Chemie-Nobelpreis für bahnbrechende Entdeckung gegen Volkskrankheiten

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STOCKHOLM. Etwa die Hälfte aller Medikamente bauen auf der Entdeckung der US-Amerikaner Robert Lefkowitz und Brian Kobilka auf, für die sie jetzt den Chemie-Nobelpreis 2012 bekommen.

Lefkowitz und Kobilka werden dafür ausgezeichnet, dass sie bahnbrechende Erkenntnisse zur Kommunikation von Körperzellen entschlüsselt haben. Die Forscher haben enträtselt, wie zahlreiche Signale von außen in die Zelle kommen. Dabei hatten sie eine Gruppe weit verbreiteter Schnittstellen in der Zellmembran entdeckt und entschlüsselt.

Diese sogenannten G-Protein-gekoppelten Rezeptoren (GPCR) sind etwa dafür zuständig, dass Licht vom Auge verarbeitet wird und das Hormon Adrenalin auf die Zellen wirken kann. Diese Rezeptoren seien die Andockstellen für etwa die Hälfte aller Medikamente, betonte die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften am Mittwoch in Stockholm.

«Alle Volkskrankheiten werden behandelt, indem man diese Rezeptoren aktiviert oder blockiert», ergänzte Thomas Benzing vom Zentrum für Molekulare Medizin der Universität Köln auf Anfrage. Auf diese Weise funktionierten zum Beispiel Blutdruckmittel, Medikamente gegen Herzerkrankungen und Asthma sowie manche Psychopharmaka. «Lefkowitz und Kobilka haben einen Durchbruch erzielt für das Verständnis, wie diese Rezeptoren funktionieren», betonte Eckhard Ottow von der Gesellschaft Deutscher Chemiker.

Die Rezeptoren spielen an zahlreichen Stellen im ganzen Körper eine zentrale Rolle, darunter auch für Sinneswahrnehmungen, wie Sara Snogerup Linse aus dem Nobel-Komitee erläuterte. «Dank der Rezeptoren kann ich jetzt einen Becher Kaffee genießen. Und dank Lefkowitz und Kobilka weiß ich, wie das funktioniert.»

Kobilka hält sich selbst für uninteressant

Der 57-jährige Kobilka hat bereits zahlreiche Auszeichnungen bekommen. Doch die Nachricht vom Nobelpreis kam für ihn «wie ein Donnerschlag», wie er der Nachrichtenagentur dpa kurz darauf am Telefon sagte. «Ich versuche mich die ganze Zeit zu überzeugen, dass ich nicht träume», erklärte der Medizinprofessor von der Stanford-Universität in Palo Alto. Er habe ganz fest geschlafen, als der Anruf aus Stockholm ihn und seine Frau am Mittwoch gegen 0230 Uhr kalifornischer Zeit aus dem Bett klingelte. Die vielen Erfolge sind Kobilka nicht zu Kopf gestiegen. Nach seinen persönlichen Passionen befragt, entgegnete er: «Ich bin uninteressant, langweilig. Außer mal hin und wieder Fahrradfahren kann ich nichts bieten.»

Auch Lefkowitz vom Howard Hughes Medical Institute und der Duke-Universität in Durham hat nach eigenen Worten fest geschlafen, als der Anruf aus Stockholm kam. «Ich trage Ohrstöpsel», berichtete der 69-Jährige am Telefon in der Stockholmer Pressekonferenz. «Meine Frau hat mich mit dem Ellenbogen angestoßen – und da kam die große Überraschung.» Eigentlich habe er am Mittwoch zum Friseur gehen wollen. «Das muss ich nun wohl verschieben.»

Lefkowitz hatte in den späten 1960er Jahren mit Hilfe radioaktiver Markierungsstoffe mehrere Rezeptoren aufgespürt, darunter jenen für Adrenalin. Seine Gruppe isolierte diesen Rezeptor aus der Zellwand und gewann ein erstes Verständnis seiner Funktionsweise. In den 1980er Jahren spürte der frisch angeheuerte Kobilka dann das Gen für den Adrenalin-Rezeptor auf, also seinen Bauplan. Die Analyse dieses Gens zeigte, dass der Adrenalin-Rezeptor einem Rezeptor aus dem Auge ähnelt, der etwas ganz anderes macht und Licht einfängt. Es stellte sich schließlich heraus, dass beide zu einer großen Familie von Rezeptoren gehören, die alle möglichen Signale durch die Zellmembran ins Innere vermittelt – die G-Protein-gekoppelten Rezeptoren.

Brian Kobilka gewinnt mit seinem Kollegen gemeinsam den diesjährigen Nobelpreis für Chemie und ist "überwältigt". (Foto: lesphotosdecalifornie/Flickr CC BY-SA 2.0)
Brian Kobilka gewinnt mit seinem Kollegen gemeinsam den diesjährigen Nobelpreis für Chemie und ist „überwältigt“. (Foto: lesphotosdecalifornie/Flickr CC BY-SA 2.0)

Nobelpreise fallen wegen der Finanzkrise geringer aus

Die höchste Auszeichnung für Chemiker ist mit umgerechnet 930 000 Euro (8 Millionen Schwedischen Kronen) dotiert. Die Nobelstiftung hatte den Betrag in diesem Jahr um 20 Prozent vermindert, da ihr Kapital im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise geschrumpft war.

Im vergangenen Jahr hatte Dan Shechtman aus Israel die Auszeichnung für die Entdeckung sogenannter Quasikristalle erhalten, die lange Zeit von der Forschergemeinde für nicht möglich gehalten worden waren. Sie erinnern in der Struktur an mittelalterliche, islamische Mosaike im spanischen Alhambra-Palast.

Die feierliche Überreichung der Auszeichnungen findet am 10. Dezember statt, dem Todestag des Preisstifters Alfred Nobel. dpa

(10.10.2012)

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