POTSDAM. Langeweile gehört zu den am weitesten verbreiteten Unterrichtsgefühlen – bis zu 50 Prozent der Lernzeit sind laut Forschung davon geprägt. Eine neue Studie der Universität Potsdam und der Universität Stuttgart, veröffentlicht im British Journal of Educational Psychology, zeigt nun: Nicht nur zu schwere Anforderungen frustrieren Lernende. Zu leichte Aufgaben sind ein ebenso gravierendes Problem – mit deutlichen negativen Folgen für Interesse, Aufmerksamkeit und Lernentwicklung.

„Langeweile wirkt wie ein Bremsklotz im Lernprozess“, sagt der Potsdamer Erziehungswissenschaftler Prof. Richard Göllner. Seine Kollegin Prof. Kristina Kögler von der Universität Stuttgart ergänzt: „Wer am Ende einer Unterrichtsphase gelangweilt ist, zeigt anschließend weniger Interesse und ein schlechteres Verständnis.“ Ihre Studie mit dem Titel „Control-value appraisals and the emergence of students’ boredom: An in situ perspective within lessons“ legt offen, wie schnell und wie tief Langeweile den Lernprozess ausbremsen kann – oft innerhalb derselben Stunde.
95 Schülerinnen und Schüler, acht Unterrichtsstunden, sechs Messpunkte pro Stunde
Die Forschenden begleiteten 95 Neuntklässler einer kaufmännischen Mittelschule über zwei Wochen hinweg. Acht Unterrichtsstunden wurden dabei besonders präzise beobachtet. Mehrmals pro Stunde beantworteten die Jugendlichen per Tablet-PC ein extrem kurzes digitales Mini-Fragebogen-Pop-up, das automatisch auf ihren Geräten erschien. Jede Abfrage umfasste drei einzelne Aussagen – „Ich fühle mich gelangweilt“, „Ich interessiere mich für den Stoff“ und „Ich verstehe den Stoff gerade“ – die die Schülerinnen und Schüler auf einer Skala von 0 bis 100 per Fingerwisch einschätzen sollten.
Der gesamte Vorgang dauerte 10 bis 20 Sekunden, unterbrach den Unterricht kaum und lieferte dennoch ein präzises Bild davon, wie sich Langeweile, Interesse und Verständnis in Echtzeit während der Stunde veränderten. Dieses sogenannte Experience Sampling lieferte über 4.400 Momentaufnahmen. Dadurch konnten die Forschenden sehr genau nachvollziehen, wie Interesse, Verständnis und Langeweile sich innerhalb einer Stunde verändern.
Wenn Aufgaben zu leicht sind, steigt die Langeweile
Die Studie bestätigt: Wer den Stoff dauerhaft sehr gut versteht, läuft genauso Gefahr, sich zu langweilen wie jemand, der kaum hinterherkommt. Die Forschenden fanden eine Art U-Kurve: Ganz unten auf beiden Seiten liegt die Langeweile. Allerdings: Unterforderung ist im Klassenzimmer häufiger – und gefährlicher – als Überforderung. „Das zentrale Risiko im Klassenzimmer ist nicht zu viel, sondern zu wenig Herausforderung und Anspruch“, heißt es. Studienautor Göllner formuliert das so: „Lernende müssen zunächst befähigt werden, Inhalte zu verstehen. Im konkreten Unterricht müssen sie anschließend kontinuierlich gefordert werden.“
Neben dem Verständnis erwies sich eine Variable als besonders entscheidend: Interesse.
Die Studie zeigt, dass Schülerinnen und Schüler, die sich für ein Thema interessieren, deutlich seltener Langeweile erleben – unabhängig davon, ob der Stoff eher leicht oder eher schwierig ist. Für den Unterricht bedeutet das: Themenbezüge, Beispiele aus der Lebenswelt der Jugendlichen und motivierende Einstiege sind mehr als „nice to have“ – sie können Langeweile verhindern, bevor sie entsteht.
Langeweile zieht weitere Folgen nach sich – bis in die nächste Stunde
Problematisch sind auch sogenannte Rückkopplungseffekte: Ist ein Schüler oder eine Schülerin gegen Ende einer Unterrichtsphase gelangweilt, sinken in der nächsten Phase sowohl das Interesse als auch das Verständnis. Dieser Mechanismus lässt sich im Unterricht oft beobachten: Eine Klasse driftet ab, die Aufmerksamkeit bricht ein – und die nächste Erklärung verpufft. Die neue Studie zeigt: Dafür gibt es handfeste psychologische Gründe.
Langeweile ist kein bloßes Stimmungstief, sondern ein Signal dafür, dass etwas im Lernprozess aus dem Gleichgewicht geraten ist. Besonders heikel ist das gegen Ende einer Unterrichtsstunde: Genau dann, wenn Inhalte zusammengefasst werden oder der Übergang zur nächsten Aufgabe erfolgt, wirkt Langeweile wie ein Ausstieg. Die Forschenden fanden, dass gelangweilte Schülerinnen und Schüler in der nächsten Unterrichtsstunde weniger Interesse zeigen und weniger verstehen – die Autor*innen schreiben von einem „Abwärtssog der Unaufmerksamkeit“.
Was bedeutet das für die Praxis? Die Befunde lassen sich auf drei einfache, aber wichtige Punkte herunterbrechen:
- Unterforderung ist gefährlich – und häufiger als gedacht. Wer schon längst verstanden hat, was zu tun ist, schaltet innerlich ab. Das ist nicht Faulheit, sondern ein typisches Muster der menschlichen Aufmerksamkeit.
- Herausfordernder Unterricht ist notwendig. „Ein herausfordernder Unterricht sei daher keine pädagogische Option, sondern eine Grundbedingung für wirksames Lernen“, heißt es. Aufgaben müssen anspruchsvoll bleiben – aber nicht überfordernd sein.
- Interesse kann Langeweile abfedern. Selbst wenn eine Aufgabe schwierig ist: Wer sich für ein Thema interessiert, bleibt eher dran. Unterricht, der durch Lebensweltbezug motiviert, schützt nachweislich vor Langeweile. Und Langeweile ist kein harmloses Nebenprodukt des Unterrichts, sondern ein echter Lernkiller. News4teachers









Deswegen werden leistungsheterogene Schulformen und Klassen also gebildet …
Ich erlebe ganz oft, dass Schüler meinen, das Problem verstanden zu haben und deswegen gedanklich aussteigen. Den Transfer bekommen sie dann gar nicht mehr mit.
Auch schwierig: Schüler finden das Problem ganz interessant, aber die schriftliche Bearbeitung ist ihnen lästig.