangebote der unter 3-Jährigen in den letzten Jahren gestiegen, doch die Ausgestaltung unterscheidet sich stark zwischen den Bundesländern. Die ostdeutschen Länder erreichen zwar die höchsten Betreuungsquoten, weisen aber die schlechtesten Personal-Kind-Schlüssel auf. (…) Besonders betroffen sind Kinder aus armutsgefährdeten Familien und mit Migrationshintergrund. Wenn sie trotz Bedarfs keinen Platz erhalten oder in überfüllten Gruppen zu wenig individuelle Sprach- und Entwicklungsförderungen bekommen, dann verschärfen sich Bildungsungleichheiten schon im frühen Kindesalter.“
- „In Deutschland ist der Bildungserfolg weiterhin eng mit der sozialen Lage der Familie verbunden. Während Jugendliche aus privilegierten Familien deutlich bessere Kompetenzen erzielen, fallen Kinder aus armutsgefährdeten oder bildungsfernen Haushalten weit zurück. Diese Unterschiede zeigen sich in allen Bundesländern, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß.“
Anne Lütkes, Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerkes und Leiterin des Wissenschaftlichen Beirates zum Kinderrechte-Index, betont: „Von gleichwertigen Lebensverhältnissen kann insbesondere bezogen auf die Kinderrechte keine Rede sein. Der Wohnort entscheidet vielfach darüber, inwiefern Kinderrechte verwirklicht werden: etwa durch frühkindliche Bildungsangebote, Mitbestimmungsmöglichkeiten in der Kommune oder in der Schule und im Verein, durch eine ausreichende ärztliche Versorgung, die Förderung von Kinder- und Jugendarbeit oder funktionierende Kinderschutzsysteme.“
„Die Umsetzung der Kinderrechte ist an vielen Stellen keine alleinige Frage der Kassenlage, sondern vielmehr des politischen Willens“
Sie meint: „33 Jahre nach Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland stehen wir im Hinblick auf die Kinderrechte weiterhin vor einem föderalen Flickenteppich. Hier gilt es für jedes Bundesland, auf Grundlage der vielen Beispiele guter Praxis in den anderen Bundesländern ihre kinderrechtlichen Bemühungen zu verstärken. Dabei zeigt der Kinderrechte-Index 2025 ganz deutlich, dass die Umsetzung der Kinderrechte an vielen Stellen keine alleinige Frage der Kassenlage, sondern vielmehr des politischen Willens ist.“
Die Vizepräsidentin fordert: „Auch die psychosoziale und mentale Gesundheit von Kindern muss flächendeckend gestärkt werden, beispielsweise durch den Ausbau von Vorsorge- und Hilfsangeboten. Landesstrategien zur Kinderarmutsprävention sollten Standard sein, kommunale Präventionsnetzwerke in diesem Bereich aufgebaut und langfristig gefördert werden.“
Es gelte zudem, Justiz und Verwaltung kindgerechter zu gestalten, etwa durch verbindliche Standards zur Qualifizierung und Fortbildung von Fachkräften in diesem Bereich. Lütkes: „Der Kinderrechte-Index hat aber auch gezeigt, dass ein bundesweites, indikatorengestütztes Kinderrechte-Monitoring unter Beteiligung von Kindern und Jugendlichen etabliert werden sollte. Denn in wichtigen Bereichen wie der Gesundheit oder dem Armutserleben von Kindern und Jugendlichen fehlt es an ausreichend aufgeschlüsselten und kontinuierlich erhobenen Daten. Hier ist insbesondere der Bund gefordert mehr langfristige Forschung zu finanzieren und seiner Verpflichtung zur Überwachung der Kinderrechte nachzukommen.“
Der Kinderrechte-Index 2025 des Deutschen Kinderhilfswerkes basiert auf einem Methodenmix. So wurden auf Grundlage von bereits verfügbaren öffentlichen Daten und eigenen Datenerhebungen 101 Kinderrechte-Indikatoren gebildet. Es wurden Analysen zu Rahmenbedingungen wie Gesetzen, Institutionen, Netzwerken und Programmen durchgeführt sowie Daten durch eine repräsentative Umfrage unter 3.218 Kindern und Jugendlichen in den Bundesländern erhoben. News4teachers
Hier lässt sich der vollständige Index herunterladen.









„ Es wurden Analysen zu Rahmenbedingungen wie Gesetzen, Institutionen, Netzwerken und Programmen durchgeführt sowie Daten durch eine repräsentative Umfrage unter 3.218 Kindern und Jugendlichen in den Bundesländern erhoben.“
Echt, eine Umfrage zu den Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern ist repräsentativ, wenn pro Bundesland im Schnitt 200 Kinder UND Jugendliche (also 100 pro Gruppe) befragt werden? Das fällt doch eher unter anekdotische Evidenz!