Trotz Odenwald-Skandal: Internate trotzen Schülerschwund

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SALEM/DÜSSELDORF. Leidet nach der Affäre um die Odenwaldschule auch der Ruf anderer Internate? An einigen Einrichtungen gehen die Schülerzahlen dramatisch zurück. Doch viele Eltern sehen immer noch gute Argumente, ihre Kinder auf Internate zu schicken.

Ob Hanni und Nanni oder die Geschichten um den Zaubererjungen Harry Potter: In Büchern und Filmen werden Internate oft mit einer abenteuerlichen Jugend in Verbindung gebracht. Jetzt steht erneut die Odenwaldschule in der Kritik, ein Internat mit einigen berühmten Absolventen. Nachdem erst der lange zurückliegende Missbrauchsskandal ans Licht kam, geht es nun um einen Lehrer, der in Besitz von Kinderpornografie gewesen sein soll. Leidet darunter der Mythos vom romantischen Internat? Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte dafür – einerseits. Andererseits haben viele Eltern nach wie vor ihre Gründe, Kinder auf Internate zu schicken.

«Verglichen mit den Zahlen vor 15 bis 20 Jahren sind manchen deutschen Internaten bis zu 50 Prozent weggebrochen», sagt Michael Büchler, Ehrenpräsident des Verbands Deutscher Privatschulverbände (VDP). «Die Einführung von Ganztagsschulen und die Missbrauchsvorwürfe haben zu einer Erosion geführt», meint er. Einige Institutionen wie Schloss Gaienhofen am Bodensee schlossen ihren Internatsbetrieb ganz, andere schrumpften. Büchler selbst leitet das traditionsreiche Pädagogium Baden-Baden. Die seit 1887 familiengeführte Schule hat heute 130 Internatsplätze. «15 Betten stehen im Moment leer», so Büchler.

In den Augen vieler Eltern überzeugen Internate aber immer noch mit guten Argumenten. Wer seinen Nachwuchs für rund 1700 Euro monatlich nach Baden-Baden schicke, lege Wert auf «Tradition, die Netzwerke der Schule, den Blick über den Tellerrand, Mobilität, die Erziehung zur Verantwortung, das soziale Lernen», so Büchler. Viele Eltern seien beruflich sehr eingespannt, etwa in der Hotellerie oder Gastronomie. «Auch wenn im Elternhaus etwas schiefgeht, kommen viele zu uns, um den Kindern trotzdem familiäre Strukturen zu bieten.» Manche Kinder würden vom Jugendamt ans Pädagogium vermittelt.

So stellen sich viele Eltern offenbar eine Privatschule vor: Park des Eliteinternats Schloss Salem. Foto: Wikimedia Commons
Das wohl berühmteste Internat Deutschlands: Park von Schloss Salem. Foto: Wikimedia Commons

Nach Auskunft des VDP gibt es aktuell etwa 250 private Internate in Deutschland mit meist zwischen 70 und 150 Schülern. Viele Häuser versuchten, den Schülerschwund mit spezialisierten Angeboten auszugleichen, sagt Petra Stieb von der VDP-Internatsberatung in Düsseldorf. «Spezielle Kinder brauchen spezielle Angebote.» Dazu gehörten etwa eine ADHS-Betreuung gegen das Zappelphilipp-Syndrom oder eine intensivierte Berufsberatung. Auch Kinder aus Russland, China, Süd- und Mittelamerika würden verstärkt aufgenommen, so Stieb.

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Größtes Internat in Deutschland ist mit derzeit rund 630 Schülern Salem am Bodensee. Bei monatlichen Kosten von etwa 2800 Euro ist die klassische Klientel nach Angaben von Aufnahmeleiterin Dagmar Berger «der obere Mittelstand». Wichtig sei den Eltern die ganzheitliche Erziehung mit Mentoren, die Vereinbarkeit des Unterrichts mit außerschulischen Aktivitäten wie Musik und Sport sowie internationale Angebote.

«Manche schicken ihre Kinder zu uns, weil sie die Gemeinschaft schätzen, etwa für Einzelkinder, manche aus Tradition, weil schon der Großvater bei uns war, andere aus Sicherheitsgründen, das sind vielleicht im Ausland lebende Familien mit deutschem Hintergrund, weil sie an ihrem Wohnort kaum etwas alleine machen könnten», so Berger. «Wir haben auch viele Eltern, die im gehobenen Management internationaler Firmen tätig sind, selbst häufig umziehen müssen und für ihre Kinder eine gewisse Stabilität wollen.» Schulversager nehme Salem dagegen nicht auf, betont Berger.

Dem widerspricht Ulrich Lange, ehemaliger Internatsleiter im hessischen Grünberg und heute vehementer Kritiker sogenannter Eliteinternate. «Diese nehmen jeden auf, der das sehr hohe Schulgeld bezahlen kann», betont er. «Damit finanzieren sie das Stipendienprogramm, um Musterschüler aufzunehmen, die dann ins Schaufenster gestellt werden. Um den Schwund aufzufangen, haben viele auch mit chinesischen und russischen Schülern aufgerüstet.»

In Salem kommen inzwischen 15 Prozent der Schüler aus dem Ausland, wie Karsten Schlüter vom International Office angibt: «Die größte Gruppe sind Russen, fast alle davon aus Moskau und Umgebung. Sie schätzen die Sicherheit hier in Deutschland, die saubere Umwelt und das gute Schulsystem.» Chinesische Kinder stellten den zweitgrößten Anteil: «Enormer Fleiß und Karrieredenken lassen vielen Eltern in Asien wenig Zeit für ihre Kinder, hinzu kommt eine hohe Bildungsaffinität.» Anette Le Riche/dpa

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xxx
9 Jahre zuvor

Obere Mittelschicht finde ich gut. Der größte Teil der oberen Mittelschicht wird mit weniger als 2800€ netto im Monat nach Hause kommen …

Ulrich Lange
9 Jahre zuvor

@XXX

Wer zur oberen Mittelschicht gehört, ist eine Definitionsfrage. Ganz sicher sind aber nicht diejenigen gemeint, die mit weniger als 2.800 Euro netto monatlich nach Hause gehen.

Focus online hat eine ganz brauchbare Einteilung der Einkommensschichten veröffentlicht (http://www.focus.de/finanzen/news/tid-19217/mittelschicht-geringverdiener-der_aid_532847.html). Demnach wären 2,7% den „Reichen“ zuzuordenen (ab 7.500 Euro netto monatlich), 18,3% den Beziehern von monatlichen Nettoeinkünften zwischen 4000 und 7500 Euro. Letztere würde ich am ehesten mit dem Begriff „obere Mittelschicht“ assoziieren.

Da das genannte Nettoeinkommen der oberen Mittelschicht sich auf einen vierköpfigen Standardhaushalt (Vater, Mutter, zwei Kinder) bezieht, sind allerdings auch Familien aus dieser Einkommensschicht nur selten in der Lage, hiervon 2.800 Euro für Salem oder vergleichbare Nobelinstitute abzuzweigen, insbesondere wenn man in Regionen wie München, Hamburg oder Berlin lebt, ein Kind bereits studiert, Geschiedenenunterhalt zu leisten oder eine teure Immobilie abzubezahlen ist. Daher bieten Salem & Co. Kostenermäßigungen in jeder Preislage an. Es werden im Übrigen auch Kinder und Jugendliche aufgenommen, für die öffentliche Kostenträger zahlen (siehe http://internate-empfehlungen.npage.de/internate-fuer-problemkinder.html).

Der Anteil der sog. „Jugendamtskinder“ in teuren Internatsschulen wird gern verschwiegen. Da öffentlichen Kostenträgern aber höhere Sätze berechnet werden als den Selbstzahlern und man die Ausfälle durch Kostenermäßigungen und Stipendien ja irgendwie ausgleichen muss, sind solche „Problemjugendlichen“ gar nicht so unwillkommen. Auch ansonsten wird bei der Schüleraufnahme nach dem Motto verfahren: „Geld stinkt nicht“. Oligarchenkinder aus Russland, die gleich mit eigenen Leibwächtern anreisen, der Nachwuchs ausbeuterischer Parteikader aus China oder die Töchter und Söhne südamerikanischer Drogenbarone sind die neuen Reichen, von denen sog. „Eliteinternate“ unter anderem heute leben.

Die „Stipendiaten“, mit denen Salem & Co. ihr Image aufzubessern versuchen, sind übrigens nur in Ausnahmefällen hochleistende Musterkinder. Auch wenn die Schulnoten stimmen, sind es oft irgendwelche Webfehler in der Persönlichkeitsstruktur, die solche Bewerber in die Internate treiben. Wer ein hochleistendes Vorzeigeexemplar in ein vermeintliches Eliteinternat schickt, weil er sich hier bessere Karrierechancen erhofft, kann üble Überraschungen erleben. Siehe http://ulange.beepworld.de/files/internatedrogenbiebersteinwiekannichandereelternwarnen.pdf.

Ulrich Lange
9 Jahre zuvor

>> Was ist News4teachers?

News4teachers ist kein Blog, in dem Meinung und Meldung untrennbar ineinander fließen. News4teachers ist auch keine offene Plattform, auf der Pressemitteilungen von Interessengruppen und Unternehmen gegen Geld veröffentlicht werden, nicht selten als unabhängige Artikel getarnt. News4teachers ist eine Nachrichtenseite, die sich mit seriösen Berichten an pädagogische Profis richtet. Die Redaktion sichtet täglich die Meldungen aus Politik, Forschung und Gesellschaft. Auf die Seite gelangt alles, was für die Bildung wichtig ist. News4teachers bietet also einen aktuellen Überblick über die relevanten Informationen für Lehrerinnen und Lehrer. Und zwar: unabhängig und überparteilich. <> In den Augen vieler Eltern überzeugen Internate aber immer noch mit guten Argumenten. Wer seinen Nachwuchs für rund 1700 Euro monatlich nach Baden-Baden schicke, lege Wert auf «Tradition, die Netzwerke der Schule, den Blick über den Tellerrand, Mobilität, die Erziehung zur Verantwortung, das soziale Lernen», so Büchler.<> Viele Häuser versuchten, den Schülerschwund mit spezialisierten Angeboten auszugleichen, sagt Petra Stieb von der VDP-Internatsberatung in Düsseldorf. «Spezielle Kinder brauchen spezielle Angebote.» Dazu gehörten etwa eine ADHS-Betreuung gegen das Zappelphilipp-Syndrom oder eine intensivierte Berufsberatung. Auch Kinder aus Russland, China, Süd- und Mittelamerika würden verstärkt aufgenommen, so Stieb.<> Wichtig sei den Eltern die ganzheitliche Erziehung mit Mentoren, die Vereinbarkeit des Unterrichts mit außerschulischen Aktivitäten wie Musik und Sport sowie internationale Angebote.<> Manche schicken ihre Kinder zu uns, weil sie die Gemeinschaft schätzen, etwa für Einzelkinder, manche aus Tradition, weil schon der Großvater bei uns war, andere aus Sicherheitsgründen…<> Bei monatlichen Kosten von etwa 2800 Euro ist die klassische Klientel nach Angaben von Aufnahmeleiterin Dagmar Berger «der obere Mittelstand». Wichtig sei den Eltern die ganzheitliche Erziehung mit Mentoren, die Vereinbarkeit des Unterrichts mit außerschulischen Aktivitäten wie Musik und Sport sowie internationale Angebote.

>> Schulversager nehme Salem dagegen nicht auf, betont Berger.<<

usw. wurden von Ihnen nicht überprüft. Sie sind genau das, was Sie angeblich nicht veröffentlichen: "Pressemitteilungen von Interessengruppen und Unternehmen" … "nicht selten als unabhängige Artikel getarnt". Woher wissen Sie denn, dass die angeblichen Nachfragemotive, die Eltern hier von der Anbieterseite in den Mund gelegt werden, tatsächlich zutreffen. Gegenrecherche? Ergebnisse wissenschaftlicher Untersuchungen (z.B. http://zfi-archiv.beepworld.de/files/michaelleyundherbertfitzek.pdf)? Fehlanzeige!

Da nützt dann auch eine einzelne "kritische (Alibi-)Stimme" als Ausweis vermeintlicher journalistischer Neutralität nichts mehr. Es ist genau diese Art des pseudoneutralen Zitate-Journalismus ohne kritische Recherche, die dafür gesorgt hat, dass der inflationäre sexuelle Missbrauch an vielen sog. "Eliteinternaten" (es ging keineswegs nur um die Odenwaldschule, die heute zum Sündenbock gemacht wird!) über Jahrzehnte verschwiegen werden konnte.

Na, wird auch dieser Leserkommentar nach "Überprüfung" wieder gelöscht?