Was Schüler im MINT-Unterricht motiviert – und was sie daran abturnt

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BONN. Im MINT-Unterricht gehen viele Schülerinnen und Schülern verloren – zu viele? Häufig sind nicht die Inhalte das Problem, sondern die Art der Vermittlung. Das legt jedenfalls die SINUS-Studie nahe, die im Auftrag der Telekom-Stiftung Kinder und Jugendliche zu ihren Erfahrungen mit Mathematik, Informatik, den Naturwissenschaften und Technik in der Schule befragt hat. Dabei wird auch deutlich, was MINT-Unterricht gelingen lässt: klare Strukturen, verständliche Erklärungen, geduldige Lehrkräfte, Zeit – und die Erfahrung, selbst etwas herstellen oder entdecken zu können.

Lust auf Mathe? (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

„Sie [die Lehrerin] hat einfach einen roten Faden im Physikunterricht. Ist deutlich einfacher, ihr zu folgen. Sie sagt am Anfang der Stunde, wir beginnen heute mit dem, und erklärt uns den Plan, an dem wir uns langhangeln können, und sie macht das einfach sehr verständlich für uns. Am Anfang der Stunde: ‚Ihr müsst das und das jetzt abschreiben und dann im Heft haben, und danach machen wir ein Experiment zu zweit, und zum Ende in der Stunde möchte ich euch noch gerne einen Film zeigen über das und das Thema.‘ Und das ist endlich perfekt.“  Schüler, 16 Jahre, Gymnasium

So klingt Motivation – und so klingt sie vor allem dort, wo MINT-Unterricht gelingt. Das SINUS-Institut hat im Auftrag der Telekom-Stiftung untersucht, was Kinder und Jugendliche zwischen zehn und 16 Jahren tatsächlich antreibt, sich auf Mathematik, Naturwissenschaften, Informatik oder Technik einzulassen. Die Studie, die im vergangenen Jahr vorgestellt wurde (News4teachers berichtete), ergänzt die bekannten Leistungsabstürze aus PISA und den Ländervergleichen um eine Perspektive, die in der MINT-Debatte bisher kaum eine Rolle spielt: Wie erleben Schülerinnen und Schüler selbst diese Fächer, was schreckt sie ab, was zieht sie hinein – und was könnten Schulen ändern, um Lernfreude und Kompetenzen gleichermaßen zu stärken?

Die zentrale Botschaft der Studie lautet, dass Motivation im MINT-Bereich weit weniger eine Frage des Talents ist, als häufig angenommen wird. Zwar schätzen sich in Mathematik rund drei Viertel der Befragten als gut ein, doch nur 36 Prozent mögen das Fach. Noch geringer ist die Zahl derer, die sich später einen Beruf vorstellen können, in dem viel Mathematik vorkommt. Der Befund zieht sich durch alle MINT-Disziplinen: MINT können, MINT mögen und MINT machen sind für viele Jugendliche drei völlig unterschiedliche Dinge. Das allein wäre schon alarmierend – aber die qualitativen Interviews zeigen, wie schnell sich das Bild in der Realität kippt.

In vielen Erzählungen beginnt die Abwärtsspirale zwischen der sechsten und achten Klasse, wenn Lernlücken wachsen und die Angst, nicht mehr aufzuholen, real wird. Die Studie dokumentiert, dass die Angst vor Mathematik mit dem Alter zunimmt und der Anteil derer, die sich zutrauen, den Stoff zu verstehen, spürbar sinkt. Dabei spielt die Unterrichtsform eine entscheidende Rolle. Überwiegend wird frontal unterrichtet, oft theorielastig, häufig monoton – manchmal so monoton, dass Schüler berichten, im Unterricht lieber auf ihren Handys zu spielen, während die Lehrkraft am Pult sitzt.

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Foto: Gehard Kopatz

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Der Unterschied entsteht fast immer durch die Lehrkraft. Positive Erlebnisse sind eng verbunden mit einer Haltung, die Unterstützung, Geduld und fachliche Begeisterung sichtbar macht. Ein Mädchen berichtet, dass ihr Interesse an Mathematik erst durch einen Lehrerwechsel erwacht sei. Mit einer Lehrkraft, die ruhig erklärt, Fragen ernst nimmt und einen klaren Unterrichtsplan hat, steigt nicht nur die Motivation, sondern auch die Zuversicht. Die quantitative Befragung bestätigt das: 93 Prozent der Jugendlichen sagen, dass es ihnen hilft, wenn sie ihre Lehrkraft mögen, und ebenso viele betonen den Wert verständlicher Erklärungen.

Wie stark dieser Einfluss sein kann, zeigen weitere Stimmen. Eine Schülerin erinnert sich, dass sie in der Grundschule zu den schlechtesten gehörte – später, an der weiterführenden Schule, war sie „fast eine der Besten“. Ihr Klassenlehrer habe die Inhalte so gut erklärt, dass sie plötzlich verstand, was zuvor unerreichbar wirkte. Auf der anderen Seite stehen Berichte über strenge oder abfällige Lehrkräfte, die Nachfragen als Störung empfinden oder Kinder bloßstellen. Hier entsteht der Nährboden für Angst und Scham, die in der Studie als zentrale Barrieren für MINT-Lernen identifiziert werden.

Entscheidend bleibt jedoch der Faktor Mensch. Ohne Lehrkräfte, die Zeit, Unterstützung und gute Arbeitsbedingungen haben, wird sich der Trend kaum wenden lassen

Wichtige Hinweise liefert auch der Blick auf den Unterricht selbst. Viele Schülerinnen und Schüler wünschen sich einen klaren Alltagsbezug. Was in Physik oder Chemie passiert, bleibt für viele abstrakt. Ein Jugendlicher antwortet auf die Frage, ob er Chemie außerhalb der Schule irgendwo brauche: „Ne, ne.“ Und erst nach längerem Nachdenken fällt ihm ein umständliches Beispiel aus dem Sport ein, das seinerseits zeigt, wie schwach der Brückenschlag zwischen Theorie und Wirklichkeit gelingt. Gleichzeitig berichten viele von Aha-Erlebnissen, sobald Unterricht praktisch wird – sobald sie experimentieren dürfen, Verantwortung übernehmen und etwas selbst herstellen.

So beschreibt ein 15-Jähriger den Chemieunterricht: „Dass wir selber auch experimentieren dürfen. […] Dass sie uns vertrauen, finde ich sehr gut, und das macht auch viel Spaß, selber etwas herzustellen.“ Eine Schülerin erinnert sich an Sachunterricht in der Grundschule, wo sie eine Glühbirne zum Leuchten bringen durfte, „ohne Steckdose – cool“. Andere erzählen begeistert vom Bau eigener LED-Lichter im Technikunterricht, bei dem sie Form, Material und Aufbau selbst bestimmen konnten. Solche Erzählungen ziehen sich durch alle Altersgruppen: Selbstwirksamkeit motiviert – und sie motiviert nachhaltig.

Doch solche Momente sind selten. Die Jugendlichen berichten, dass echte Experimente oft an fehlender Ausstattung, zu wenig Zeit oder organisatorischen Hürden scheitern. Informatikunterricht besteht vielerorts aus Arbeitsblättern und Lückentexten, Computer funktionieren nicht, WLAN bricht zusammen, und wer sich individuell vertiefen möchte, erhält dafür kaum Raum: Ein 16-jähriges Mädchen wollte statt einer Standardaufgabe die Programmiersprache C++ weiterlernen – durfte es aber nicht.

Die Studie fasst diese Bedingungen in vier Faktoren zusammen, die über MINT-Motivation entscheiden: Lehrkräfte, Zeit, Alltagsbezug und die Möglichkeit, tiefer einzutauchen. Gerade der Faktor Zeit zeigt, wie sehr der Schulalltag gegen das Lernen arbeitet. Fast 70 Prozent der Befragten sagen, dass sie zu viele Inhalte in zu kurzer Zeit lernen müssen. Viele fühlen sich gehetzt, ihnen fehlen Pausen, ihnen fehlt die Ruhe, eine Idee zu durchdringen. Wo aber Lernen fast ausschließlich aus Vortragen und Mitschreiben besteht, ohne Zeit für Verstehen, entstehen keine Flow-Momente – und ohne sie bleibt Motivation flach.

Dabei wären diese Flow-Momente erreichbar. 89 Prozent der Jugendlichen sagen, dass Aha-Erlebnisse sie motivieren. Viele beschreiben, wie die Zeit vergeht, wenn sie an einem mathematischen Problem sitzen. Die Diskrepanz zwischen Potenzial und Realität könnte kaum größer sein. Was Schule bieten müsste, damit Motivation entsteht, formulieren die Jugendlichen eindeutig: verständliche Erklärungen, geduldige Lehrkräfte, Experimente, Alltagsnähe, Zeit – und die Erfahrung, dass sie selbst etwas können.

Die Telekom-Stiftung zieht daraus den Schluss, dass Unterricht neu gedacht werden muss: fächerübergreifend, projektorientiert, mit realen Herausforderungen, in die sich Kinder und Jugendliche vertiefen können. Entscheidend bleibt jedoch der Faktor Mensch. Ohne Lehrkräfte, die Zeit, Unterstützung und gute Arbeitsbedingungen haben, wird sich der Trend kaum wenden lassen.

Am Ende bleibt das Statement einer 16-jährigen Gymnasiastin, die das Problem in seiner ganzen Schärfe zeigt: „Mathelehrer oder Mathelehrerinnen haben dann manchmal so den Drang dazu, ein bisschen, ich will nicht sagen überheblich zu sein, aber es gibt ab und zu so Situationen, wo der Umgang mit Schülern nicht so sehr gegeben ist. Manches muss man nicht so direkt formulieren. Mir wurde neulich von meinem Mathelehrer gesagt, ich wirke wie ein verwirrter Professor, als ich was erklärt habe. Das braucht man nicht hören, nachdem man gerade etwas vorgetragen hat. Das macht keine Motivation.“ News4teachers

Hier geht es zu allen Beiträgen des News4teachers-Themenmonats “Mission MINT”.  

“Physikunterricht muss Geschichten erzählen“:  Wie Gamification die MINT-Fächer beleben kann – ein Interview

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TaMu
41 Minuten zuvor

„Niemals Wasser in die Säure, sonst geschieht das Ungeheuere!“
Mein Chemielehrer vor ungefähr 45 Jahren und ich habe ihn heute noch im Ohr, wenn ich ausgepresste Orangen mit Sprudel mische.