Studie: Merkels „Bildungsrepublik“ lässt weiter auf sich warten

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BERLIN (Mit Kommentar). Vollmundig legten sich die Kanzlerin und die Ministerpräsidenten beim Bildungsgipfel 2008 auf Ziele wie eine Halbierung der Schulabbrecherquote und eine Erhöhung der Bildungsausgaben fest. Doch aus der versprochenen „Bildungsrepublik“ ist bislang nichts geworden. Eine neue Studie zeigt: Die Probleme haben sich seitdem kaum verändert.

Machte vor vier Jahren die Bildungspolitik zur Chefsache: Bundeskanzlerin  Angela Merkel. Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)
Machte vor vier Jahren die Bildungspolitik zur Chefsache: Bundeskanzlerin Angela Merkel. Foto: Aleph / Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.5)

Die Wirtschaft klagt über Fachkräftemangel. Doch 1,56 Millionen junge Erwachsene zwischen 20 und 30 Jahren gelten als «ungelernt» und sind auch nicht mehr in Fortbildungskursen. 50 000 Schüler verlassen jedes Jahr ihre Schule ohne Hauptschulabschluss. Und die Beteiligung der Erwerbstätigen an Weiterbildung geht zurück – statt wie angestrebt zu steigen.

Vier Jahre nach dem Bildungsgipfel von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und den 16 Regierungschefs der Länder zieht der Bildungsforscher Klaus Klemm in einer Studie für den Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) eine ernüchternde Bilanz. Von der damals beschworenen «Bildungsrepublik» ist Deutschland wahrlich noch weit entfernt.

Als Merkel 2008 die Bildungspolitik zur «Chefsache» machte, zierten sich die Länder-Regierungschefs gewaltig. Es hagelte derbe Kritik auch aus Merkels eigenem politischem Lager. Die Länder wollten keine Einmischung des Bundes in ihre «Kulturhoheit», die doch erst zwei Jahre zuvor mit der Föderalismusreform und der Festschreibung eines Kooperationsverbotes von Bund und Ländern in der Bildung gestärkt worden war.

Als es nach langem Murren und Grollen der Ministerpräsidenten im Oktober 2008 in Dresden dann doch zu einem Bildungsgipfel mit der Kanzlerin kam, wurde eine anspruchsvolle Reformliste vereinbart. Die Länder gelobten, Einsparungen infolge des Schülerrückganges weitgehend in den Schulen zu belassen und für Qualitätsverbesserungen zu nutzen. Doch nicht nur in Baden-Württemberg – wo derzeit über den geplanten Abbau von Tausenden Lehrerstellen heftig öffentlich gestritten wird -, auch in anderen Ländern ist heute in den Schulen eher Sparen angesagt. Die für 2016 angepeilte Schuldengrenze in den Landeshaushalten wirft überall ihre Schatten voraus.

Ein weiteres Mal versprachen die Länder beim Bildungsgipfel 2008, die Zahl der Schulabbrecher binnen weniger Jahre zu halbieren – nachdem bereits in den 90er Jahren zwei Verträge darüber mit der Arbeitsagentur folgenlos geblieben waren. Nur im Schneckentempo geht die Schulabbrecherzahl zurück – von 7,4 Prozent eines Jahrganges (2008) auf 6,2 Prozent (2011). In Mecklenburg-Vorpommern (13,3 Prozent) und Sachsen-Anhalt (12,1 Prozent) gibt es sogar noch zweistellige Abbrecherquoten.

Schulforscher Klemm vermisst ein effektives Maßnahmenbündel, das auch die Förderschulen miteinbezieht. Ohnedem sei das Ziel der Halbierung kaum zu erreichen. Auch bei dem 2008 ausgerufenen Ziel, die Zahl der Ungelernten jungen Erwachsenen bereits bis 2015 durch Nachqualifizierung zu halbieren, geht es nur schleppend voran: 2008 hatten 17,2 Prozent der 20- bis 30-Jährigen keinen Berufsabschluss, 2011 waren dies 15,9 Prozent. Die Regierung hat der Bundesagentur einen strikten Sparkurs verordnet. Und alle Arbeitsmarktprognosen weisen darauf hin, dass die Vermittlungschancen für Ungelernte immer schlechter werden.

10 Prozent des BIP für die Bildung? Vergessen

Als besonders spektakulär galt das beim Bildungsgipfel 2008 ausgerufene Ziel, bis 2015 die Ausgaben von Staat und Wirtschaft für Bildung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu steigern. Mit 9,5 Prozent im Jahr 2010 sei man diesem Ziel bereits sehr nahe gekommen, heißt es in der Klemm-Studie. Doch nicht wenige Bildungsexperten sehen die Aussagekraft der 10-Prozent-Marke heute äußerst kritisch. So hatten die Finanzminister bereits damals zu Bedenken gegeben, dass sich das 10-Prozent-Ziel bei einem sinkenden BIP (wie etwa 2009) auch ohne jede Mehrinvestition in Bildung und Forschung erreichen lasse. Zudem wurden nach 2008 auf Druck der Finanzminister von Bund und Ländern die Kriterien für den jährlich zu erstellenden Bildungsfinanzbericht erheblich verändert, so dass Vergleiche mit den Jahren zuvor kaum möglich sind.

Von einer Neuauflage des Bildungsgipfels wollen heute weder Merkel noch die Länder etwas wissen. Pflichtschuldig präsentierten die Ministerpräsidenten auch in diesem Jahr kurz vor Weihnachten der Kanzlerin den üblichen regierungsamtlich abgestimmten Zwischenbericht über die Umsetzung der 2008 in Dresden verabredeten «Qualifizierungs-Offensive». Danach ist die deutsche Bildungswelt nahezu tadellos in Ordnung. KARL-HEINZH REITH, dpa (2.1.2013)

Zum Kommentar: „Bildungsrepublik Deutschland? Schnee von gestern“

 

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