Intelligent, aber anders: Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen – ein Gastbeitrag

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DÜSSELDORF. Machen Computer dumm? Den Eindruck muss man mitunter bekommen, wenn der Hirnforscher Manfred Spitzer publikumswirksam in seinem gleichnamigen Bestseller die „Digitale Demenz“ ausruft, und Josef Kraus, der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, vor dem Einsatz von Tablets oder Laptops in der Grundschule warnt. Jetzt regt sich Widerspruch: In seinem vergangene Woche erschienenen Buch „Digitale Hysterie“ wendet sich der Psychologe und Psychothearpeut Georg Milzner gegen Untergangsszenarien und Kulturpessismismus. „Intelligent, aber anders“, so ist der folgende Text überschrieben, der dem Buch entnommen ist.

Computer verändern die Lebenswelt von Kindern, keine Frage. Aber ist das schlecht? Foto: Lars Plougmann / flickr (CC BY-SA 2.0)
Computer verändern die Lebenswelt von Kindern, keine Frage. Aber ist das schlecht? Foto:
Lars Plougmann / flickr (CC BY-SA 2.0)

Schon die Fragestellung, ob der Computer uns verdummen lässt, ist in sprachlicher Hinsicht heikel. Denn wenn wir herausfinden wollen, ob und inwieweit wir durch den Computer verdummen, dann brauchen wir eine nähere Bestimmung dessen, was denn da eigentlich verdummen soll. Anders gesagt: Es muss prinzipiell klarer werden, worin die zu erwartenden Einbußen bestehen. Und wenn wir die Frage klug angehen, dann können wir sogar herausfinden, ob nicht auch manche Bereiche der Intelligenz Zuwachsraten verzeichnen.

Moment mal: manche Bereiche der Intelligenz? Das bedeutet doch wohl, dass es nicht nur die eine Intelligenz gibt, oder? Aber wie muss man sich das vorstellen? Vielleicht ein bisschen wie einen Baukasten oder besser noch einen Werkzeugkasten. Dieser Werkzeugkasten ist die persönliche Ausstattung in Sachen Intelligenz. Wenn Sie einmal in einen Intelligenztest hineingeschaut oder auch schon mal einen gemacht haben, dann sind Sie vielleicht darauf gestoßen, dass da ganz unterschiedliche Aufgaben zu lösen sind. Man muss zum Beispiel Wort- oder Zahlenreihen vervollständigen, sich Begriffe merken oder geometrische Muster zuordnen. Je nach Test unterscheiden sich die Aufgaben ein wenig, aber im Großen und Ganzen liegt der Schwerpunkt meist bei logischem Denken und sprachlicher Kompetenz.

Das ist ein bisschen zu wenig, meint der Intelligenzforscher Howard Gardner. Ein aus wenigen Intelligenzbereichen zusammengesetzter IQ ist seiner Meinung nach völlig unzureichend. Vielmehr behauptet Gardner, dass wir über ganz verschiedene Formen der Intelligenz verfügen, die sehr unterschiedlich verteilt sind. Anders gesagt: Die Intelligenz gibt es gar nicht, und das heißt im Umkehrschluss, dass es auch die Verdummung nicht geben kann. Wenn es aber die Verdummung nicht geben kann, dann können Computer und Computerspiele auch ganz allgemein keine Verdummung bewirken. Logisch.

Die Antwort auf die Frage, ob Computer uns dümmer machen, lautet also: Nein, keineswegs. Aber sie verändern uns. Dümmer kann man das nur nennen, wenn man bestimmte Intelligenzfaktoren für wesentlicher hält als andere. Das aber entspricht absolut nicht dem Stand der Intelligenzforschung. Anscheinend haben wir es also im Gefolge der Digitalisierung mit einer Umverteilung der Intelligenz zu tun. Die Intelligenz unserer Kinder wird anders ausgeformt sein, als uns das vertraut ist. Das muss kein Fehler sein. Denn ihre Welt wird gleichfalls anders sein als unsere. Wenn also Lehrer und Erzieher gegenwärtig fürchten, dass Kinder weniger intelligent werden, dann fürchten sie in erster Linie den Verlust bestimmter Kompetenzen. In Gesprächen mit Lehrern oder Eltern gewinnt man dabei rasch den Eindruck, dass sie in allererster Linie unsere wesentlichen Kulturtechniken bedroht sehen, also das Lesen, das Schreiben und das Rechnen.

Ein geläufiges Argument besagt, Kinder wie Erwachsene würden am Computer das Lesen verlernen. Aber stimmt das denn auch? Keineswegs. Die finstere Erwartung, dass der Computer uns vom Lesen entfernen und damit die Kultur sabotieren werde, stammt im Übrigen aus den 1980er-Jahren, also aus jener Zeit, in der die Computerisierung der Gesellschaft begann. Schon nach wenigen Jahren befand der Schriftsteller und Zeichenforscher Umberto Eco, der Computer habe das Lesen keineswegs aus der Welt gebracht. Denn nun sitze zwar alle Welt vor dem Bildschirm. Aber was täten die Leute dort? Sie lesen.

Ganz offenbar ist der Einwand, dass der Computer uns zu Analphabeten macht, so nicht ganz richtig. Was allerdings das Schreiben und auch das Rechnen angeht, so kann es in der Tat Probleme geben, wenn beides nicht geübt wird. Denn sowohl Schreiben, insbesondere Rechtschreibung, als auch Rechnen, insbesondere Kopfrechnen, sind Disziplinen, die geübt werden müssen. Wer hier nicht übt, der wird zwar nicht umfassend dumm, aber er wird Probleme bekommen. Das war allerdings noch nie anders, und es erscheint mir zweifelhaft, hierfür allein den Computer verantwortlich zu machen. Denn zum Üben anhalten musste man Kinder schon immer. Und die Summe der ablenkenden Reize ging immer schon ins Unendliche …

Ein anderes, vielleicht gewichtigeres Argument zielt darauf ab, dass im Internet große Mengen vollkommen wertloser Inhalte kursieren. Erweitert wird dieses Argument durch die Ansicht, dass insbesondere Computerspiele mit wenigen Ausnahmen ganz und gar wertlos seien. Wertlos also, ziemlich vieles zumindest. Stimmt das? Da kann man nur sagen: Ganz bestimmt. Doch trifft das denn nur für die Computerwelt zu?

Ich verstehe von Büchern ein wenig, und wenn ich mir eine herkömmliche Bibliothek, vielleicht auch einen Buchladen ansehe, dann würde ich sagen: hauptsächlich wertloses Zeug. Und wie sieht es mit Filmen aus? Natürlich, dasselbe Ergebnis. Theater? Abermals dasselbe. So könnte man fortfahren, aber das Argument lässt sich doch am leichtesten mit einer Wendung erledigen, die unter Kennern als »Sturgeons Gesetz« bekannt ist. Das Gesetz wurde nach dem Science-Fiction-Autor Theodore Sturgeon benannt, und es besagt kurz und knapp: »90 Prozent von allem ist Bullshit.« Von allem, wohlgemerkt. Interessanterweise ist das Internetportal »Antolin«, das zur Leseförderung gern von Schulen benutzt wird, von der Unterscheidung zwischen höherwertigen und minderwertigen Textarten ganz frei. Der Journalist Tilman Spreckelsen hat das knackig auf den Punkt gebracht: »Trash trifft sich mit Hochkultur. Das ist so gewollt: Hauptsache, die Kinder lesen.«

Man merkt, auch das Qualitätsargument ist problematisch. Eigentlich zog bisher bei näherer Betrachtung überhaupt kein Argument, das mit der angeblichen drohenden Verdummung durch den Computer zu tun hatte. Wie aber kommt es dann zu solchen Überreaktionen einzelner Forscher, und wieso sind Eltern und Pädagogen so schnell bereit, diese dann für gültige Aussagen zu nehmen? Liegt es an der (verständlichen) Bereitschaft, einer ziemlich komplexen Sache mit möglichst simplen Reaktionen zu begegnen? Dann machen Computer und Computerspiele tatsächlich durchaus dumm. Aber anders, als das bisher gemeint war.

9783407864062

Hintergrund: Georg Milzner ist Diplompsychologe und in eigener Praxis als Psychotherapeut tätig. Seit vielen Jahren arbeitet er mit Kindern und Jugendlichen und erforscht den Einfluss der digitalen Medien auf den Menschen. Der Vater von drei Kindern ist Autor mehrerer Bücher; er lebt und arbeitet in Münster und in Düsseldorf. Sein Buch „Digitale Hysterie. Warum Computer unsere Kinder weder dumm noch krank machen“ (18,95 Euro) ist im Beltz-Verlag erschienen.

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