Neue Runde im NRW-Edel-Rechnerstreit

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DÜSSELDORF. Vom nächsten Schuljahr sollen in Nordrhein-Westfalen grafikfähige Taschenrechner in der Oberstufe zur Pflicht werden. Indes streiten Experten über den Sinn der 70 bis 100 Euro teuren Geräte für den Unterricht.

Trotz Kritik von Eltern und Experten hält Nordrhein-Westfalens Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) an der Einführung der grafikfähigen Taschenrechner (GTR) fest. Das geht aus einer Antwort auf eine FDP-Anfrage hervor.

Rechnen mit dem Taschenrechner - Von 2003 bis 2007 testete das Ministerium in 30 Pilotschulen den Einsatz grafikfähiger Rechner. Ab dem kommenden Schuljahr sollen sie zur Pflicht werden. Foto: GG-Berlin/pixelio.de
Von 2003 bis 2007 testete das Ministerium in 30 Pilotschulen den Einsatz grafikfähiger Rechner. Ab dem kommenden Schuljahr sollen sie zur Pflicht werden. Foto: GG-Berlin/pixelio.de

Zum 1. August werde die Nutzung der Rechner für die gymnasiale Oberstufe und das berufliche Gymnasium Pflicht. In den vergangenen Monaten hat es von Eltern viele Proteste gegeben, weil sie die 70 bis 100 Euro teuren Geräte selbst bezahlen müssen. Viele Pädagogen befürchten zudem, dass die Schüler das Rechnen verlernen.

Auf Antrag der Piraten-Fraktion werden sich am Mittwoch im Landtag Sachverständige in einer Anhörung des Schulausschusses mit dem Thema beschäftigen. Die Piraten fordern, kostenlose Mathematik-Software als Alternative zu «Edeltaschenrechnern» zu erproben.

Die schriftlichen Stellungnahmen der Sachverständigen bilden ein breites Meinungsspektrum ab. Mehrere Lehrer und die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft monieren aber, dass der GTR bereits technisch überholt und an Hochschulen nicht zu gebrauchen sei.

Kosten und Nutzen stünden bei der erzwungenen Anschaffung der Rechner in keinem Verhältnis, kritisierte Oberstudienrat Marc Schefels vom Reinhard-und-Max-Mannesmann-Gymnasium in Duisburg. Nahezu alle Funktionen des GTR würden bereits durch andere im Unterricht eingesetzte Rechenprogramme abgedeckt. Darüber hinaus gebe es kostengünstige APPs für Smartphones und Tablet-Computer, die für wenige Euro zu haben seien und problemlos die Visualisierungsfunktion des GTR übernehmen könnten.

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Vor allem sei zu befürchten, dass das Verständnis für mathematische Grundlagen verloren gehe, wenn alle Berechnungen von der Maschine durchgeführt würden, schreibt der Mathematiklehrer. «Schon heute werden einfache Rechenaufgaben nur noch mit dem Taschenrechner durchgeführt und dessen Ergebnis wird blind vertraut.» So werde kein Nachwuchs für technische, mathematische oder naturwissenschaftliche Fächer qualifiziert. Zudem sei die finanzielle Belastung für viele Familien unzumutbar. «Gerade in strukturschwachen Regionen wie Duisburg wird es zu vielen Härtefällen kommen.»

Kritik gibt es aber auch am Antrag der Piraten, aus der «Brückentechnologie Taschenrechner» auszusteigen und Mathematiksoftware im Unterricht oder auch bei Abiturklausuren auf Computern oder Tablets zu erproben. Tatsächlich sei geeignete kostenlose Mathematik-Software für Tablets nur eingeschränkt verfügbar, hält der Essener Gymnasiallehrer und Taschenrechnertester Marco Haase dagegen.

Mathematiklehrer Carl Andersson aus Bergisch-Gladbach warnt vor Manipulationsmöglichkeiten. Es sei naiv zu glauben, Lehrer könnten Programmierungen der Schüler vor einer Klausur mit einem Reset löschen. Dazu gebe es zahlreiche Hinweise im Internet, wie das umgangen werden könnte.

«Leider sind wir mit der unschönen Realität konfrontiert, dass sehr häufig gezielt und skrupellos gepfuscht wird», warnt der promovierte Experte auf dem Gebiet elektronischer Anwendungen im Mathe- und Physikunterricht. «Ob Laptop oder Tablet – das Problem bleibt, dass ein hinterleuchteter Bildschirm leichter abgelesen wird als ein Blatt Papier.» Mehrere Düsseldorfer Gymnasiallehrer beurteilen Kontrollmöglichkeiten beim Einsatz von Tablets hingegen positiver. (dpa)

zum Bericht: Streit um Edel-Rechner für NRW-Mathe-Unterricht

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