Darf man Schüler zum Lateinlernen zwingen? Streit in Sachsen

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DRESDEN. An mittlerweile 24 sächsischen Gymnasien wird die zweite Fremdsprache einfach ausgelost – obwohl ein Gericht diese Praxis gekippt hatte. Die Ursache ist Lehrermangel. Die Kritik an dem Verfahren wächst.

"Latein ist eine tote Sprache": Brunnen in Pompeji. Foto: Michel 27 / Flickr (CC BY-NC 2.0)
„Latein ist eine tote Sprache“: Brunnen in Pompeji. Foto: Michel 27 / Flickr (CC BY-NC 2.0)

2011 hatten zwei Schüler eines Dresdner Gymnasiums per Eilverfahren ihre Teilnahme am Französischunterricht erstritten. Nach dem Willen der Schule sollten sie Russisch lernen, weil es angeblich zu wenig Plätze für Französisch gab. Zwar bestätigten die Richter die Auffassung der Schulbehörde, dass kein Rechtsanspruch auf Unterricht in einer bestimmten Fremdsprache besteht. Das trifft aber nur dann zu, wenn der gewünschte Unterricht in dieser Schule überhaupt nicht angeboten wird. Wenn sich die Sprache im Angebot befinde, bestehe zumindest «ein Anspruch auf Zulassung innerhalb der verfügbaren Kapazität».

Die Wahl der zweiten Fremdsprache in der 6. Klasse werde trotzdem für immer mehr Schüler in Sachsen zur Zitterpartie. Dies berichtet die „Freie Presse“. In einem aktuellen Fall an einem Gymnasium in Chemnitz beispielsweise hätten sich zu viele Schüler für die freien Plätze in Spanisch gemeldet. Das Los habe entschieden, die Verlierer müssen künftig Latein belegen.

Viel habe sich seit dem Gerichtsurteil nicht geändert, bemängelt dem Blatt zufolge die bildungspolitische Sprecherin der SPD im Sächsischen Landtag, Eva-Maria Stange. An 24 Schulen im Freistaat wird nach wie vor gelost, im Vorjahr war das an 23 Schulen der Fall. Wissenschaftsministerin Sabine von Schorlemer (parteilos) verteidige das Vorgehen: „Ein Rechtsanspruch auf Unterricht in einer bestimmten Fremdsprache besteht nicht.“

Mehrere Eltern haben sich an die „Freie Presse“ gewandt. Der Vater einer Schülerin, die am Losverfahren eines Chemnitzer Gymnasiums teilnehmen musste, beschwert sich: „Wir haben uns bewusst für diese Schule mit vertieft sprachlichem Profil entschieden – und jetzt müssen die Kinder Latein lernen, eine tote Sprache, die sie nicht im geringsten interessiert.“ Damit werde die Zukunft vieler Schüler zerstört.

Der Vorsitzende des Landeschülerrates, Konrad Degen, sieht die Rechte der Schüler bei diesem Verfahren gefährdet. «Wenn die Planungsinteressen höher liegen als die Wahlfreiheit von Schülern, dann steuern wir bei der Problemlösung in eine falsche Richtung», sagte Degen. «Einzelne Schüler dürfen nicht für eine fehlerhafte Planung und mangelnde Neueinstellungen büßen.» Der Bildungserfolg hänge unmittelbar mit der Lernmotivation zusammen.

Selbst die CDU kritisiert die Praxis

Das meint auch der Sächsische Lehrerverband. „Wenn Schülerwünsche nicht berücksichtigt werden, ist das eine ganz schlechte Situation für Kinder, Eltern und Lehrer“, sagt der Vorsitzende Jens Weichelt. Für den Lehrermangel sei die Landesregierung verantwortlich. Weichelt: „Die Bewerber sind ja da, aber sie werden trotz Engpässen nicht genommen.“

Pikant: Auch die CDU-Fraktion im Landtag sieht dringenden Handlungsbedarf. Das Prozedere sei weder praktikabel noch schulpolitisch gerechtfertigt, sagte Thomas Colditz, Bildungsexperte der Union. «Das ist untragbar und nicht zu akzeptieren.» Deshalb müsse man die Situation noch einmal analysieren und eine Lösung finden. Sachsen brauche ausreichend Lehrer für den Fremdsprachenunterricht. Colditz hatte schon in der Debatte um den allgemeinen Lehrermangel in Sachsen kein Blatt vor den Mund genommen und wiederholt das CDU-geführte Kultusministerium kritisiert.

Das Kultusministerium hält dagegen die Auswahl nach dem Zufallsprinzip laut „Freie Presse“ für gerechtfertigt. Am Losverfahren werde sich künftig nichts ändern, sagt eine Sprecherin. Der Gerichtsbeschluss zur Bildung größerer Klassen sei in die Planung für das Schuljahr 2012/2013 eingeflossen. bibo, mit Material von dpa

(12.8.2012)

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sofawolf
11 Jahre zuvor

Ja, die zweite Fremdsprache unter Schülern auszulosen, kommt mir auch absurd vor. Die Schildbürger lassen grüßen, oder?