„Sozialer Sprengstoff“: Hamburger Schulleiter schreiben Brandbrief

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HAMBURG. Die Leiter von 14 Schulen in den Hamburger Problem-Stadtteilen Wilhelmsburg und Veddel haben in einem Brandbrief an Schulsenator Ties Rabe (SPD) vor einem «Deichbruch» an ihren Bildungseinrichtungen gewarnt. In dem Schreiben, beklagen sie die schlechten Leistungen ihrer Schüler. Die Lehrer seien überlastet.

Mehr als 30 Nationalitäten sind an der Schule Slomanstieg vertreten, nur 13 Prozent der Schüler sprechen Deutsch als ihre Muttersprache. Foto: flamenc / Flickr (CC BY-SA 3.0)
Mehr als 30 Nationalitäten sind an der Schule Slomanstieg vertreten, nur 13 Prozent der Schüler sprechen Deutsch als ihre Muttersprache. Foto: flamenc / Flickr (CC BY-SA 3.0)

Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger, schaltete sich in die Debatte ein. Der «Bild»-Zeitung sagte Meidinger: «Es wundert mich, dass der Hilferuf nicht schon früher gekommen ist. Die Situation an vielen städtischen Schulen ist nämlich katastrophal.» Er forderte unter anderem verpflichtende Integrationskurse für Migrantenkinder.

Rund 40 Prozent der Schüler in den Klassen 5 bis 10 hätten aufgrund ihrer Defizite «kaum Chancen, in den regulären Arbeitsmarkt zu kommen», heißt es in dem Schreiben der Hamburger Schulleiter. Für die betroffenen Stadtteile sei dies «sozialer Sprengstoff». Zu den Forderungen der Schulleiter zählen mehr frühkindliche Bildung, ein stärkerer Einsatz von Sozialpädagogen und mehr Ressourcen für Schulen in sozial schwachen Gebieten.

Zwischen 80 und 90 Prozent der Elbinsel-Schüler haben einen Migrationshintergrund, ein Großteil stamme aus bildungsfernen und sozial schwachen Familien, schildern die Schulleiter. Viele der Kinder zeigten deshalb nur «geringe Regelakzeptanz», beklagte Bodo Giese, Leiter der Nelson-Mandela-Stadtteilsschule in Wilhelmsburg. Er ist einer der Unterzeichner des Briefs. So seien manche schon damit überfordert, «regelmäßig irgendwo morgens zu erscheinen».

Die Schule müsse immer mehr Erziehungsaufgaben übernehmen, bestätigte Kay Stöck, Leiter der Stadtteilschule Stübenhofer Weg. Darauf seien viele Lehrer nicht vorbereitet: «Die Leute sind ausgebildet worden für einen Arbeitsmarkt, den sie gar nicht kennen.» Stöck plädierte deshalb für eine engere Zusammenarbeit von Lehrern und Sozialpädagogen und eine «Präsenzpflicht» der Lehrer in den Schulen auch am Nachmittag. Von der Politik forderte er, mehr Flexibilität im Lehrplan zuzulassen. Oft ließen sich lernschwache Schüler in praktischen Fächern wie Sport, Handwerk und Kochen besser motivieren als im klassischen Unterricht.

Die Grüne Bürgerschaftsfraktion schloss sich in einer Pressemitteilung der Kritik an. «Wir brauchen ein breit angelegtes Bildungs- und Integrationskonzept – nicht nur für die Elbinsel.» Der Sprecher der Hamburger Schulbehörde war für eine Stellungnahme zunächst nicht zu erreichen. Nach Informationen des «Hamburger Abendblatts» soll am 17. Dezember ein erstes Gespräch zwischen den 14 Schulleitern und dem Leiter des Amtes für Bildung stattfinden. dpa
(12.12.2012, aktualisiert am 13.12.2012)

Zum Bericht: „New York – Vorbild für deutsche Brennpunkt-Schulen?“

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