Deutschkenntnisse: Pflichttest bei Vierjährigen – doch wer fördert im Bedarfsfall?

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MÜNCHEN. Um zu verhindern, dass Erstklässler zu schlecht Deutsch sprechen, werden in Bayern die Sprachkenntnisse der Kleinen nun schon im Kita-Alter lückenlos überprüft. Unklar ist allerdings, wer im Bedarfsfall die Förderung übernimmt.

Upps, das Wichtigste vergessen. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

«Bereit?» Die vierjährige Reyhan lächelt die Prüferin an, nickt und legt los: Auf einem Tablet tippt das Mädchen mit dem langen Pferdeschwanz jeweils das Bild an, das zu den vorgelesenen Wörtern und Sätzen passt. Danach spricht Reyhan Sätze nach, bevor sie frei formulierend auf Fragen antwortet. Die Kleine kommt zwar erst im September 2026 in die Schule, wird aber schon jetzt darauf getestet, wie gut sie Deutsch versteht und spricht – damit genug Zeit bleibt, um etwaige Lücken noch gezielt zu schließen.

Reyhan ist eines der ersten Kinder in Bayern, das auf diese Weise auf seine Deutschkenntnisse getestet wird. Doch es werden noch viele folgen: Von diesem Jahr an werden alle Kinder im Freistaat rund eineinhalb Jahre vor der Einschulung systematisch auf ihre sprachlichen Fähigkeiten überprüft. Mit dem flächendeckenden und lückenlosen «Sprachscreening» aller angehenden Vorschulkinder soll verhindert werden, dass ein Kind mit zu schlechten Deutschkenntnissen eingeschult wird und dadurch Nachteile erleidet.

Jedes Kind mit Defiziten soll Förderung bekommen

«Unser Ziel ist, dass wir jedes Kind, das einen Sprachförderbedarf hat, identifizieren und den Kindern die Förderung zukommen lassen, die sie brauchen, um gut in die Schulzeit zu starten», erläutert die Leiterin des Grundschulreferats im Kultusministerium, Maria Wilhelm. Hapert es sprachlich zu arg, wird das Kind zum Besuch einer Kita mit integriertem Vorkurs Deutsch verpflichtet, in dessen Rahmen es 240 Stunden Deutschunterricht erhält.

Schulleiterin Bettina Aufhauser hält dieses Vorgehen für sinnvoll. Sie leitet die Münchner Grundschule am Ravensburger Ring, von ihren 500 Schülerinnen und Schülern haben 80 Prozent einen Migrationshintergrund. «Sprache ist der Schlüssel zu allem im schulischen Kontext», betont sie. Das gehe schon mit einfachen Handlungsanweisungen los. «Zieh die Schuhe aus, nimm den gelben Stift» – wer so etwas nicht verstehe, hinke den anderen immer hinterher und könne den inhaltlichen Erklärungen der Lehrkraft erst recht nicht folgen.

Das sieht Reyhans Mutter genauso. Sie ist mit ihrem Mann vor sieben Jahren aus Griechenland eingewandert, in der Familie wird in erster Linie Türkisch, aber auch Griechisch und ein bulgarischer Dialekt gesprochen. Den Kindern hat sie zudem Bücher auf Deutsch vorgelesen, obwohl ihr die Sprache zuvor selbst fremd war. Aber Moukantes G. ist es sehr wichtig, dass Reyhan und ihr großer Bruder gut Deutsch lernen, wenn sie nun schon in Deutschland aufwachsen.

Unsicherheit bei den Eltern

Trotzdem hat sie das offizielle Schreiben mit der Aufforderung zum Test erstmal in Schrecken versetzt. «Ich habe ein bisschen Panik gekriegt, weil ich nicht wusste, was da gefragt wird, was da gemacht wird», erzählt Moukantes G. Im Brief habe nur etwas von dem neuen Gesetz gestanden und ein Verweis auf eine Homepage. Hätte sie von Anfang an gewusst, dass Reyhan nur auf die Bilder einer App drücken und einige Fragen beantworten müsse, wäre sie entspannter gewesen, schildert die angehende Kinderpflegerin nach dem Test.

Die Fachfrau vom Kultusministerium kann die Unsicherheiten verstehen, ist aber überzeugt, dass sie nicht lange anhalten werden. «Wir reden hier von fast 130.000 Kindern und 260.000 Mamas und Papas, die heuer zum ersten Mal mit diesem Verfahren in Berührung kommen. Ich bin ganz sicher, dass sich das in den nächsten Jahren einspielen wird», betont Wilhelm.

Rund ein Drittel der Kinder hat Förderbedarf

Nach den bisherigen Erfahrungen habe rund ein Drittel der Kinder einen Sprachförderbedarf, vor allem in den Städten gebe es verbreitet Defizite. Doch nicht alle angehenden Vorschulkinder müssen zum Test in ihre künftige Grundschule kommen. Wenn eine staatlich geförderte Kindertageseinrichtung – die schon bislang ein Auge auf die sprachlichen Kompetenzen des Nachwuchses haben muss – bestätigt, dass ein Kind in der deutschen Sprache fit ist, reicht die Abgabe einer entsprechenden Bescheinigung.

Auch Kinder, die eine schulvorbereitende Einrichtung oder eine heilpädagogische Tagesstätte besuchen, sind ausgenommen. Alle anderen werden seit dieser Woche peu à peu getestet. Damit sollen auch die Kinder herausgefiltert werden, die die Kitas bislang nicht ausreichend auf dem Radar hatten – und diejenigen, die gar nicht in einer Kita sind. Das sind in München häufig zugezogene Kinder, die schon einmal in einem Kindergarten waren, in der Landeshauptstadt aber keinen Platz bekamen, wie Aufhauser schildert.

Ob Reyhan wie von ihrer Mutter erhofft einen Platz im Deutschkurs bekommt, bleibt zunächst offen – die Familie erhält das Ergebnis wie alle anderen eine Woche nach dem Test. Prüferin Susanne Stanner, die an Reyhans künftiger Grundschule als Beratungslehrerin arbeitet, ist jedoch zuversichtlich, dass das aufgeweckte Mädchen so oder so gut mitkommen wird, auch wenn es an mancher Stelle sprachlich noch etwas hapert. «Sie ist kein Kind, wo alle Alarmglocken läuten.»

Das ist schön, hilft aber den Kindern mit festgestelltem Förderbedarf nicht. Denn das Problem liegt in den fehlenden personellen Kapazitäten – meint jedenfalls die GEW. Bereits im vergangenen Herbst hatte sie eine Stellungnahme zu dem neuen Verfahren abgegeben. Darin heißt es: «In der Realität scheitern viele Bemühungen einzig und allein an den personellen Rahmenbedingungen in den Kitas, aber auch in den Grundschulen. Zum Beispiel ist die Anzahl der Stellen für Beratungslehrer*innen deutlich zu gering. Es fehlt überall an qualifiziertem Personal. Der Kitaschlüssel ist angesichts der Diversität der Kinder schon lange nicht mehr ausreichend, um den ermittelten Förderbedarfen entsprechende
Förderangebote folgen zu lassen.»

Bemerkenswert: Das Kultusministerium hält umfassende Informationen für Eltern zur Sprachstandserhebung bereit – und erklärt darin zum Beispiel, warum diese verpflichtend sein müssen: «Sprache ist der Schlüssel für erfolgreiches schulisches Lernen und gesellschaftliche Teilhabe. Eine verpflichtende frühzeitige Sprachförderung soll einen guten Start in das Schulleben für alle Kinder ermöglichen.» Wer übernimmt aber dann diese frühzeitige Sprachförderung? Was passiert denn überhaupt, wenn ein Kind den Test nicht besteht? Dazu findet sich auf der Seite: kein Wort. News4teachers / mit Material der dpa

Verpflichtende Sprachtests vor der Einschulung schon ab 2025! Doch wie umsetzen?

 

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Geschafft_2022
8 Monate zuvor

Den Sprachkurs Deutsch 240 gibt es schon seit vielen Jahren! 120 Stunden werden von der Kita organisiert, 120 Stunden bekamen die Grundschulen!
Problematisch sind doch die Fälle, wenn Kinder keine Kitas besuchen und vor allem die, die im Laufe des Schuljahres ohne Deutschkenntnisse kommen und in Regelklassen eingeschult werden…