Kruzifix: Schule ignoriert höchstrichterliches Urteil – mit Segen des Kultusministeriums

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MÜNCHEN. Zwei Schülerinnen haben vor dem höchsten Verwaltungsgericht Bayerns Recht bekommen – und dennoch bleibt am staatlichen Gymnasium in Wolnzach alles beim Alten. Ein 1,50 Meter hohes Kruzifix mit einem gekreuzigten Jesus hängt weiterhin einschüchternd über den Köpfen im Eingangsbereich der Schule, obwohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof klar entschieden hat, dass dieses Kreuz die Religionsfreiheit der klagenden Schülerinnen verletzt hat. Das Urteil ist rechtskräftig. Konsequenzen hat es – keine.

„Dann hängt das halt über einen anderen Eingang.“ (Symbolfoto.) Foto: Shutterstock

Der Fall, über den aktuell der Spiegel berichtet, zeigt exemplarisch, wie ein höchstrichterliches Urteil ins Leere laufen kann. Zwei ehemalige Schülerinnen des Gymnasiums hatten gegen das große Kruzifix im Foyer ihrer Schule geklagt – mit Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof stellte in seinem Urteil vom 8. Juli 2025 fest, dass die Schule verpflichtet gewesen wäre, das Kreuz zu entfernen. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde nicht eingelegt, das Urteil ist damit endgültig (News4teachers berichtete).

In der Begründung formulierten die Richter ungewöhnlich deutlich: Die Konfrontation mit dem Kruzifix stelle einen Eingriff in die verfassungsrechtlich verbürgte negative Glaubensfreiheit dar. Wörtlich heißt es: „Die Klägerinnen waren wegen der Schulpflicht zwangsweise und immer wiederkehrend sowie im Hinblick auf dessen Positionierung ohne (zumutbare) Ausweichmöglichkeit mit dem Kruzifix konfrontiert.“ Das Kreuz sei „groß dimensioniert“, an einer „sehr exponierten Stelle“ angebracht gewesen und habe sich durch „eine figurenhafte Darstellung des Leichnams Jesu“ ausgezeichnet.

Das Gericht wies damit zentrale Argumente von Schulleitung und Kultusministerium zurück. Ein Kruzifix mit Korpus, zumal in dieser Größe, sei kein bloßes Symbol abendländischer Kultur. Es könne eine missionarische Wirkung entfalten, bevorzuge den christlichen Glauben und verletze damit das Gebot staatlicher Neutralität.

„Das Kreuz ist nicht nur ein religiöses Symbol, sondern steht auch für die Achtung von Menschenwürde, Toleranz und Nächstenliebe“

Und dennoch: Vor Ort ändert sich nichts. Die Politik stuft das Urteil als Einzelfall ein. Sowohl die Staatskanzlei als auch das Kultusministerium betonen, aus der Entscheidung ergebe sich kein allgemeiner Handlungsbedarf. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler) erklärte zwar, man wolle sich „intensiv mit der Begründung des Urteils auseinandersetzen“, fügte aber zugleich hinzu: „Das Kreuz ist nicht nur ein religiöses Symbol, sondern steht auch für die Achtung von Menschenwürde, Toleranz und Nächstenliebe – Werte, die unser Zusammenleben und unseren Bildungsauftrag maßgeblich prägen.“

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) kündigte an, das Urteil nicht akzeptieren zu wollen. „Allen denjenigen, die sagen, man soll die Kreuze abhängen, denen sagen wir: Wir wollen diese Kreuze aufhängen“, erklärte er. Und weiter: Wenn ein Kreuz über einem Eingang verboten sei, „dann hängt das halt über einen anderen Eingang“. Dobrindt erklärte, es gehe „schlichtweg um das Grundverständnis unseres Zusammenlebens“. Das Kreuz drücke „mehr aus als den christlichen Glauben“, nämlich „eine Wertehaltung dieser Gesellschaft“. Respekt vor der Judikative gehört zu dieser „Wertehaltung“ offensichtlich nicht.

Dass das Urteil konkrete Folgen haben könnte, wird damit von Regierenden ausdrücklich verneint – auch mit Verweis darauf, dass die beiden Klägerinnen die Schule ja bereits verlassen haben. Am Gymnasium selbst hängt das Kreuz weiterhin. Auf Anfrage des Spiegel teilt der Schulleiter mit: „Das Kreuz hängt weiterhin, wo es immer hing, und zwar so lange, bis ich von höherer Stelle aufgefordert werde, es abzunehmen. Mehr gibt es hierzu nicht zu sagen.“ News4teachers 

Dobrindt rät Schule, das Kruzifix-Urteil zu ignorieren (“Hängt es woanders hin”)

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Gelbe Tulpe
3 Stunden zuvor

Die Feinde von Aufklärung und Wissenschaft müssen sich einem immer aufdrängen. Sehr unangenehm so was.

ed840
2 Stunden zuvor

“Die Politik stuft das Urteil als Einzelfall ein. “

Wenn man die Urteilsbegründung liest, scheint das m.M. durchaus nachvollziehbar.

Karl-Heinz
1 Stunde zuvor

Menschenwürde, Toleranz, Nächstenliebe. Und das in Kombination mit den christlichen Kirchen. Genau mein Humor…

Und mal so nebenbei: wenn man sich hier doch auf die Religionsfreiheit beruft, wäre es mal interessant zu erfahren, wie man an dieser Schule zu Kopftüchern steht. Die fallen dann doch ich unter die Religionsfreiheit, oder? ODER?

dickebank
1 Stunde zuvor
Antwortet  Karl-Heinz

Also die Haltung der Schule ist äußerst positiv – solange das Kopftücher nicht Hidschab genannt wird.

potschemutschka
1 Stunde zuvor

“Respekt vor der Judikative gehört zu dieser „Wertehaltung“ offensichtlich nicht.”
Das ist doch nichts Neues und nicht nur bei der CSU.
Beispiel:
https://www.ruhr24.de/nrw/armin-laschet-nrw-hambacher-forst-polizei-kohle-ausstieg-klima-schuetzer-deutschland-90974852.html
Hier wurden Tatsachen geschaffen, ohne eine Gerichtsentscheidung abzuwarten. Nennt man so etwas nicht “Rechtsbeugung”?